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Plattformen

Becoming Digital (0x08)

Digitale Plattformen und deren Datensammlungen sind aktuell ein rege diskutiertes Thema, insbesondere wenn damit Einsichten in die Tragweite solcher Sammlungen und deren Gebrauch verbunden sind. Auf Kritik stößt die Weiterverwendung von Informationen, die aus Auswertungen dieser Daten generiert werden. Dies betrifft nicht nur Unternehmen aus den sozialen Medien oder der Websuche, sondern erfasst so gut wie alle Geschäftsfelder, in denen Daten gesammelt werden.

Ein in den Wissenschaften prominentes und viel kritisiertes Beispiel sind Verlagshäuser, in deren Online-Zeitschriften Forscher_innen publizieren. Ein komfortables Geschäftsmodell mit hohen Gewinnspannen, das zum großen Teil finanziert wird von öffentlichen Geldern, da Forscher_innen ihre staatlich finanzierten Ergebnisse an die Verlage abtreten, die diese Resultate dann von staatlich finanzierten Universitätsbibliotheken ankaufen lassen. Die Open Access Bewegung reagiert auf diese offensichtliche Schieflage und plädiert für frei zugängliche Online-Zeitschriften, wofür in den letzten Jahren digitale Infrastrukturen aufgebaut wurden.

Nun ist in der aktuellen Debatte weniger von Primärdaten die Rede, sondern davon, was um diese Daten herum an Kontexten gewonnen werden kann. Dafür sind digitale Plattformen besonders geeignet, da für die Erwerbung von solchen Sekundärdaten ein möglichst einheitliches und damit berechenbares Erfassungsschema hilfreich ist. Sind Daten an unterschiedlichen Orten versammelt, noch dazu in je anderer Verwendung, ist eine Harmonisierung der Informationen über deren Verwendung schwieriger zu erreichen, als wenn diese an einem Ort unter einem abgeschlossenen System versammelt sind. Im Fall der wissenschaftlichen Online-Zeitschriften lassen sich damit Netzwerke abstrahieren, die Auskunft geben, wie Forscher_innen zusammenarbeiten. Durch Online-Bewegungsprofile wiederum ergeben sich Querverbindungen zwischen verschiedenen Disziplinen, die Trends „vorhersagen“  lassen. Von den Verlagen werden dabei Kennziffern erstellt, die Auskunft über die Bedeutung von Forscher_innen geben sollen. Solche durch eine Plattform gewonnenen Informationen lassen sich wiederum an Universitäten weiterverkaufen, die diese für Bewerbungsverfahren gebrauchen. Die Weiterverarbeitung erzeugt aus dem „Rohstoff“ Daten einen darüber hinaus weisenden Wert. Dafür müssen von digitalen Plattformen immer neue Methoden zur immer detaillierteren Herstellung von Kontexten geschaffen werden. Ziel ist es, das Ausmaß der indirekt ermittelten Daten so weit zu steigern, dass damit statistisch haltbare Aussagen einher gehen.

Die dabei vermutete Erkenntnissteigerung erklärt wohl auch, warum die Europäische Kommission zur Errichtung einer „European Open Science Cloud“ drängt, in der digitale wissenschaftliche Infrastrukturen zusammengefasst werden sollen. Diese Entwicklung zeigt zugleich den Wandel in der Ordnung der Wissenschaften auf. Jene Disziplinen, denen es nicht gelingt, ihre Untersuchungen digital zu modellieren, werden es zukünftig schwer haben, wahrgenommen zu werden. Für die digitale Geistes- und Kulturwissenschaften lässt sich feststellen, dass damit eine bedrohliche Annäherung an wirtschaftliche Verwertungszusammenhänge einhergeht. Warum sollte sich eine erkenntnisreiche digitale Analyse eines historischen Ereignisses nicht auch gewinnbringend für die Echtzeitdaten einer sozialen Medienplattform anwenden lassen? Die derzeit geführten ethischen Debatten greifen hinsichtlich solcher Entwicklungen offensichtlich noch zu kurz.