Von Debatten um ethnologische Sammlungen
Bald ist es ein Jahr her, dass das Weltmuseum Wien wiedereröffnet wurde. Das „multikulturelle“ Spektakel auf dem Heldenplatz fand am Österreichischen Nationalfeiertag statt, in Begleitung von Panzern und Soldat_innen. Im Programm wurden zunächst die Nationalitäten, dann die Namen der Künstler_innen genannt. Nur Adele Neuhauser als Gedichte-Vorleserin und Christoph Wagner-Trenkwitz als Moderator waren von dieser Maßnahme ausgenommen. Sie waren auch die Einzigen, denen offiziell die Aufgabe zukam, sich per gesprochenem Wort ans Publikum zu richten. Mit Verweis auf die Nationalratswahl erklärte der zum Kurator der Eröffnungsshow erkorene André Heller das Weltmuseum zu dem Ort, an dem das Fremde zu Hause sei und nicht vertrieben werden könne.
Ein fataler Gedanke, macht eine_r sich die Mühe, ihn zu Ende zu denken. Zunächst natürlich die Festschreibung von – ja, wem eigentlich? Den Sammler_innen, Kurator_innen, Administrator_innen dieser Institution? Dem so legendär in das österreichische Kulturerbe adaptierten „Penacho“? Also jedenfalls die Festschreibung von etwas Fremdem. Das ja notwendigerweise etwas Nicht-Fremdem gegenüberstehen muss. Das scheinbar eher außerhalb der Mauern des Museums zu finden ist. Denn überall draußen, da kann das Fremde vertrieben werden. Deswegen ist es ja so wichtig, dass es zumindest dokumentiert, gerettet wird, im Museum. Wo sonst sollte ein zukünftiger André Heller seine Inspiration hernehmen? Hellers Aussage trifft sich so schmerzhaft mit dem Gründungsgedanken ethnographischer Sammlungen, all jene zu archivieren, von denen es hieß, sie seien „zum Aussterben verdammt“. Nicht die Lebensbedingungen der Kolonisierten zu verbessern, gegen Gewaltherrschaft anzukämpfen, war die vordringliche Motivation der Sammler_innen. Sondern dieses Leben als totes zu bewahren, als musealisiertes Abbild, interpretiert, kategorisiert und repräsentiert durch Sammler_innen und Kurator_innen.
Menschen und Dinge in Bewegung
Heute sieht es das Weltmuseum als seine Aufgabe an, in „Auseinandersetzung mit kulturellen Unterschieden und mit dem, was alle Menschen miteinander verbindet, […] einen wichtigen Beitrag zum Verständnis einer durch gesteigerte Mobilität und Kommunikation geschrumpften und auch durch Migrationsströme zunehmend multikulturellen Welt [zu leisten].“ Im Ringen um gesellschaftliche Relevanz positionieren sich ethnographische Museen in Europa als zentrale Orte der Auseinandersetzungen um kulturelle Identität, Flucht und Migration. Bei einer Veranstaltung des nun in „Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt“ umbenannten Hamburger Völkerkundemuseums hat Achille Mbembe diese Verbindung kürzlich polemisch zugespitzt. Ob es wirklich das Ziel sein könne, dass alles und alle nach Hause zurückkehren müssten, fragte er, und stellte eine Analogie zwischen Geflüchteten und Artefakten her. Auch Arjun Appadurai versucht Verbindungen zwischen der Migration von Menschen heute und der (Im-)Mobilität von Dingen im ethnographischen Museum herzustellen. Beiden müsse ihre Geschichte zugestanden werden, eine Geschichte, die von Migration und Kontingenz geprägt sei, nicht von statischen Identitäten. Beiden müsse ihre Autonomie zugestanden werden. Diese Gedanken aufgreifend haben Wayne Modest und Bonaventure Soh Bejeng Ndikung in einem Gespräch mit Margareta von Oswald die Objektifizierung von Mensch und Ding gleichermaßen als eines der zentralen Probleme herausgestellt. All diese Überlegungen durchzieht die zweifelnde Frage, ob das Museum ein Ort sein kann, an dem durch das Unrecht, das Sammlungen und Grenzregimen zugrunde liegt, durchgearbeitet werden kann.
Eine Revolution der Rückgabe-Debatten?
Einen Monat nach der Wiedereröffnung des Weltmuseums in Wien zog sich eine Meldung durch die Museumslandschaft, die das Potenzial zu haben schien, alles zu ändern. Emmanuel Macron hielt eine Rede an der Universität von Ouagadougou, Burkina Faso, in der er die Rückgabe afrikanischen Kulturerbes aus französischen Sammlungen ankündigte. Der Tweet, den der Élysée-Palast nachschob, ist seitdem geradezu legendär geworden: Das afrikanische Erbe dürfe kein Gefangener europäischer Museen sein. Macrons Rede beinhaltete jedoch mehr als dieses Versprechen. Unter der Überschrift, es gäbe keine französische Politik für Afrika mehr, plädierte er für freundschaftliche Beziehungen auf Augenhöhe. Thomas Sankara zitierend widmete er seine Rede dem Wagnis, eine Zukunft neu zu erfinden. Kultur und mit ihr die Rückgabe afrikanischen Kulturerbes präsentierte er als ersten Schritt zur Rettung eines verlorenen gemeinsamen Vorstellungsraums zwischen Afrika und Europa. Viel Kritik erfuhr er dafür, in der anschließenden Diskussion einen Witz über den Präsidenten Burkina Fasos, Roch Marc Kaboré, gemacht zu haben. Nicht er, Macron, sei für eine stabile Elektrizitätsversorgung im Land verantwortlich, antwortete er einem Studenten. Das sei Kaboré. Als dieser daraufhin den Saal kurz verließ, rief Macron Kaboré hinterher, er gehe wohl jetzt die Klimaanlage reparieren. Witze zu machen, so meinte Macron später, müsse unter Freunden doch möglich sein.
Wie die Pläne für Rückgaben aus französischen Sammlungen aussehen, ist noch unklar. Für November ist ein Bericht der aus Bénédicte Savoy und Felwine Sarr bestehenden Kommission angekündigt, die Macron zu einer ersten Ausarbeitung der Bedingungen für Restitutionen ernannt hat. Es wird sich zeigen, ob diese eher den Zweifeln oder Hoffnungen entspricht, die auch Kwame Opoku nach Macrons Rede geäußert hat. Ob sich dann Frankreich tatsächlich seiner Verantwortung stellt oder diese auslagert, beispielsweise mit einem erneuten Verweis auf unzulängliche Infrastrukturen in afrikanischen Ländern, welche die Sicherheit und Konservierung des Zurückgegebenen nicht garantieren können.
Ein wichtiger Teil der Rede betraf natürlich auch Migration und Flucht. Hier sprach sich Macron dafür aus, dass sowohl Asyl in Europa gewährt werden als auch Migrationsbewegungen gestoppt werden müssten. Der einen Tag später folgende Gipfel zwischen EU und Afrikanischer Union sah dann unverhältnismäßig viel weniger Geld für legale Migrationswege als für „Grenzschutz“ und Mittelmeer-Überwachung vor. Nun hat die EU die Aufstockung von Frontex von 1.200 Mitarbeiter_innen auf 10.000 beschlossen. Währenddessen steigt die Zahl derjenigen, die auf ihrem Weg nach Europa sterben. Mobilität und offene Grenzen sind weiterhin das Gegenteil von dem, was gefördert werden soll.
Das Weltmuseum hat sich zu Macrons Vorstoß eher ausgeschwiegen. In einem Interview mit dem Standard bestätigte der Direktor Christian Schicklgruber, dass es mehr Forschung zur Herkunft der Sammlungen geben und Rückgaben diskutiert werden müssten. Für ihn sind das Entscheidungen, die von der Politik getroffen werden müssen – und keine Gefährdung der Objekte mit sich ziehen dürfen. Überhaupt scheint das Interesse der österreichischen Öffentlichkeit an den Diskussionen um ethnographische Museen verhältnismäßig gering. In Deutschland wiederum wird die Debatte über den Umzug der „außereuropäischen Sammlungen“ der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in das wiederaufgebaute Stadtschloss in Berlin-Mitte, die damit verbundene Wiederauflage/Fortführung deutscher imperialer Kultur und die Ignoranz der Intendanten des Humboldt-Forums ja seit Jahren sehr breit geführt, auch wenn sie die meisten Kritiker_innen inzwischen hoffnungslos zurücklässt. Selbst die AfD hat sich inzwischen in Form einer Großen Anfrage an die Bundesregierung mit dem Thema Provenienzforschung beschäftigt. Die Partei sieht in den Plänen, die Herkunft ethnographischer Sammlungen zu beforschen und Rückgaben anzudenken, die Gefahr einer ideologischen Überformung der Museen durch marxistisches und postkoloniales Ideengut. In akribischen Detailfragen stellte sie die Möglichkeiten der praktischen Umsetzung in Frage. Das entspricht dann auch nicht dem, was man sich an gesellschaftspolitischem Engagement im Museumsbereich erhoffen könnte.
Lebendig halten
Anfang September hat es im Brasilianischen Nationalmuseum in Rio de Janeiro einen Brand gegeben, der einen enormen Anteil der Sammlungen zerstört hat. Kommentator_innen sprachen von einem erneuten kulturellen Ethnozid: Zahllose einzigartige Zeugnisse indigener Kultur und Sprachen sind zerstört worden. Dem Brand ging eine jahrelange strukturelle Vernachlässigung der Kulturpolitik voraus. Tatsächlich könnte die Zerstörung nun ein weiteres Beispiel in Argumentationen gegen Rückgaben aus europäischen Sammlungen werden. Abgesehen davon, dass diese auch ihre konservatorischen und finanziellen Schwierigkeiten haben, lässt sich der Brand aber auch als ein weiteres Argument dafür lesen, dass es eben nicht die beste Form der Bewahrung ist, Dinge und Dokumente in Sammlungen einzusperren. Sie müssen in soziale Beziehungen eingebettet sein, in Austausch treten, ihr Wissen verfügbar gemacht werden, um lebendig gehalten zu werden.
Auch zu diesem Brand gibt es noch keine Stellungnahme des Weltmuseums. Dabei ist die Brasiliensammlung der Wiener Institution besonders umfangreich, dank der kolonialen Verstrickungen der Habsburger. Eine gute Gelegenheit also, die eigene Relevanz unter Beweis zu stellen und die Sammlungen in Brasilien und Lateinamerika verfügbar zu machen.