MALMOE

„Beeilt Euch zu handeln,
ehe es zu spät ist, zu bereuen.“

Über Timothy Snyders On Tyranny

Im Rahmen unserer Revolutionsreihe kam wiederholt die Frage auf, ob die nächste Revolution nicht von rechts kommt und bereits im Gange ist. Rechtsautoritäre Strömungen können allerdings niemals revoltieren, da sie die bestehende Ordnung nicht auflösen, sondern in ihrem Sinne verstärken wollen. Das ist brandgefährlich, wie Timothy Snyder eindrucksvoll belegt.

Tymothy Snyder hat in seinem Buch On Tyranny: Twenty Lessons from the Twentieth Century einen inhaltsreichen Katalog von Handlungen und Haltungen erstellt, die von Bürgerinnen und Bürgern eines demokratischen Staates befolgt oder vermieden werden sollten, um die Gefahr von Tyrannei, Autoritarismus und Diktatur zumindest einzudämmen. Snyders Werk stützt sich auf die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts und findet in ihr Orientierung für die gegenwärtige politische Lage. So erweist sich Geschichte als zuverlässige Lehrmeisterin unseres Lebens.
Snyder warnt in seinen zwanzig Lektionen, in denen das Buch aufgeteilt ist, vor dem Risiko des vorauseilenden Gehorsams, da diese Haltung den Weg für eine Diktatur ebnet: Bürgerinnen und Bürger sollen immer eine kritische und unabhängige Einstellung zur Macht bewahren. Gleichzeitig fordert Snyder zur Verteidigung der demokratischen und demokratiefördernden Institutionen (wie Gerichte, Gesetze, Zeitungen etc.) auf, da sie nicht in der Lage seien, sich selbst zu verteidigen. Damit die demokratischen und pluralistischen Institutionen nicht durch die Kräfte ausgehöhlt werde, die die Diktatur befürworten, brauchen die Institutionen die ständige Teilnahme und den stetigen Schutz seitens der Bürgerinnen und Bürger.

Niemand solle davon ausgehen, dass die Institutionen weiterleben können, wenn die Bürgerinnen und Bürger an ihrer Erhaltung nicht teilnehmen. Institutionen müssen mit Kraft und Energie stetig verlebendigt werden. Die Freiheit lebt nur weiter, solange die Bürgerinnen und Bürger mit eigenem Einsatz und Engagement die Freiheit weiterleben lassen. Desgleichen gilt für den Schutz der Demokratie. Damit der Pluralismus aufrechterhalten wird, erweist sich die Teilnahme an Wahlen als unabdingbar, denn ohne eine ununterbrochene Kontrolle des politischen Lebens seitens der Bürgerinnen und Bürger läuft die Demokratie immer Gefahr, von ihren Feinden ausgeschaltet zu werden. Mit anderen Worten: Die Bürgerinnen und Bürger dürfen sich nicht der Illusion hingeben, dass Demokratie und Freiheit ohne ihren eigenen Beitrag weiterleben könne. Dies ist nie der Fall gewesen und wird nie der Fall sein.

Im Rahmen der Verteidigung der demokratischen Grundordnung macht Snyder auf die Gefahr aufmerksam, welche von paramilitärischen Gruppen ausgeht, da diese in der Lage sind, Polizei und Heer zu infiltrieren und zu ersetzen. Indem sie Dissidenten einschüchtern, bilden sie die tätige und tätliche Vorhut jener Gruppen, die dann antidemokratische Strukturen aufbauen wollen.

Snyder ruft nachdrücklich dazu auf, Zeichen zur Verteidigung der Demokratie und der Freiheit zu setzen und sich gegen den Strom zu stellen, damit deutlich wird, dass alternative Positionen möglich sind. Symbole, Vorbilder und Referenzpunkte sind zur Verteidigung gegen autoritäre Tendenzen unentbehrlich. Zur Verdeutlichung seiner Auffassung greift Snyder auf Beispiele wie die Politik von Winston Churchill im Jahre 1940 oder auf den Widerstand von Rosa Parks zurück. Churchills Widerstand gegen Nazi-Deutschland und Rosa Parks Ablehnung der von der Apartheid-Politik auferlegten Vorschriften machen deutlich, dass alternative Handlungs- und Denkweisen möglich waren. Der Resignation, der Akzeptanz des Status quo und der Niedergeschlagenheit standzuhalten, ist besonders in all den Epochen essentiell, in welchen Demokratie, Toleranz und Freiheit in Gefahr sind. Beispiele zu statuieren und Vorbilder aufzubauen, stellen unabdingbare Handlungen zur Behauptung und Sichtbarkeit von alternativen Modellen dar, auf dass gezeigt werden kann, dass der Konsensus bestimmter antidemokratischer Kräfte nicht so einstimmig ist, wie diese Kräfte glauben lassen wollen. Opposition braucht Bezugspunkte, Leuchtfeuer, Orientierungssignale.

Snyder mahnt zudem im Laufe seiner Arbeit vor der Gefahr der sogenannten Post-Wahrheit-Ideologie. Post-Wahrheit sei Vor-Faschismus. Die BürgerInnen dürfen nie den Glauben an Fakten und an Tatsachen verlieren. Sie sind in die Pflicht genommen, Ereignisse zu untersuchen, sich selbst autonom zu informieren und Propaganda-Manöver zu enthüllen. Vorsicht und Verdacht sollen unter anderem all den Vorsätzen und Projekten entgegengebracht werden, die im Namen der Sicherheit die Freiheit einschränken wollen.

Snyders Werk erweist sich als ein bemerkenswertes Handbuch zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie, das all jene, die an dieser Verteidigung interessiert sind, beherzigen sollten

Timothy Snyder: On Tyranny. Twenty Lessons from the Twentieth Century, Penguin Random House UK, London 2017