MALMOE

Direkter geht’s nicht

Die Regisseure Guillaume Cailleau und Ben Russell beobachten 
in ihrem neuen Film Direct Action was bei Besetzungen abseits großer Demonstrationen passiert.

Mit dem Auge einer Kamera betrachtet, ist es egal, ob es sich um ein besetztes Haus, die Besetzung eines Waldes oder ein Protestcamp auf einem Campus handelt. Unabhängig von ihren edlen oder fragwürdigen Anliegen, teilen die Protestformen, ist ihre klandestine Phase einmal überschritten, einen gewissen Hang zur Exzentrik. Einen solchen Hang hatten bereits die sowjetischen Kinoki in den 1920ern für sich entdeckt und spätestens seit den 1960ern, ausgestattet mit leichter Kameratechnik und gedankenschwerer Gegenöffentlichkeit, war er fixer Bestandteil des Dokumentarrepertoires. Wo dabei die Grenze zwischen Film und Engagement verläuft, wird seit der Debatte zwischen Klaus Kreimeier und Klaus Wildenhahn vor allem von Filmemacher:innen deutscher Provenienz turnusartig durchreflektiert.
Davon weiß auch der neue Film Direct Action von Guillaume Cailleau und Ben Russell, der im Februar 2024 auf der Berlinale seine Premiere feierte. Dort wurde er prompt als bester Film der Kategorie Encounters ausgezeichnet und erhielt dann in Paris noch den Grand Prix des Festivals Cinéma du Réel. Zwischen den Jahren 2021 und 2023 begleiteten die beiden Filmemacher das großflächige Besetzungsprojekt ZAD de Notre-Dame-de-Landes in der Nähe von Nanterre. ZAD steht für zone à défendre – in diesem Fall ein Areal, auf dem einer der größten Flughäfen Frankreichs, errichtet werden sollte. Das rief bereits in den 1960ern Umweltschützer:innen und ansässige Landwirt:innen auf den Plan.
Mitte der 2000er-Jahre war das Budget aufgestellt und man ging davon aus, das Bauvorhaben bis 2017 zu beenden. Unterdessen besetzten allerdings Ortsbewohner:innen, die umgesiedelt werden sollten, ihre Höfe mit zahlreichen Unterstützer:innen. Nach mehreren gescheiterten Räumungsversuchen inklusive folgender Großdemonstrationen, entstand dabei über Jahre hinweg eine autonome dorfähnliche Infrastruktur mit eigenen Bäckereien, Sanitäranlagen, Küchen, Bars und einem Piratensender. All das erlaubte es, Räumungen der miteinander verbundenen Besetzungen weitgehend zu verunmöglichen, wofür auch andauernde, landesweite Unterstützungskampagnen sorgten. Offene Briefe forderten die Legalisierung der Besetzung beziehungsweise den Abbruch des Bauvorhabens, unter anderem von Filmemachern wie Pedro Costa, Philippe Garrel oder Aki Kaurismäki.
Anders als vom Titel zu erwarten legt Direct Action, den bei einer Länge von über drei Stunden eine Pause zweiteilt, im ersten Teil ein besonderes Augenmerk auf die betriebsame Stille im ZAD. Zwar wird im Prolog noch Videomaterial einer Demonstration gesichtet, doch anstatt anschließend Bilder von vermummten Massen gegenüber Tränengas schießender Polizeiketten zu sehen, trifft man auf statische, ethnografisch wirkende Einstellungen von der Arbeit des Kollektivs. Es handelt sich um Vorgänge, die den Großteil des Lebens im ZAD bestimmen: Holzarbeiten, Landwirtschaft, Essenszubereitung. Zehn Minuten lang wohnt man dem Kneten eines Teiges bei, der unfügsam an den Fingern klebt und dabei in seiner uneleganten Anmut die Funktionalität dieser Lebensform kennzeichnet. Das alles ist kein Kindergeburtstag, wie er im Garten der eigenen Nachbar:innen hätte stattfinden können, auch wenn es auf den ersten Blick so wirkt. Für einen Moment könnte man vergessen, wovon der Film erzählen will. Keine der gezeigten Personen wird vorgestellt, es wird wenig gesprochen, nichts ist fertig: Das Hantieren der ZAD-ist:innen zeigt der Film so sperrig wie liebenswert.
Den zweiten Teil des Films eröffnet ein Konzert, dessen euphorische Stimmung die Kamera durch einen langsamen Zoom auf die tanzende Menge einfängt. Durch die Verwendung großer Brennweiten der Kamera fällt hieran eine besondere (kritische) Distanz auf, mit der aber zugleich im Bild eine sublime Enge erzeugt wird, indem wenig vom Hintergrund zu sehen ist. Mit einem Schachspiel zwischen zwei Bewohner:innen und einer Ansprache zum Ablauf der kommenden Tage beginnt sich eine gewisse Nervosität unter den Besetzer:innen auszubreiten. Man fragt sich dabei weniger, was die Menschen individuell antreibt, vielmehr, um was für Menschen es sich handelt. Wohlmeinend ließe sich davon ausgehen, dass man einiges mit ihnen teilt. Worüber man mit ihnen streiten könnte – das heißt auch, worin die Ziele der Besetzung bestehen – belässt der Film im Dunkeln. Oder setzt er es als geteiltes Interesse seines Publikum voraus, über das man sich nicht austauschen muss? In dieser Hinsicht lässt sich am Höhepunkt des Films, der Großdemonstration mit Polizeiaufgebot, eine plötzliche Gelöstheit studieren. Fast komisch, wie die Ferne bei entsprechender Geräuschkulisse aus den verzweifelten Steinwürfen, einem symbolischen Holzgerüst und aufziehenden Tränengaswolken ein Schlachtengemälde im bretonischen Grün kreiert. Eine vorbeilaufende Frau quittiert: „Das solltest du nicht filmen.“
Was hier aufgezeichnet wird, ist weniger der Protest oder sein Inhalt, als seine zeitliche Dimension, die sich in den gezeigten Abläufen darstellt. Im verzögernden Moment der Einstellungen von Direct Action wird spürbar, wie lang politische Veränderungen andauern. Insofern ist die Direktheit nicht mit einer Insurrektion zu verwechseln. Eher bezieht sie sich auf die Beobachtungweise eines Direct Cinemas, das es vermag, Zeit im Kino zu politisieren, indem erfahrbar wird, was sonst filmisch entbehrlich erscheint.
Gleichzeitig versucht sich Direct Action in auffälliger Weise nicht mit dem ZAD gemeinzumachen. So soll im Film das politische Geschehen bewusst hinter dem Handeln zurückfallen, wie Peter Nau in ähnlicher Weise zum Motiv revolutionärer Disziplin in Jean Renoirs La Marseillaise bemerkte: „In diesem Punkt setzt sich der Film dem Verdacht aus, der Ideologie der Volksfront seiner Zeit Rechnung zu tragen und der revolutionären Bewegung Salonfähigkeit bescheinigen zu wollen.“ Parallel dazu scheint Cailleaus und Russells Film vom omnipräsenten Universalismus getrieben, der darauf abzielt, alles medial Unsichtbare zu seinem Recht kommen zu lassen. Dass ihre Preisverleihung zur willfährigen, antizionistischen Gaza-Solidaritätsadresse wurde, dürfte dabei ebenso wenig überraschen wie die empörten kulturpolitischen Reaktionen darauf.