MALMOE

„Es war ein schönes, kämpferisches Leben.“

Gesellschaftliche Widerstände erforschen

Karin Berger im Werkstattgespräch

Vor über 40 Jahren situierten sich die kollektiven Arbeiten des Frauenforschungsvereins von Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori an einem gesellschaftlichen Wendepunkt zur Auseinandersetzung von Österreichs Rolle im Nationalsozialismus. Die Werke intervenierten in den vorherrschenden Opfermythos und trugen den beginnenden Perspektivwechsel zu Österreich als Täterstaat mit. Ab Mitte der 1980er Jahre erschienen die beiden Filme Tränen statt Gewehre (1983) und Küchengespräche mit Rebellinnen (1984) sowie die zwei Bücher Der Himmel ist blau. Kann sein. (1985; Neuauflage 2024) und Ich geb Dir einen Mantel… (1987). Diese Werke nähern sich der Thematik an, ausgehend vom Widerstand von Frauen im Nationalsozialismus.

Im Gespräch mit Karin Berger interessiert uns das Nachdenken über und Erforschen von gesellschaftlichem Widerstand und die Arbeit mit Partisaninnen, besonders vor dem Hintergrund einer doppelten Intervention des Forschungskollektivs: in die vorherrschende, patriarchal geprägte, akademische Forschungslandschaft sowie im Fokus auf Frauen als Handelnde ihrer eigenen Geschichtsschreibung.

MALMOE: Euer Projekt war der erste Vorstoß dieser Art, Frauen im Widerstand zu interviewen. Was glaubst du, warum passierte das erst in den 1980ern? Wie war das gesellschaftliche Klima, als ihr eure Arbeiten begonnen habt?

Karin Berger: Der erste Film kam 1983 heraus und das erste Buch 1985, bis dahin war das Thema quasi eine Leerstelle. Es hat sich irrsinnig lange hingezogen, bis in der 2. Republik gesamtgesellschaftlich über den Nationalsozialismus und die Beteiligung daran geredet worden ist, aber nochmals länger, bis endlich Widerstand und auch Widerstand von Frauen zur Sprache kamen. Partisan_innen waren sowieso die Ober-Landesverräter_innen, weil sie gegen die Wehrmacht kämpften, die sich ja aus Männern fast aller Familien rekrutierte.

Der Umgang in den Familien war sicher unterschiedlich, deswegen kann ich jetzt nur von mir sprechen: Ich komme aus einer klassischen Mittelstands-Mitläuferfamilie. Meine Mutter hat ein schlechtes Gewissen gehabt. Aber mein Vater glaube ich eher nicht.

Er wollte überhaupt nicht darüber reden. Doch meine Mutter konnte ich fragen, mit der habe ich dann ganz spät einmal ein Interview gemacht. (1)

Aber größtenteils war da wirklich das große Schweigen, es ist nichts drüber geredet worden. Irgendwie wäre es peinlich gewesen, darüber zu reden.

Ich war einmal mit meinen Eltern als etwa Zwölfjährige in Ost-Berlin. Da gab es ein Denkmal, einen Riesenstein in so einer Art Tempel, mit einer Inschrift, wo auch das Wort Faschismus stand. Ich habe meine Mutter gefragt, was denn Faschismus ist. Sie hat dazu nicht viel sagen können. Ich denke, da erst hat sich bei mir diese Frage gebildet: Was ist denn damals eigentlich alles passiert?

Mir fiel dann zu Hause ein Buch von Zeitzeug_innen in die Hände, in dem auch von Massakern berichtet wurde. Bis dahin hatte ich über die Massenmorde und die Verbrechen weder etwas in der Schule gelernt noch durchs Fernsehen mitbekommen. Das Buch habe ich allein in meinem Zimmer gelesen, das hat mich dann wie ein Blitz getroffen, irgendwas ist da in mich eingefahren. Aber auch darüber konnte ich mit niemandem sprechen.

Wie ging dann deine Arbeit am Thema von Frauen im Widerstand los?

Als unser Kollektiv Anfang der 1980er Jahre begann, Frauen, die im Widerstand waren, zu suchen, haben wir zwar vermutet, dass es sie gibt, aber wir haben quasi fast nichts darüber gewusst. Auch wenn ich damals auf irgendwelchen Wohngemeinschaft-Parties zum Beispiel gefragt wurde, was ich gerade so mache, dann war die Reaktion auf das Projekt immer: „Achso? Wie? Hat es das gegeben?“ Das war überhaupt nichts Selbstverständliches. Ehrlich gesagt kann ich mir mittlerweile selber kaum mehr vorstellen, wie diese Atmosphäre damals war.

Im Frauenforschungsverein, den wir gegründet hatten, wollten wir also dieser Idee nachgehen. Wir bekamen einen Kontakt zu Anni Haider und führten eine Art Testinterview mit ihr. Sie hat wahnsinnig viel zu erzählen gehabt, weil sie sich in die politischen Kämpfe förmlich reingeschmissen und in ihrem Leben sehr viel erlebt hatte.

Von diesem ersten Austausch mit ihr waren wir alle sehr aufgewühlt. Das war der Moment, wo wir wussten, dass wir dieses Projekt in Angriff nehmen wollen. Wir machten uns auf die Suche nach weiteren Frauen. Von Anni Haider bekamen wir Adressen von Frauen, die mit ihr im Gefängnis waren, wir recherchierten, fragten herum und fanden Frauen in allen österreichischen Bundesländern. Es war uns wichtig, sowohl den individuellen als auch den organisierten Widerstand zu repräsentieren und alle politischen Lager oder religiösen Hintergründe, aus denen heraus Frauen aktiv geworden waren, zu berücksichtigen. Wir lasen auch viel, um zu versuchen, die Zeit zu verstehen und die Bedingungen zu begreifen, unter denen die Frauen Widerstand geleistet hatten.

Wie seid ihr mit dem Forschungsprojekt vorgegangen, was waren eure Schwerpunkte?

Wir führten ja lebensgeschichtliche Interviews und waren uns einig, dass wir uns sehr stark auf die Sozialisation konzentrieren wollten. Wir wollten, wie ich das schon einmal in MALMOE formuliert habe, wissen: Wieso waren Frauen in den Widerstand gegangen? Welche Faktoren haben sie in Kindheit und Jugend beeinflusst? (2) Wie kommt es dazu und wodurch entwickelt sich eine Person zu jemandem, der Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Terror leistet, und nicht zu jemandem, der einfach alles, was man mit Mensch-Sein verbindet, ausblendet und unvorstellbare Gräuel begeht?

Ihr habt recht früh und intuitiv mit der Oral History Methode gearbeitet, bei der Zeitzeug_innen befragt werden und Geschichte aus ihrer persönlichen Wahrnehmung aufgenommen wird. Wie kam es dazu?

Es war nicht so, dass wir uns von vornherein entschieden hätten, mit der Methode der Oral History zu arbeiten. Auch wenn sie damals schon praktiziert wurde, wie etwa von Lutz Niethammer, der für uns so eine Art Vorbild war. Wir wollten erst einmal intensive und umfangreiche Interviews machen, um die Geschichten der Frauen möglichst umfassend dokumentieren zu können. Aber im Endeffekt haben wir dann wissenschaftlich mit Oral History gearbeitet, die damals als Methode noch sehr umkämpft war. Wir haben ein Auswertungsraster mit „Sozialisation“, „politische Einstellungen der Eltern“, „ökonomischer Status“ und so weiter erstellt und Kriterien entwickelt für die Beschreibung und Analyse der Formen des Agierens. Das waren unter anderem das Sabotieren in Betrieben der Rüstungsproduktion, Aufklärungsarbeit über die aktuelle Kriegslage, Versuche, Wehrmachtssoldaten für die antifaschistische Arbeit zu gewinnen, Unterstützung von Partisan_innen, der Kampf in ihren Bataillonen und nicht zuletzt der Widerstand der Frauen bei den Verhören durch die Gestapo. Das und noch vieles mehr haben wir in Raster der Auswertungsbögen eingetragen. Zu Beginn erschien uns das recht handgestrickt, aber im Grunde ist eine super Datenbank daraus entstanden. Auf der Basis dieser Auswertung konnten wir die Zusammenfassung für die beiden Bücher erarbeiten, sie war unter anderem auch maßgebend für die Auswahl der Interviews und die Passagen für das Buch.

Eure Arbeiten sind in kollektiven Prozessen entstanden, wie beschreibst du die Arbeit im Kollektiv?

Also vom Praktischen her haben wir es so gemacht, dass wir alle vier recherchiert haben, in Archiven, bei den KZ-Verbänden, in der Fachliteratur und durch Herumfragen. Von Zeit zu Zeit haben wir uns getroffen und ausgetauscht. Die wesentlichen Punkte haben wir alle gemeinsam diskutiert und geklärt, wie wir vorgehen möchten, und uns erarbeitet, welche Struktur die Bücher haben sollen.

Das Editieren war ein schwieriger Prozess. Wir haben die Texte sehr behutsam redigiert. Wir haben Teile aus den Interviews genommen, die uns für das ganze Buch oder für ein Kapitel wichtig erschienen. Sprachlich sind wir sehr vorsichtig vorgegangen, wir wollten die Art und Weise des Sprechens der Frauen aus den verschiedenen Gebieten Österreichs möglichst erhalten. Die kollektive Arbeit ging so vor sich, dass wir gemeinsam die Auswahl und den Schwerpunkt eines Textes besprachen, dann übernahm eine von uns die Bearbeitung, die wurde dann von uns allen gelesen, diskutiert und korrigiert. Das hat dem Ganzen immer sehr gutgetan. Wir haben alles im Kollektiv zusammengetragen und sehr gut zusammengearbeitet. Trotz der vielen Arbeit lief es recht konfliktarm ab. Wir waren einfach sehr motiviert, deswegen hat das alles so gut funktioniert.

Erst beim letzten Buch ist es dann ein bisschen ins Wackeln gekommen. Die viele Arbeit für sehr wenig Geld war schwer durchzuhalten. Wir haben bei diesen Projekten ja kaum etwas verdient.

Ich glaube, insgesamt war es die Motivation, die uns zusammengehalten hat. Und einfach diese Beglückung durch diese Arbeit mit den Frauen.

Die Interviews mit den Frauen habt ihr fast immer zu zweit durchgeführt, wie lief das ab?

Das war schon sehr wichtig. Es gab beim Interview meist eine Hauptbezugsperson und eine weitere Frau von uns, die der Interviewten noch nicht bekannt war. So konnten Fragen noch einmal gestellt werden und die Frauen waren motivierter, eine Episode noch einmal zu erzählen. Gleichzeitig war durch die frühere Bezugsperson auch schon Vertrauen da. Für die zusätzlichen Videointerviews, die wir mit elf Frauen machten, haben wir ihre Lebensgeschichten schon sehr genau gekannt.

Gerade, dass ihr auch mit Partisan_innen gesprochen habt, war ein Meilenstein. Welche Herausforderungen stellten sich bei solch einem Unterfangen?

Als gesellschaftliches Thema kam der Kampf der Partisan_innen sehr spät auf. 2002 und 2006 hat die slowenische Filmregisseurin Andrina Mračnikar zwei Filme zum Thema gemacht und erst 2012 hat Peter Handke das Thema in Immer noch Sturm aufgenommen, 2013 Maja Haderlap in ihrem Buch Engel des Vergessens .Dass Zala als Partisanin in Küchengespräche mit Rebellinnen eine der vier erzählenden Protagonistinnen ist, war 1984 schon sehr besonders.

Allgemein war es schwieriger, Partisan_innen zu interviewen, weil sie halt immer noch als sogenannte „Bandit_innen” diffamiert waren. Wenn ich jetzt so zurückdenke, erinnere ich mich an die Atmosphäre, wie wir bei Jelka in der Wohnung in Eisenkappel, Kärnten waren. Sie erzählte von der Frau eines ehemaligen SS- oder SA-Mannes, die vis-a-vis von ihr wohnte. Die hat immer die Uniform ihres toten Mannes geputzt und zum Fenster gehängt. Das war für mich so ein arges Bild: Da ist die Widerstandskämpferin Jelka und gegenüber hängt die Frau die Uniform raus. Das war wie ein Theater. Diese Enge und die Nähe von Leuten, die einander bekämpft haben, das habe ich dort als sehr bedrängend empfunden.

Und auch für Zala war die Situation schwierig. Ihr Sohn wollte nicht, dass sie uns ihre Geschichte erzählt. Wir mussten immer schauen, dass sie Briefe direkt bekommt, nicht in ihren Postkasten, der weiter unten von ihrem Haus am Berg lag. Und ich habe von Bekannten gehört, dass Leute im Wirtshaus von Zala als Banditin und Hexe gesprochen haben. Diese gesellschaftliche Stigmatisierung gegenüber den Partisan_innen war sehr schlimm. Das ist oft sehr traurig gewesen.

Was habt ihr von euren Arbeiten mitgenommen?

Dass wir Frauen gefunden haben, die uns ein anderes Frauenbild geschenkt haben, als das, was meine Generation aus den 1950er- 1960er Jahren, also vor 1968, vermittelt bekam – halt Hausfrau und Mutter zu sein und nicht aufzubegehren.

Sofort nachdem wir kapierten, was da für ein Schatz lag, war unsere wichtigste Motivation, die Stimmen der Frauen in die Öffentlichkeit zu bringen. Ich bin immer wieder verwundert, dass niemand die Frauen vor uns gefragt hat. Viele von ihnen haben es nicht einmal der Familie erzählt. Und sehr viele Frauen haben sich damals, wie auch heute noch, sehr unterschätzt. Sie haben im Widerstand gegen den Faschismus ihr Leben riskiert, aber sie machten halt keine große Sache daraus.

Welche Rolle spielte die Universität bei euren Arbeiten?

Die Universität spielte nur insofern eine Rolle, als wir für eine wissenschaftliche Förderung eine Projektleitung brauchten und drei oder vier Professor_innen danach fragten. Sie meinten, dass sie das Projekt nicht leiten könnten. Begründungen gab es keine, soweit ich mich erinnere, vielleicht: keine Zeit. So hatten wir keine Leitung, das hat den kollektiven Charakter unserer Zusammenarbeit dann verstärkt. Aber ohne Geld konnten wir diese umfangreiche Arbeit wirklich nicht machen. Wir haben dann unser Projekt trotzdem beim Ministerium eingereicht und es auch bekommen. Das war genial. Es war eine ganz unübliche Vorgangsweise, denn drei von uns haben noch studiert, nur eine hatte schon einen Universitätsabschluss. Aber das Thema wurde als wichtig erachtet, wir hatten überzeugend argumentiert und es wurde auch verstanden, dass nicht mehr viel Zeit blieb, es durchzuführen, weil viele Frauen ja schon recht alt waren.

Ich meine in Italien, Frankreich, überall haben sie Filme über die Partisan_innen ihres Landes gemacht. Ob die Filme gut oder schlecht sind, aber sie haben sich dem Thema gewidmet. In Österreich gab es lange gar nichts, das hat sich ab Beginn der 2000er Jahre geändert, aber ein großer Spielfilm existiert immer noch nicht. Würde man Leute fragen, ob es denn Partisan_innen hier in Österreich gegeben hätte: Nie etwas gehört! Und die Slowen_innen haben es heute immer noch schwer mit der Anerkennung.

Ist Sichtbarkeit auch einer der Gründe, weshalb ihr das Buch Der Himmel ist blau. Kann sein. jetzt noch einmal neu aufgelegt habt?

Wir haben in der Neuauflage zwar auch eine weitere Partisanin aufgenommen, Gusti Hölzl. Aber der Grund für die neue Auflage war, dass sich der Verlag an uns gewandt hat, weil es vergriffen ist. Ich habe mir ehrlich gesagt schon lange gedacht, dass es neu aufgelegt gehört. Auch damit es nicht in Vergessenheit gerät. Es sind ja mittlerweile viele neue Bücher rausgekommen, Monografien, Autobiografien und Biografien. Zum Teil haben Frauen, die in unserem Buch sind, später selber was geschrieben, oder es hat jemand über sie geschrieben. Ich finde unser Buch mit dieser Vielstimmigkeit immer noch super. Wenn ich in Der Himmel ist blau. Kann sein reinlese oder auch das Buch über’s KZ (Ich geb Dir einen Mantel…), sehe ich diese vielfältigen, toll erzählten Erinnerungen. Du spürst einfach die Dichte, und diesen umfangreichen Hintergrund, den es da gibt und auf dem diese Bücher basieren. Der zieht sich ganz zart rein in die Erzählungen. Ich finde es eine ganz ganz wichtige Arbeit, und ich möchte nicht, dass diese vielen Stimmen vergessen werden. Es wäre schön, wenn der Verlag auch das zweite Buch neu auflegen würde, das wäre super.

40 Jahre hat sich niemand interessiert, auf einmal kommen da Leute und wollen etwas über dein Leben wissen. Wie hat es auf dich gewirkt, diese Frauen zu treffen und sie zu ihrer Vergangenheit zu fragen, nach der sie weder die Gesellschaft noch ihre Familie je gefragt hat?

Ich denke, unser Interesse und dass wir gekommen sind, war für sie eine kleine Anerkennung. Wir haben anerkannt, was sie gemacht haben und was sie selbst meist als selbstverständlich empfunden haben – was ja für uns absolut nicht selbstverständlich war. Das war einfach ein sehr schönes Gefühl.

Die Frauen zu besuchen und zu fragen, war aber auch manchmal ambivalent, weil das Erinnern immer damit verbunden ist, dass es sehr anstrengend war für die Frauen, ihre Geschichten zu erzählen. Es ist immer mit Tod, Schmerz und Verlusten verbunden und mit den persönlichen und allgemeinen Konfrontationen mit der damals gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation. Es war auch schwierig, weil wir gemerkt haben, wir wühlen da etwas auf und gehen dann wieder. Zu manchen Frauen haben wir längere Beziehungen oder Freundschaften entwickelt, aber du bist dann halt trotzdem weg. Leichter war es, wenn die Frauen mit jemand anderem gelebt haben. Es gab auch einige, die aus psychischen Gründen überhaupt nicht erzählen konnten.

Viele der Frauen, die ich kennengelernt habe erzählten so ohne Selbstmitleid, das war unglaublich. Ich denke, sie haben eine große Fähigkeit, sich mit der Realität zu konfrontieren. Mir fällt immer Hanna Sturm aus dem Burgenland ein, die im KZ Ravensbrück inhaftiert und dort die sogenannte Sturm-Kolonne aufgebaut hat, ein Arbeitskommando aus circa 24 Handwerker_innen, die sich relativ frei im Lager bewegen konnten, weil sie vieles reparieren mussten. So konnten ziemlich viele Verbindungen mit anderen Insass_innen hergestellt und manches in den Handwerkskästen transportiert werden. Als Kommunistin war Hanna 1938 sofort verhaftet und deportiert worden. Nach 1945, wieder im Burgenland, gab es eine Mordattacke auf sie. Von der Gemeinde hat sie einen Schottergrund gekriegt, wo sie selber ein Haus drauf gebaut hat. Das ist alles unvorstellbar. Und ich habe sie dann im Videointerview gefragt, was denkst du über dein Leben, wenn du zurückschaust? Und sie hat gesagt: „Es war ein schönes, kämpferisches Leben.“ Das musst du einmal so sagen können. „Es war ein schönes, kämpferisches Leben“, obwohl du Tod, Verderben, Mord, Angriffe auf das eigene Leben, all das direkt miterlebt hast. Und seit dem 12. oder 13. Lebensjahr in der Fabrik gehackelt hast. Diese kämpferische Haltung mit diesem positiven Bezug auf das eigene Leben fasziniert mich.

Was hat diese Auseinandersetzung mit deinem Nachdenken über Widerstand gemacht? Was heißt das für dich?

Widerstand heißt für mich, sich möglichst ausbeuterischen und kriegerischen Verhältnissen entgegenzustellen. Und das kannst du halt auf sehr vielen verschiedenen Ebenen. Das heißt nicht, dass man in der ersten Reihe im politischen Kampf steht. Du kannst das ja auf sehr verschiedene Weise machen. Ich mach’s durch meine Arbeiten. Ich bin jetzt politisch nicht irgendwie organisiert in einer Partei oder so, weil sich das zeitmäßig gar nicht ausgehen würde.

Jetzt einmal so allgemein gesagt, den Verhältnissen möglichst entgegenwirken. Und die Formen sind dann verschieden, natürlich muss man sich organisieren, nur isoliert, allein geht’s nicht. Man kann individuell schon was machen, aber man muss halt auch in einen Kontext eingebettet sein.

Interview MALMOE

Anni Haider: Arbeiterin, kommunistische Widerstandskämpferin aus Wien, nahm bereits an den Februarkämpfen 1934 teil, Emigration in die Sowjetunion, 1938 Rückkehr nach Wien und Arbeit für die KPÖ im Untergrund bis sie 1941 verhaftet und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, nach ihrer Befreiung 1945 weiter aktiv für die KPÖ und die kommunistische Frauenbewegung.

Jelka (Helene Kuchar): kärntnerische Slowenin, Bäuerin, ab 1943 Unterstützung der Partisanen und politische Agitation, wurde im Oktober 1944 denunziert und floh zu Partisanen der „Osvobodilna Fronta” (OF), dort Parteischulung, Beitritt zur Kommunistischen Partei, wurde Funktionärin der OF, anschließend illegale Tätigkeiten in Kärnten, nach ihrer Festnahme Februar 1945 unternahm sie einen vergeblichen Selbstmordversuch, nach der Befreiung weiterhin Funktionärin der OF, ab 1947 Vorsitzende der „Antifaschistischen Frauenfront”

Zala (Johanna Sadolschek): kärntnerische Slowenin, Bäuerin, ab 1942 Unterstützungsleistungen für Partisanen („Osvobodilna Fronta”), ab 1943 bei der „Antifaschistischen Frauenfront” zur Organisation der Unterstützung, im Oktober 1943 Verhaftung und anschließende Flucht zu den Partisanen, Arbeit in der politischen Abteilung der OF, Kampfhandlungen und Funktionärin der Frauenbewegung, nach 1945 Sekretärin des Verbandes slowenischer Frauen

Johanna Sturm: burgenländische Kroatin, Arbeiterin, Kommunistin, organisierte mit 14 Jahren den ersten Streik und nahm bereits im Ersten Weltkrieg an Sabotageakten und Streiks teil, direkt nach dem „Anschluss” verhaftet und ab Juni 1938 ins Frauen-KZ Lichtenburg verschleppt, anschließend im KZ Ravensbrück, wo sie in einer Handwerkerkolonne Hilfeleistungen und Widerstandsaktivitäten organisierte, Befreiung im April 1945, schrieb 1958 ihre Autobiografie: „Die Lebensgeschichte einer Arbeiterin. Vom Burgenland nach Ravensbrück” (1982 veröffentlicht)

(1) Zwischen Eintopf und Fließband. Frauenarbeit und Frauenbild im Faschismus. Österreich 1938-1945, Wien 1984. Verlag für Gesellschaftskritik.

(2) „Die Frage war immer: Wieso gehen Frauen in den Widerstand?“ in MALMOE#106