Eine Schnitzeljagd durch den österreichischen Werte-Keller
Seit 1975 findet sich in Artikel 9a des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes der Terminus Umfassende Landesverteidigung, zu welcher neben Militärischer, Wirtschaftlicher und Ziviler auch die sogenannte Geistige Landesverteidigung zählt. Dieser Beschluss, diese Landesverteidigung auf allen Ebenen in das Bundes-Verfassungsgesetz einzuführen, lag seinerzeit im Kalten Krieg und den daraus entspringenden Bemühungen um die Bewahrung der Neutralität Österreichs begründet. Derzeit leisten jedoch einige Männer in Österreich große Anstrengungen, diesen in die Jahre gekommenen Kettenhund wieder scharf zu machen. Manche von ihnen mögen bereits bekannt sein, da sie in diesem Land Posten von gesteigertem öffentlichen Interesse (etwa den des Bundeskanzlers) begleiten, andere führen hingegen ein ruhigeres Leben als Experten.
Die Pforten der Wahrnehmung
Door number one. Dahinter, Sie haben es sicher schon erraten, befindet sich der derzeitige Bundeskanzler der Republik Österreich, Sebastian Kurz. Sein erster Auftritt in diesem Stück fällt zurück in den April des Jahres 2013. Damals stellte er, noch als Integrationsstaatssekretär, die „österreichischen Werte“ vor, farbecht verpackt in der Rot-Weiß-Rot Fibel. Doch schon damals stand Kurz nicht allein, sondern mindestens ebenso aufrechte Männer hinter ihm, die sich nicht zu verstecken brauchten.
Door number two. Christian Stadler. Möglich, dass Sie den Namen noch nicht gehört haben, denn dieser Mann hält sich lieber im Hintergrund. Dennoch hat der Universitätsprofessor der Juristerei einige Posten inne. So etwa beim Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport, dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres und dem Bundesministerium für Inneres. Eine schöne Sammlung, die Stadler da angehäuft hat. Eine Sammlung, die ihn außerdem befähigt, dieses schwammige Gerede über „unsere Werte“ in einen akademisierten ideologischen Rahmen zu stellen. Doch bevor es zur Sache geht, noch schnell das dritte Türchen aufgemacht:
„Es geht mir in der Debatte nicht um Schnitzel und Knödel, sondern um grundsätzliche Werte wie Demokratie, Gleichheit und Toleranz.“ Richtig. Solche Brocken kann einer österreichischen Gratis-Zeitung nur der derzeitige Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Heinz Faßmann zuwerfen. Das allerdings erst heuer, am vorläufigen Ende des Stückes österreichische Integration.
Quo vadis?
Bereits in der Rot-Weiß-Rot Fibel wird von „unseren Werten“ geredet, doch darin geprüft werden nach dem 2017 erlassenen Integrationsgesetz ausschließlich „Asylberechtigte“, „subsidiär Schutzberechtigte“ und „rechtmäßig niedergelassene Drittstaatsangehörige“ und vielleicht bald Kindergartenkinder. Kritik an dieser Praxis übten neben anderen die Aktivist*innen von maiz, die festhielten, dies sei „Wertevermittlung im Sinne eines Zivilisierungsprojekt, das Grundzüge einer Kolonialpädagogik trägt“ (www.migrazine.at, 2017/02). Und tatsächlich ist der doppelte Standard auf dem Gebiet der politischen Bildung offensichtlich. Dass Menschen, die nach Österreich kommen, bereits über Werte verfügen, findet sich im Gesetz und seiner defizitorientierten Herangehensweise nicht wieder. Das Netzwerk SprachenRechte sieht daher in der gesetzlichen Verpflichtung zur Teilnahme an Werte- bzw Orientierungskursen die implizite Annahme, „Asylsuchende bzw. Migrant_innen hätten keine Werte – oder aber die falschen.“ (http://sprachenrechte.at, Stellungnahme des Netzwerk SprachenRechte zum Integrationsgesetz). Und deshalb müssen die „österreichischen Werte“ frontal vermittelt, stur auswendig gelernt und abgefragt werden.
Cui bono?
Diese Abwertung geschieht selbstverständlich weder zufällig, noch versehentlich, sondern im Gegenteil systematisch, womit die Geistige Landesverteidigung und mit ihr Christian Stadler erneut ins Spiel kommen. Denn wie der Drachentöter Siegfried muss anscheinend auch die Republik Österreich in Blut baden um unverwundbar zu werden, zumindest wenn es nach Stadler geht. Der will die träge Nation nämlich wieder mobil machen, in Zeiten in denen „Massenmigration als Waffe“ eingesetzt wird. Auf diese Publikation der US-amerikanischen Politikwissenschaftlerin Kelly Greenhill (auf Deutsch bezeichnender Weise im Kopp-Verlag erschienen) beruft sich Stadler, wenn er Bedrohungsszenarien für seine Reconquista-Fantasien entwirft. Denn unter Geistiger Landesverteidigung versteht der Polemologe „sowohl das Wissen als auch den Willen zur Verteidigung in der Bevölkerung sicherzustellen“1http://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/sipol_jvs2017.pdf . Die Verteidigung von etwas setzt selbstverständliche Feind*innen voraus, doch die sind schnell benannt, wenn Massenmigration, Globalisierung und internationaler Terrorismus dem kleinen Nationalstaat als apokalyptische Reiter gegenübergestellt werden. Dass es letztendlich um Menschen geht, leugnen jedoch weder Kurz („Ein harmonisches Miteinander aller liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen.“2http://www.staatsbuergerschaft.gv.at/fileadmin/user_upload/Broschuere/RWR-Fibel.pdf noch Stadler („Durch die auch 2018 weiterhin anhaltende Migration aus kulturfernen Räumen wird der soziale Zusammenhalt sowie der immanente Wertekonsens unserer Gesellschaft massivem Druck ausgesetzt.“3http://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/sipol_jvs2018.pdf und auch nicht Faßmann, wenn er ein „ideologisch neutrales Auftreten der Repräsentanten des öffentlichen Dienstes“ (derstandard.at, 9.9.2018) fordert und dabei die Kreuze in den Unterrichtsräumen übersieht. Doch geht es keinem unserer drei Musketiere um Menschen, sondern darum, sich eine Projektionsfläche zu schaffen, von der aus sie die Verteidigung „österreichischer Werte“ propagieren können. Umso verständlicher, wenn eine so zur Projektionsfläche degradierte Teilnehmerin nach einem 8-stündigen Wertekurs feststellt: „You think we live in tents, do you?!“4http://sprachenrechte.at/wp-content/ uploads/2018/02/Reflexionen-einer-Kursleiterin.pdf
Sapere aude
Wenn unter Werten allerdings mehr als „Wertekatalog, Sprachförderung und ein Kopftuchverbot“ (Kurier, 24.8.2018) für Kindergärten verstanden würde, wären zumindest die Posten und anhängenden Bezüge der drei Landesverteidiger gefährdet. Solange Migration jedoch genutzt wird, ein alternatives Dilemma in Verteilungsfragen zu konstruieren, werden Migrant*innen im politischen Diskurs zu einer Projektionsfläche instrumentalisiert, die dazu dient, Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren. Migration wird also tatsächlich zur Waffe gewendet, allerdings gegen Migrant*innen