MigrantInnen, ArbeiterInnen und Queers werden auch über ihren Modegeschmack ausgegrenzt, dabei wissen doch alle, dass wir den besten Style haben
Diesen Sommer habe ich meine Oma in Bosnien besucht. Wir haben uns Fotoalben angeschaut und dabei hat sie von damals erzählt und auch sehr viel über Kleidung gesprochen, die sie oder andere auf den Fotos tragen. Besonders stolz erzählte sie, wie gut ihre beiden Söhne, also mein Vater und Onkel, gekleidet waren, als die beiden noch Kinder waren. Sie habe immer sehr darauf geachtet, dass sie sauber und ordentlich aussahen. Mein Bruder und ich hätten ihrer Meinung nach nicht dasselbe Glück gehabt.
Als wir uns dann auf den Weg in die Stadt machen wollten, musterte sie mich von oben bis unten und sagte, ich solle mir ein anderes Top anziehen. Das überraschte mich nicht, es war nämlich schon immer so: um in die Stadt (čaršija) zu gehen, musste alles perfekt aussehen. Das Haarspray und ein kleiner Spritzer Parfum, ohne das ging’s nicht. Als Kind mochte ich dieses Ritual vor dem Aufbruch in die čaršija, weil ich mich auch ein bisschen schminken durfte. Das hat sich geändert, mir war nämlich gar nicht nach Make-up oder Parfum und schon gar nicht danach, mich umzuziehen. Doch ich hatte keine andere Wahl, sie würde so nicht mit mir aus dem Haus gehen. Und das machte mich wütend.
In dem kleinen Stadtzentrum angekommen, fiel mir auf, dass fast alle Menschen so herausgeputzt waren und einen sehr ähnlichen Modegeschmack zu haben schienen. Diese Beobachtung brachte ein beklemmendes Gefühl in mir hervor. Die Aufforderung meiner Oma, mich umzuziehen, schien meine Wahrnehmung dieser Uniformität noch verstärkt zu haben. Früher ist mir das nicht so aufgefallen, die Menschen trugen öfter Trainingsanzüge und „Klompe“ (Holzschuhe), mit Ausnahme meiner Oma natürlich. Sie erklärte mir dann, dass ich mich hier nicht anziehen könne, wie ich will, die Leute reden dann und das bereite ihr Kopfschmerzen. In Wien sei das anders, da könne ich dann anziehen, was ich will.
Leider hatte sie damit nicht ganz recht. Auch in Wien war ich Konformismus ausgeliefert, was Kleidung betraf. Damals, in der ersten Klasse am Gymnasium zum Beispiel, da gingen mehrheitlich Kinder aus wohlhabenden Familien zur Schule, die teure Markenkleidung trugen. Der Druck, sich diesem Kleidungsstil anzupassen, war sehr hoch. Wenn ich eine Hose zum dritten Mal in der Woche getragen habe, erntete ich schiefe Blicke und Beleidigungen. Wenn ich dann teure Schuhe trug, weil meine Cousine sie mir geschenkt hatte, wurde Verwunderung darüber laut, wie ich mir das bloß leisten könne. Oder während des Studiums, als ich mich ausgegrenzt gefühlt habe, weil ich keinen Mac und keine Waldviertler hatte. Ich hatte mich damit abgefunden, mich nie wirklich wohl in den Sachen zu fühlen, die ich trug.
Der Modekonsum der sozialen Unterschicht wird oft als schlechter Geschmack abgetan, aber auch nur dann als ok empfunden, wenn sie sich klar an die für sie „vorgesehenen“ Produkte halten. Was auch die rassistische Debatte um MigrantInnen und ihre Smartphones zeigt. Andererseits wird sich der Kleidungsstil der ArbeiterInnenklasse angeeignet. Jogginghose und Co. haben es längst in die High-Fashion-Industrie geschafft und werden fetischisiert. Gleichzeitig solidarisiert sich eins aber nicht mit Arbeiterinnen. Genauso interessieren sich immer mehr Modelabels für den Look nicht-binärer Personen, nicht aber für deren Leben.
Diese Kritik äußerte auch Alok Said Menon, eine nicht-binäre Person aus den USA, die Bücher veröffentlicht und Performance-Kunst macht. Alok widmet sich dem Kampf gegen einschränkende Geschlechternormen und Gewalt gegen Trans- und nicht genderkonforme Personen. Alok sieht Mode als Mittel die eigene Kreativität und Schönheit auszudrücken und beschreibt, wie Kolonialismus und das westliche binäre Geschlechtersysteme dies für viele Menschen unmöglich gemacht haben. Alok fordert ein „degendering“ der Schönheits- und Modeindustrie.
Der Kleidungsstil von Subkulturen und deren politischen Interessen sind eben schon längst im Massenkonsum angekommen und doch ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich Personen sympathisch finde, einfach weil ich ihren Style mag und bestimmte Wertvorstellungen hineinlese. Die Konsequenz davon war, dass ich mich zum Beispiel in einem Raum voller Menschen mit „coolem“ Style trotzdem unwohl gefühlt habe. Dieses Unwohlsein, so meinte ich, müsse daher kommen, dass mein Style nicht „cool genug“ sei. Das mit mir etwas nicht stimme. Dazu hat mal jemand eine Analogie mit mir geteilt: Wenn dir eine Hose nicht passt, heißt das nicht, dass etwas mit deinem Körper nicht stimmt, sondern dass die Hose nicht passt … Du suchst dir dann eine, die passt. Ich weiß, die Analogie ist nicht die beste, aber egal.
Trotz allem versuche ich Spaß daran zu haben, mir Outfits zu überlegen und bin froh darüber, dass Kleidung einen so wandelbar macht. Allerdings muss ich auch aufpassen, meinen Selbstwert nicht davon abhängig zu machen.
Und um ein bestimmtes Outfit tragen zu können, muss kein Event oder eine Party der Anlass sein! Ich cutifye mich manchmal nur, um das Gefühl zu bekommen cute zu sein, oder eben dieses Gefühl vom Prozess des cutifyens zu genießen … Oder um zu prokrastinieren, wie beim Verfassen dieses Textes: Totally overdressed und in full-on Make-up zu Hause am Schreibtisch. Einfach schön.