MALMOE

Erotik-Metropole Wien

Neben Paris und Budapest gilt besonders Wien als Zentrum erotischer Bildproduktion in den frühen 1910ern. Daniela Zahlner hat sich mit der ersten Filmproduktionsfirma Wiens und einer der größten Erotikfilmproduktionen des frühen Kinos beschäftigt. Heuer stellte sie ihre filmische Aufarbeitung auf der Diagonale vor. 

Letztes Jahr im Winter fragte mich Daniela Zahlner, ob ich Lust hätte, bei ihrem Filmprojekt Saturn Return als Protagonist mitzuspielen. Ihre Arbeit dreht sich um ein Reenactment von frühen Arbeiten der Erotikfilmproduktionsfirma Saturn, die zwischen den Jahren 1906 und 1911 um die fünfzig Filme in Wien produziert hat. Ich fand die Idee gleich spannend. Mit drei weiteren Personen stellten wir in einem Studio vor der Kamera eine Szene aus den frühen Filmen nach.
Heuer hatte der Film auf der Diagonale in Graz Premiere und ich traf mich mit Daniela, um über diese eher unbekannte Wiener Geschichte der Erotikfilmproduktion zu sprechen. 
„Neben Wien waren Paris und Budapest extrem lebendige Großstädte, in denen erstes erotisches Bildmaterial produziert wurde. In Paris wurden die ersten erotischen Bewegbilder aufgenommen. Doch war es in Wien, wo erstmals splitternackte Frauenkörper auf einer Leinwand zu sehen waren. Es waren Stummfilme, die für unsere heutigen Sehgewohnheiten stark durch ihre Slapstick-Ästhetik auffallen und eher patschert rüberkommen”, erzählt Daniela. Die Filme von der Produktionsfirma Saturn entstanden in einem Wien, das geprägt war von einem starken Begehren nach erotischem Ausdruck und dem Zur-Sprache-Bringen von Sexualität: zum einen gerahmt von Freuds Psychoanalyse und der Erotikbuch-Veröffentlichung von Josefine Mutzenbacher: Die Geschichte einer Wienerischen Dirne. Doch war es zum anderen besonders die Veröffentlichung Der heilige Skarabäus von Else Jerusalem, die 1909 sowohl für Aufsehen sorgte, aber Daniela gerade auch als Wissensquelle diente, um ihre filmische Arbeit zu verorten. Else Jerusalem thematisierte, ebenso wie das Werk Josefine Mutzenbacher, Prostitution. Als Gesellschaftsstudie beschäftigte sie sich allerdings explizit mit Erfahrungen von Prostituierten in einem Bordell und zog Verbindungen zum bürgerlichen Milieu der Zeit. Bereits mit Erscheinen als „Unsittenroman” diffamiert, wurde das Buch 1933 schließlich durch die Gestapo verboten und verbrannt. Kurz nach der Veröffentlichung sah sich die jüdische Autorin und Aktivistin der bürgerlichen Frauenbewegung gezwungen, nach Buenos Aires zu fliehen. Bis dahin erschien der Roman von Else Jerusalem bereits in der 22. Neuauflage und zeugt von Interesse am Thema.
„Armutsbetroffene Frauen, die oft aus dem ländlichen Umland der Habsburgermonarchie und darüber hinaus nach Wien gezogen waren, könnten sich”, so vermutet Daniela, „auch unter den Protagonistinnen der frühen Erotikfilme sowie als Sexarbeiterinnen wiedergefunden haben, da sich im damaligen Wien wegen der hohen Arbeitslosigkeit schwer Jobs finden ließen.“ Neben den Parallelen zu Migration und Sexarbeit heute waren es auch damals mit ziemlicher Sicherheit fast ausschließlich Männer, die in die Vorführungen der Filme gegangen sind. 
„Über einen Katalog, in dem die Filme mit kleinen Bildern und werbetextähnlichen Beschreibungen zur Auswahl standen, konnten die Filme zur Projektion ausgeliehen werden. Die Veranstaltungen, in denen die Filme gezeigt wurden, hießen plump, aber bezeichnend ‘Herrenabende’.” So traf man sich, um gemeinsam Erotikfilme zu schauen. So lief das Geschäft bis 1911 ab. „Durch den Druck aus dem Ausland wurden”, wie Daniela recherchierte, „die Filme als unsittlich klassifiziert und in der Monarchie dann schließlich verboten.” 
Die hochentzündbaren Nitrofilmrollen sollten, so erzählt es eine Anekdote, mit einer Axt zerstört werden, sodass es technisch unmöglich war, sie weiter vorzuführen. Während wohl einige Rollen aus den Lagern verschwanden und später wieder auftauchten, sind andere durch ein sanftes Ausführen des Axthiebes instand geblieben. Umkopieren, um das Material über die Zeit hinweg zu retten, ist kostspielig. „Welche Bedeutung wurde dem Material zugeschrieben und welche Filme sind erhalten geblieben, welche wiederum unwiederbringlich zerstört?“, fragt Daniela.
Für ihre eigene filmische Arbeit hat Daniela Zugriff auf das Material vom Filmarchiv Austria, wo sie selbst viele Jahre gearbeitet hat und auch einige der Nitrorollen selbst digitalisierte. 
Zusätzlich zur Zensur in der Habsburgermonarchie war sicherlich auch der Tod des Produzenten Alois Schwarz, der nach der Einberufung für den 1. Weltkrieg im Krieg verstarb, ein Grund dafür, dass die Saturnproduktion nicht weitergeführt werden konnte. Neben der spärlichen Quellenlage – es gibt zwei Veröffentlichungen, die sich explizit um die Filme drehen und fast ausschließlich von Männern verfasst wurden – verwundert Daniela besonders, dass bis dato keine Weiterbearbeitungen der Arbeiten im Kunstbereich stattgefunden haben.

Gespräch zwischen Daniela Zahlner 
und Teo Klug