MALMOE

Desertieren aus derGeschlechterordnung

“If someone tells you who they are, 
believe them” — Maya Angelou

Im Gegensatz zu der gängigen Vorstellung vieler Menschen, dass ihr Körper ihre Geschlechtsidentität bestimmt und geformt hat, möchte ich dazu aufrufen, diese Vorstellung zu boykottieren und aus dieser unsäglichen Anordnung der Definitionen, Dissonanzen und Trennungen zu desertieren.
Menschen stellen sich oft vor, dass bei Trans- und Nicht-Binären Menschen der Körper und der Geist im Konflikt miteinander liegen. Der Geist nehme wahr, im falschen Körper geboren worden zu sein. Diese Annahme trifft auf mich nicht zu. Mein Körper ist biologisch weiblich, mit einer Gebärmutter ausgestattet, ein Frauenkörper also, sagen sie. Mein Körper fühlt sich aber nicht falsch an. Es gibt keine Dissonanz zwischen ihm und meinem Geist. Mein Körper ist in bester Ordnung. Die Welt ist es nicht.
Wenn ich darüber spreche, dass ich die Trennung zwischen Körper und Geist ablehne, stelle ich diese Trennung wieder her. Wenn ich die Trennung zwischen Mann und Frau in Frage stelle, bleibt das mein Bezugssystem. „Nicht-Binarität“ erzählt davon, dass ich in einer extrem binären Welt lebe, und nur wenige Menschen arbeiten ernsthaft daran, diese Binarität, ihr Unverständnis und ihre Definitionen zu überwinden.
Mich als Trans oder Nicht-Binär zu identifizieren, bedeutete zuerst, diese Gefühle zu verstehen: Schmerz, Trauer, und ein Unbehagen mit dem, was Menschen dir darüber sagen, zeigen und erwarten, was du bist. Nur wenige haben das Glück, der Welt zeigen zu können, wer sie sind, gefragt zu werden, wie sie sich fühlen, und dass ihnen geglaubt wird, wenn sie darüber sprechen.

Die Trennung von Körper und Geist ist künstlich.

Karl Marx nannte diese Trennung sogar eine deutsche Idee. Ich brauchte lange, um meine Nicht-Binarität zu verstehen, weil ich meinen Körper nicht falsch finde und diese künstliche Trennung ablehne. Ich erlebe Gender-Dysphorie, weil ich nicht mag, wie ich gelesen und behandelt werde. Viele wünschen sich, als Frau, Mann oder jenseits davon akzeptiert zu werden. Würde man (Trans-)Frauen und Männer als diese akzeptieren, wäre gender-affirmation care wahrscheinlich weniger notwendig. Die Gesellschaft und die Bewertung der „Fehlerhaftigkeit“ lösen das Unbehagen in jenen Körpern aus. Ganz zu schweigen von der Gewalt, die Trans- und Nicht-Binäre Menschen erfahren, wenn sie aus der Geschlechterordnung und der Eindeutigkeit desertiert sind.
Ich finde es keine Beleidigung, von Fremden als Frau angesprochen zu werden (außer diese Ansprache ist herabsetzend). Ich wäre gerne eine „Frau“. Eine der schwersten Fragen über Nicht-Binarität ist, warum ich mich von der Kategorie „Frau“ abgrenze. Worin unterscheidet sich mein Erleben von dem einer „Frau“? Warum kann ich nicht sein, wer ich sein will als Frau? Würde es nicht helfen, die Kategorie „Frau“ zu erweitern? Das hat mir lange geholfen zu überleben, aber es stimmt nicht. In der Oberstufe las ich Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“. Ihre Erklärung, wie man „zur Frau gemacht wird“, war das Treffendste, was ich jemals gelesen habe. Etwas, das meine Erfahrung des Mich-in-eine-Form-gepresst-Fühlens genau beschreibt. Ich habe so viel darüber gesprochen, dass meine Freundinnen es sogar in meinem Abi-Artikel erwähnen. Aus heutiger Sicht ist es lieb, dass ich im radikalen (Differenz-)Feminismus so viel Bestätigung und Trost gefunden habe. Viele Menschen, die sich nicht in ihrem zugeschriebenen Geschlecht wohl fühlen, politisieren sich zuerst und kommen darüber in einen transformativen Austausch – mit sich und anderen.
Ironischerweise sind es heute diese Differenz-Feminist*innen, die nicht verstehen wollen, wieso manche Menschen einfach (nicht) zu ihrem Club dazugehören (wollen).

Ich habe es versucht, aber wozu eigentlich?

Nicht-Binarität fühlt sich warm an, wie ein stiller See, ein Ort, an dem ich zur Ruhe kommen, und wie eine weite Landschaft, in der ich mich frei bewegen kann. Wieso ist es so schwer für Menschen, mich dort sein zu lassen?
Die Tyrannei des Lebens ändert sich wenig: das Risiko Gebärmutterhalskrebs, PMS-Symptome, vielleicht eine Abtreibung zu brauchen oder ein Kind zu bekommen und weiterhin viel Misogynie zu erfahren. Es liegt nicht in meiner Macht, auf diesem Wege dem Leben ein Schnippchen zu schlagen. Trotzdem bleibt diese Manifestation, dieser Sprechakt, die Positionierung alles andere als wirkungslos. Es ist, als würde man jemandem nach langer Zeit und schmerzlicher Verliebtheit diese Liebe gestehen. Es ist ein „ich liebe dich“ an mich selbst.
Ich habe nicht die Energie, die ganze Zeit für meine Sichtbarkeit zu kämpfen oder meinen Verwandten zu erklären, dass sie lieber „Tankel“ oder „Onte“ zu mir sagen könnten. Oft erlebe ich, wie Menschen einfach vergessen, wer nicht-binär ist. Die meisten wissen nicht, was sie mit der Info „Nicht-Binarität“ anfangen sollen. Viele finden es irre oder extra, sich überhaupt diese Frage zu stellen: Bin ich wirklich eine Frau? Wer sich diese Frage nicht täglich stellt, ist schlicht blessed to be cis.
Was mich noch mehr belastet ist, dass im Grunde niemand gegendert werden muss, es aber ständig stattfindet. Mir fällt keine Station meines Lebens ein, für die es wirklich relevant gewesen wäre, das Geschlecht zu erfassen. Autonomie und Selbstbestimmung sind einfache, offensichtliche Optionen in einer gleichberechtigten Gesellschaft.
Ich sage immer, wer ich bin. Niemand muss mein Instagram dafür checken. Die meisten Genderqueeren, Enby, Trans und agender Menschen, die ich kenne, gendern sich in Gesprächen selbst so, wie sie wollen. Die meisten Menschen erzählen, wer sie sind, wenn sie sich wohl fühlen. Desertieren heißt zuhören, anderen zu glauben, wer sie sind, sich damit verbinden, neugierig bleiben und es nicht vergessen.