Immer wieder zerbrechen Freundschaften an politischen Grundsatzdiskussionen. So wie die von Michel Foucault und Gilles Deleuze, die nach einem Zerwürfnis über die Frage von Terrorismus nie wieder ein Wort wechseln sollten.
Am 17. November 1977 wurde der Verteidiger von Andreas Baader, Gründungsmitglied der Roten Armee Fraktion (RAF), Klaus Croissant von Frankreich nach West-Deutschland ausgeliefert. Dem vorausgegangen waren massive Proteste und Solidarisierungen mit Croissant.
Zwei in Frankreich zirkulierende Solidaritätsbriefe versuchten, mit der Berufung auf das Recht nach politischem Asyl, in eine Auslieferung von Croissant zu intervenieren: einer mitinitiiert von Michel Foucault, ein anderer, der unter anderem von Gilles Deleuze und Félix Guattari unterschrieben war. Die jeweiligen politischen Ausrichtungen der Interventionen führten zum Zerwürfnis der Denker. Nie wieder sollten sie ein Wort miteinander sprechen.
Ein geteiltes Leben
Akademisches Arbeiten und Aktivismus durchzog die Freundschaft von Foucault und Deleuze. Gemeinsam gaben sie die kritische Gesamtausgabe von Friedrich Nietzsche auf Französisch heraus, intensiv engagierten sie sich im Arbeitskreis zur Situation von Gefangenen in Frankreich.
Noch 1977, zur Veröffentlichung von der englischen Übersetzung von Deleuzes und Guattaris Monumentalwerk Anti-Ödipus, steuerte Foucault ein von Überhöhungen nur so strotzendes Vorwort für die Veröffentlichung bei: „Wie muss man es anstellen, nicht zu einem Faschisten zu werden, selbst wenn (vor allem wenn) man glaubt, ein Kämpfer für die Revolution zu sein? Wie können wir unsere Diskurse und unsere Taten, unsere Herzen und unsere Lüste vom Faschismus befreien? Wie lässt sich der Faschismus austreiben, der sich in unserem Verhalten eingenistet hat?“, fragt Foucault rhetorisch, um dann direkt nachzulegen, dass eben Anti-Ödipus eine Einführung in ein nicht-faschistisches Leben sei.
Ebenfalls auf Faschismus bezog sich Guattari in der von ihm initiierten und von Deleuze getragenen Petition, wenn er von der BRD als einen faschistischen Polizeistaat sprach, der ganz Europa mit seinem Modell der Repression überziehen würde.
Mehr als Worte
Nicht unbedeutend dafür, dass Foucault den Austausch mit Deleuze abbrach, waren Guattaris Übersetzung von Mao Zedong ins Französische und das Propagieren von Guerilla-Kampfformen zum Zweck, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern und einen „revolutionären“ Kampf zu provozieren.
Deleuze und Guattari ließen es sich nicht nehmen, die Aufmerksamkeit auf den Auslieferungsfall Croissant mit größeren politischen Fragen der Zeit zu verbinden, die heute in manchen Analysen unheimlich aktuell wirken. In ihrem Artikel der Le Monde am 2.11.1977 schreiben sie: „Die Frage der Gewalt und sogar des Terrorismus bewegt die revolutionäre und die Arbeiterbewegung seit dem letzten Jahrhundert unaufhörlich in sehr verschiedenen Formen als Antwort auf die imperialistische Gewalt. Dieselbe Frage stellen sich heute im Zusammenhang mit den Völkern der Dritten Welt, auf die sich Baader und seine Gruppe berufen, wenn sie Deutschland als wichtigsten Agenten ihrer Unterdrückung ansehen.“
Foucault auf der anderen Seite initiierte eine Petition, die sich dem Problem auf einer rein juristischen Ebene annahm. Mit dem Terrorismus und „den Schützlingen die Croissant vertrat“, so Foucault, konnte er sich nicht arrangieren. Im Zentrum stand ein grundsätzlich anderes Verständnis vom Terror, der „die bürgerliche Klasse noch enger an ihre Ideologie gebunden halten“ würde und wonach sich „der Terror […] als der grundlegendste Mechanismus der herrschenden Klasse für die Ausübung ihrer eigenen Macht, ihrer Herrschaft, ihrer Hypnose und ihrer Tyrannei“ instrumentalisieren ließe. Er würde bloß blinden Gehorsam nach sich ziehen. So stellt Foucault final fest, dass „Terror für die Revolution zu verwenden […] an sich eine völlig widersprüchliche Idee [ist].“
Formen von Gewalt, gegen demokratische Staaten gerichtet, führten dazu, dass sich repressivere und Freiheit einschränkende Staatsformen durchsetzen würden. Das Muster ist evident: Dissident_innen, Kritiker_innen, Minderheiten, Frauen und final eine gesamte demokratische Öffentlichkeit erfährt Freiheitseinschränkungen.
Erst im Tod vereint
Michel Foucault sprach vom deleuzianischen Jahrhundert. Deleuze hat kurz nach Foucaults Tod über dessen Denken ein Buch geschrieben. Noch am Sterbebett erhielt Foucault nach all den Jahren Schweigen einen Genesungswunsch von Gilles Deleuze. Zu einer Aussprache sollte es aber nicht mehr kommen. Erst bei der Beerdigung erhob Gilles Deleuze seine Stimme um aus Der Gebrauch der Lüste vorzulesen: „Und wenn sie [die Philosophie] nicht, statt zu rechtfertigen, was man schon weiß, in der Anstrengung liegt, zu wissen, wie und wie weit es möglich wäre, anders zu denken?“
Die zu ihren Lebzeiten offensichtlich gewordenen grundsätzlichen Differenzen lassen sich auch in aktuellen Rezeptionen der Denker verfolgen.
Mit Bezug zum sogenannten Nahostkonflikt („Palästina/Israel“) ist nicht unspannend, dass Deleuze, wie oben im Zitat bereits angedeutet, palästinensischen Bewegungen der Zeit nahestand, Foucault allerdings von der Notwendigkeit der Existenz Israels überzeugt war. Foucault hat seit Ende der 1970er keine revolutionäre Bewegung gesehen, „auf die wir uns berufen und sagen könnten: So muss man es machen. Das ist das Vorbild.“ Um dann festzustellen, dass wir „wieder ganz von vorn anfangen“ müssen, um herauszufinden, „worauf wir die Kritik unserer Gesellschaft in einer Situation stützen können, in der die bisherige implizite oder explizite Grundlage unserer Kritik weggebrochen ist.“
Hätte Foucault diese Prämisse eines Optimismus in der pessimistischen Analyse seiner Freundschaft zu Deleuze gelebt, würden wir vielleicht ein paar Synergien der Denker und damit überschreitende Antworten auf aktuelle Probleme haben, doch stolperte Foucault über seine eigene Eitelkeit. Sollte es nicht gerade auch in Freundschaften immer die Möglichkeiten eines Neuanfangs geben, wie es Foucault für sein Denken einfordert?