MALMOE

Am Markt vorbei produziert

Poesiealbum Schwarz-Blau (#5) – Neue Einträge ins österreichische Stammbuch im schmutzig-verregneten November 2018.

Toter Hund

Odi ist tot. Er starb nach einem viel zu kurzem Hundeleben im Hause der Familie Strache. So weit, so bedauerlich. Der gehirntote österreichische Zeitungs-Boulevard hatte zwei Tage lang kein anderes Thema. Neben Straches Hanteltraining, seinem Baby-Glück, Minister Hofers Ausfahrt mit dem Elektroroller (Fotostrecke) oder dem Stolperer von Innenminister Kickl über eine Kabelleiste sind das eben die Themen, mit denen die auflagenstarken Zeitungen die schleichende Machtergreifung durch die Neonazis begleiten. Ihr publizistischer Beitrag zur Errichtung der illiberalen Demokratie Made in Austria wird historisch zu würdigen sein. Man wird sagen, sie ließen sich eben einfach zu leicht an der Nase herumführen, obwohl doch alles ganz offensichtlich gewesen sei. So hätte der Boulevard sich wundern dürfen über den knallig, ungeschickten Namen „Odi“. So heißt doch kein Hund oder sonst wer. Ein wenig Recherche hätte ergeben, Grund für die Namensgebung war die enorme Rechtschreibschwäche Straches. Der meinte nämlich eigentlich jenen großen, fürchterlichen Kriegsgott, jene ehrfurchtgebietende Erscheinung aus dem hohen Norden, die jüngst wahre Deutsche aus allen Landen wieder das Zittern lehrt und zugleich Hoffen auf bessere Zeiten schenkt, in denen wieder wahre Männer mit stolzer Heldenbrust auf dem Rücken von Pferden … Also kurzum, bei besserer Orthografie wäre klar geworden, die jetzt tote Töle „Odi“ hätte hinten ein „n“ gebraucht und ein paar weitere Korrekturen, weil sie natürlich „Putin“ heißen sollte.

Faßmanns Auffassung

Wie ging noch schnell das Regierungsmotto, ein „rot-weiß-roter Schnellzug“ wolle man sein? So geht es auch in der Bildungspolitik unter Volldampf zurück ins vergangene Jahrhundert. Aus dem Bauchgefühl heraus soll alles weggewischt werden, was progressive Pädagog_innen über stückchenweise Reformen in den letzten Jahrzehnten erarbeitet haben.

Heinz Faßmann, von der ÖVP als Bildungsminister in ihre „Expertenregierung“ geholt, trägt natürlich brav die ÖVP-Linie einer höchstwichtigen frühen Differenzierung und Leistungsgruppen mit. Im Falter-Interview wird er gefragt, was er denn nun selbst von einer gemeinsamen Schule für 10- bis 14jährige hält. Dieser Frage möchte er sich lieber entziehen, sagt Faßmann, er sei schließlich kein Bildungsexperte. Alles klar. Im gleichen Interview wird er gefragt, wie er die ständigen rassistischen Ausfälle der FPÖ sieht, die nicht zuletzt häufig Themen seines Ressorts betreffen. Wenn man da noch jedes Mal öffentlich protestiert, so Faßmann, dann könne man ja in einer solchen Regierungskoalition nicht weiter zusammenarbeiten (Diese Art von Regierungsauffassung bitte kurz einsickern lassen!)

Mit der ideologiefreien und „unpolitischen“ Regierungsarbeit ist es halt so eine Sache. Einmal hatte er sich ja doch durchgesetzt und den schwarz-blauen Recken in Oberösterreich erklärt, dass sich deren Wunsch, eine Deutschpflicht auch in Schulpausen einzuführen, leider mit persönlichen Freiheiten und der Verfassung spießt. FPÖ-Troll Manfred Haimbuchner entgegnete dem auf Ö1, er fände es schade, dass sich hier die „Ideologie“ offenbar gegenüber der „Sachpolitik“ durchgesetzt habe. Logo, „Ideologie sind immer die Anderen“ und Segregationspolitik mit institutionellem Rassismus werden zur Sachpolitik erklärt. Für Faßmann ein Preis, den er für diese Koalition zu zahlen bereit ist. Ein gutes wird es haben: Nach dem Ende dieser Regierung wird der Zwei-Meter-Mann Faßmann Anstellung im Zirkus finden, als einziger Mensch, der einen Knoten in sein Rückgrat machen kann.

Non scholae, sed vitae discimus

Die klassische Sozialdemokratie (die Älteren werden sich noch an sie erinnern) kannte eine simple Faustregel. Da die Menschen circa 80 Jahre auf diesem schönen Erdenrund herumknorzen, brummt man ihnen die halbe Zeit Erwerbsarbeit auf und lässt sie die andere als Kinder und Greise, die sie in jenen Lebensphasen eben sind, abfeiern. Die „ungelösten Widersprüche der Industrialisierung“ haben aber zu einer Beschäftigungskrise geführt, die dies zunehmend unmöglich machte. Es gibt schlicht zu wenige Erwerbsmöglichkeiten für zu viele Menschen. Superschlau folgerten die Sozis, man müsse eben an den 40 Jahren Erwerbszeit knabbern. Vorne, indem man die Proletenkinder auf die Uni gab und hinten, indem man die ausgelaugten Hackler_innen in Frühpension schickte. Den Konservativen hat dies nie gepasst. Für sie ist Arbeit eine Strafe für Arme und da soll es keine Gnade geben. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) macht jetzt ihrem Unmut Luft: „Die Gymnasien produzieren oft am Markt vorbei“. Der Markt für Menschen verlangt diese zugerichtet als „Fachkräfte“. Zu solchen werden sie in möglichst kurzer Zeit durch Matura und Lehre ohne Uniaufenthalt. Dann – dies „garantiert“ die Ministerin – werde das „Lebenseinkommen“ (circa 60 Stunden die Woche, 45 Jahre lang) mehr Ertrag bringen „als bei vielen Studien“. Gute Aussichten. Wer allerdings auf einem Gymnasium war, das noch kritisches Denken fördert, oder gar einen Fuß in die Uni gesetzt hat, weiß: Wenn eine Ministerin strukturelle Probleme leugnet, dann verschwinden diese dadurch nicht. Es mag sein, dass es lokale Engpässe an technischen Facharbeiter_innen gibt, deren Arbeitsplätze kann aber schon morgen ein neuer Automatisierungsschub (an dem ja alle arbeiten) wegblasen. Werden die Erwerbsmöglichkeiten durch Automatisierung und zunehmende Effizienz geringer, dann müssten eben neue anderswo geschaffen und unbedingt die Lebensarbeitszeit für die Einzelnen gesenkt werden. Um diese kniffligen Probleme zu lösen scheint es zumindest keine schlechte Idee zu sein, möglichst viele studieren zu lassen …

Weihnachtsgeschichte

Wenn die Tage dunkler werden, bekommt der Kanzler der Republik Österreich Besuch von drei Geistern. Der Geist der vergangenen Weihnacht zeigt ihm das Fest in der guten alten Zeit. Die Kinder kauen auf Panzerketten, die Frauen sind geschunden und die Männer frustriert. Ehre heißt noch Treue und alle Aufgaben werden mit erbarmungsloser Härte erledigt. Die Seelen sind schwarz wie Kohle und ohne Freud und Lust. Bis zur Besinnungslosigkeit redet man sich Stolz ein. Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht zeigt ein ebenso verheerendes Bild. Ein nicht enden wollender Brechreiz wohnt in den Gliedern. Missgunst und Argwohn benebeln jeden Blick. Wer nie sein eigenes Leben erfassen und frei denken durfte, wünscht seinen Mitmenschen die eigene Hölle des Untertan_innentums an den Hals. Man frisst sich voll und säuft sich tot, nur um zu vergessen, wie ekelhaft alles ist. Das Bild, das schließlich der Geist der zukünftigen Weihnacht präsentiert, ist zu schrecklich, um in Worte gefasst zu werden. Nur so viel: Die Sache mit dem Klimawandel hätte man vielleicht doch angehen müssen.

Am Morgen danach steht der Kanzler vor dem Rasierspiegel und schabt mit der blanken Klinge über die Gesäßhaut seines Gesichtes. Mühsam versucht er sich sein Gewinnerlächeln auf die Lippen zu meißeln. Tief verborgen hinter der Fassade erblickt er eine menschliche Regung. Man ist ja nicht aus Stein. Ob, er nicht vielleicht doch? Die Güte ist nicht verloren. Die Menschen tragen sie noch immer in sich, wie ein wohl verborgenes inneres Lichtlein. Jedes Wesen das fühlt, kann von Mitgefühl ereilt werden. Es wäre doch möglich … Das Smartphone neben dem Waschbecken beginnt vibrierend zu dudeln, „Enter Sandman“. Ein kurzer Blick aufs Display und ein Wolfslächeln legt sich wie Blitzeis aufs Antlitz des Kanzlers. Keine weiteren Sentimentalitäten, die nächste Intrige wartet. Letzte Seifenreste werden weggewischt und die Gewissheit liegt im kalten Blick: Er liebt sein Amt, genau so sehr, wie er sein eigenes Leben hasst. Dieses Weihnachten wird sein, wie alle zuvor. Denn wer glaubt schon an Geister?