MALMOE

Traumtagebuch

Ein Streuner hackt den Code

Ein Tauchgang in die Untiefen des Gender-Sumpfes

Seit über zwanzig Jahren bekomme ich regelmäßig Besuch. Ein kleiner weißer Cesar Terrier (benannt nach der Hundefuttermarke, für die er in den 1990er und Nullerjahren die Werbeschnauze war), ein Streuner, diffundiert leichtfüßig durch meine Traumwelten und spaziert in die verschiedensten Szenarien. Er ist eine Konstante, denn wir spielen jedes Mal dasselbe Spiel: Der kleine Hund leistet mir mehrere Traumsequenzen lang Gesellschaft, das mitunter über Jahre! Doch sobald wir an Wasser vorbeikommen, egal, ob See, Bach oder Pfütze, springt er hinein und löst sich auf. In den ersten Jahren mit dem Hund war meine Erschütterung groß, meine Trauer um ihn nur schwer auszuhalten. Befremdlich in meiner Traumwelt erschien mir immer, dass ich die einzige war, die so empfand. Alle anderen waren sich stets bewusst darüber, dass der kleine Terrier gradewegs auf das Wasser zustreben und sich darin auflösen würde. Dabei ist es doch die Ontologie des Hundes, zu gehorchen und als ein ko-abhängiges Haustier an meiner Seite zu bleiben? Nun, das mir vertraute Konzept des Hündischen war ausgehebelt. Wer ist dieser kleine Deserteur?
Kurz nach meinem elften Geburtstag wurde ich, um meine Mutter zu zitieren, „erwachsen“. Aus allen Poren meines Körpers sprießten plötzlich Haare, befremdliche, amorphe Formationen wölbten sich aus Brust und Po und ich stank auch etwas. Mein Beinhaar war so dicht, dass ich manchmal Ameisen oder Mücken dabei beobachtete, wie sie verloren in diesem Dschungel aus Kreatin um ihr Leben kämpften. Ich war stolz auf diese Üppigkeit. Mit langen, ungestuften Haaren bis zur Hüfte, einer dichten Monobraue und 7/8-Baggy-Pants verbrachte ich noch einige Monate im Skatepark, bevor die unsichtbare Hand der Heteronormativität mich in einen neongelben Stringtanga gequetscht hatte und ich mir einen blond gesträhnten Vokuhila verpassen ließ. Beides liebte ich seinerzeit heiß. Fortan stakste ich ungelenk und glattrasiert wie ein Apfel in Cowboystiefeln zur Schule. Passionierte Leidenschaft und tiefe Verzweiflung über diese zunehmende geschlechtliche Eindimensionalität reichten sich im Wochentakt die Hand. Der Phase der Hyperfeminität folgten weitere, teilweise drastische, Versuche (Dreadlocks!) der äußerlichen Repräsentation dessen, wofür ich bis heute keinen Namen kenne. In keinem der mir bekannten Konzepte des Queer-Feminismus fühle ich mich zuhause. Das liegt zum Teil an den begrifflichen Konstruktionen ihrer Theorien, die für mich unzugänglich sind. Zum Teil auch an den subkulturellen Codes und Vertreter*innen, deren expressiven Eifer ich nachvollziehen kann, aber selbst nicht im größeren Ausmaß wage. Auf der rationalen Ebene erscheint mir als Widerspruch, dass sie noch immer an Sprache und Ästhetik gebunden sind und sich daher die gesellschaftlichen Widersprüche, in die sie verwickelt sind, zwar besser aushalten, aber nie auflösen lassen. Aber Träume sind nicht die Sprache der Rationalität.
Vielleicht ist der kleine Hund, der nie einen Namen bekam, ein Agent dieser ambivalenten Wahrnehmung, dieser Leerstelle, dieses Bedürfnisses. Denn er besucht mich immer dann, wenn ich in meinem wirklichen Leben in Gender-Stress gerate. Nie schlägt er sich auf eine Seite, nie lässt er sich auf einen krummen Belohnungs-Deal ein, wie es ein wirklicher Hund tun würde und ich es im wirklichen Leben tat, nie lässt er sich rufen und nie bleibt er, nur weil ich es möchte. Er kommt, um zu zeigen, dass er auch wieder gehen kann: Sich zu entziehen ist auch eine Option. Aus dem Anderen, der sich nicht fügen will und kann, wird ein Teil einer Totalität, vorausgesetzt, dass Totalität anders gedacht werden kann. Mitunter fühle ich mich in meinen Träumen wie eine Verräterin an mir selbst. Die erlebte Außenwelt im Traum ist das Innen meines Bewusstseins, und in diesem sind alle äußerst convenient mit dem entgrenzten Erscheinungskonzept dieses Terriers. Nur ICH bin es, die durch den unumstößlichen Glauben daran, dass ein Hund sich nicht auflösen sollte, in die Krise gerät. Oft fühle ich mich nach dem Aufwachen, als wäre ich mir selbst ein lästiger Eindringling, eine Dogmatikerin, eine gesellschaftlich geformte Unbelehrbare. Eine, die einen vermeintlich noch viel ärger zugerichteten braucht, einen Domestizierten, um zu begreifen, dass ein Ausweg aus dem Fiasko der gewaltvollen Vergeschlechtlichung im Fühlen bereits möglich ist, wo es die Verhältnisse, die unsere Wirklichkeit formen, noch verbauen.