Die Nachwirkungen des Krieges in Guatemala
Während des Kalten Krieges erlebte Guatemala einen der brutalsten Kriege Lateinamerikas, in dem mehr als 200.000 Menschen getötet wurden und 45.000 verschwanden. Dieser bewaffnete Konflikt fand zwischen 1960 und 1996 statt, einer Zeit, in der sich bewaffnete Aufstandsgruppen offen gegen den Staat stellten. Doch wurde bereits ein Krieg ausgetragen. Ein weniger offensichtlicher und kontinuierlicher Krieg, der von den spanischen Angriffen im 15. Jahrhundert über die „Unabhängigkeit“ und die Gründung des guatemaltekischen Nationalstaates im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht. Ein Krieg, der hauptsächlich gegen die indigene Bevölkerung geführt wird, durch Vertreibung, Akkumulation durch Enteignung und Kriminalisierung. Trotz der hervorragenden politischen Organisation und des Widerstands hat die institutionelle Justiz das Volk von Guatemala sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene im Stich gelassen. Achtzehn Jahre nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen ist die Dynamik der Gewalt noch immer nicht überwunden. Guatemala ist ein Land der Angst. Bei denjenigen, die überlebt haben, hat der Krieg tiefe Wunden hinterlassen, die ein einfaches Verständnis dessen, was eigentlich geschah, erschweren.
Im Jahr 2010 veröffentlichte Pedro Pablo Palma Lau, auch bekannt als Comandante Pancho, Sierra Madre. Pasajes y perfiles de la guerra revolucionaria (Sierra Madre. Fragmente und Umrisse des Revolutionskriegs), ein Erinnerungsbuch, in dem er seine Erfahrungen als Guerillakommandant der ORPA (Organización del Pueblo en Armas) verarbeitet. Guatemala war das erste Land in der mittelamerikanischen Region, in dem die Guerilla aktiviert wurde, und später auch das letzte, in dem diese Gruppen demobilisiert wurden. Die Neuauflage dieses Buches erfolgte im vergangenen Jahr nach der historischen Präsidentschaftswahl, die Bernardo Arévalo gewann, ein progressiver Kandidat, der eine Abkehr von der politischen Szene bedeutete, die seit dem Ende des Krieges von rechtsgerichteten Persönlichkeiten dominiert wurde und die mit der Wirtschaftselite verbunden waren.
Memoiren sind Wächter über den Lauf der Geschichte
Memoiren werden zu Mitteln, um die Vergangenheit in Bezug auf die Gegenwart herauszufordern. Im Falle der Nachkriegserinnerungen können sie zu einem Mittel der Abrechnung zwischen Sieger:innen und Opfern oder sogar zwischen Angehörigen derselben Seite werden. Können diese autobiografischen Berichte der Nachkriegszeit jedoch auch als Orte der Trauer erscheinen? Können sie als Räume fungieren, die das Verständnis für traumatische Ereignisse und die psychische und emotionale Verarbeitung ihrer verheerenden Auswirkungen ermöglichen?
Der peruanische Dichter Mario Santiago Papasquiaro schreibt, dass sich uns das Leben in Form von Fragmenten oder Splittern darbietet. In diesen kurzen und scharfen Fragmenten zeichnet Palma Lau Umrisse und Konturen des Krieges, die unvollständige Bilder von bedeutenden Ereignissen bieten, die durch Zeitlichkeiten artikuliert werden, in die sie eingeschrieben sind und die sie heimsuchen: die historische, sequentielle und chronologische Zeit des Krieges und die synchrone Zeit der Träume, der Erinnerung und des Traumas. Die Geschichten bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Realität und Fiktion. Sie sind magisch und düster, hoffnungsvoll und verzweifelt, immer mit Blick auf das menschliche Verhalten. Träume und Erinnerungen sind Prozesse, bei denen der Mensch in die Tiefen seines Wesens vordringt. Ihnen ist gemeinsam, dass sie keinen Anspruch auf eine faktische Wahrheit erheben, sondern den affektiven Kern oder die Überreste eines Ereignisses offenbaren.
Indem er in seiner eigenen vergrabenen Vergangenheit gräbt, kehrt Palma Lau immer wieder zu denselben Erinnerungen zurück; er verstreut sie, wie man Erde verstreut. Denn Erinnerung, um mit Walter Benjamin zu sprechen, „sind nur Lagerungen, Schichten, die erst der sorgsamsten Durchforschung das ausliefern, was die wahren Werte, die im Erdinnern stecken, ausmacht“. In diesem Sinne scheinen diese Passagen ein persönliches Archiv zu sein, eine Konstellation von Bildern, die so subjektiv sind und so sehr von der Zeit und der Erinnerung benutzt und missbraucht werden, wie jede Aufzeichnung, die aus dem Todestrieb geboren wird und die Fortsetzung des Lebens anstrebt. Das ist es, was Jacques Derrida das Archivfieber nannte: Es gibt kein archivarisches Begehren ohne radikale Endlichkeit, ohne die Möglichkeit des Vergessens. Was treibt einen Überlebenden eines Krieges und seiner Schrecken dazu, seine Erinnerungen aufzuschreiben, wenn nicht das Bedürfnis, anders zu leben, eine andere Zeit und einen anderen Raum zu schaffen: zu erzählen, was man erinnert nur um es sofort zu vergessen.
Erzählung des Krieges als Kontinuum
Im Gegensatz zu anderen Nachkriegserinnerungen, die konkurrierende Opfergeschichten darlegen, stellen diese Darstellungen die Vorstellung von Geschichte als einer individuellen und eindeutigen Erzählung von Ereignissen in Frage. Als ein Prisma von Passagen und Konturen, die weder einen Anfang noch ein Ende markieren können, zeigt sich die sich entfaltende Erzählung des Krieges nicht als einmaliges oder außergewöhnliches Ereignis in der Geschichte Guatemalas, sondern als ein Kontinuum, in dem ein scheinbarer Frieden einen noch nicht beendeten Krieg verdeckt. Saidiya Hartman fragt: „Wie können wir Trauer verstehen, wenn das Ereignis noch nicht zu Ende ist? Wenn die Verletzungen nicht nur andauern, sondern immer wieder neu zugefügt werden?“ Durch die Vergemeinschaftung von Trauma und Trauer prägen Palma Lau‘s Erinnerungen an den Krieg eine kollektive Trauer um eine unerträgliche Vergangenheit und eine unerträgliche Gegenwart, die zusammengehören.
Im narrativen Akt des Erzählens setzen diese Darstellungen das um, was Jonathan Shay „Vergemeinschaftung des Traumas“ nennt, das heißt den Versuch, nach der Erfahrung des Traumas einen isolierten Zustand aufzugeben. Indem er sich der Erinnerung und dem Schreiben zuwendet, setzt Palma Lau einen Trauerprozess in Gang, der ihn nicht nur aus dem Griff dieser Erfahrung und ihrer moralischen Verletzungen befreit, sondern auch – da diese Erfahrung öffentlich gemacht oder im öffentlichen Raum sozialisiert wird – andere dazu bringt, mitzuerleben, irgendwie Teil dieses Prozesses zu sein. Indem er die unerträgliche Erfahrung des Krieges aufarbeitet, sie umschreibt und sozialisiert, überlebt er schließlich die Gegenwart.