Den Kulturpass gibt es in Österreich nun schon seit 20 Jahren. Das ist definitiv ein Grund zum Feiern! Aber wer bekommt eigentlich einen Kulturpass und wozu ist er gut?
Der Kulturpass ist in Österreich eine Institution. Mit ihm gibt es in vielen staatlichen Museen, Theatern und Kinos gratis Eintritt, in anderen Kulturbetrieben gibt es zumindest Ermäßigungen. Als 2003 das Wiener Schauspielhaus in Kooperation mit der Armutskonferenz den ersten Kulturpass einführte, war dieser noch individuell gedeckt. Damit eine Karte vom Schauspielhaus gratis ausgegeben werden konnte, musste diese zuvor von einer anderen Person bezahlt werden. Mit der Zeit wurde das Projekt allerdings von Bund und Ländern unterstützt und heute finanziert sogar die Arbeiterkammer Wien den Kulturpass mit.
Die Initiative hinter dem Kulturpass heißt Hunger auf Kunst und Kultur. Hier wird nicht nur der Zusammenhang zwischen Essen und Kunstgenuss aufgemacht, sondern der Bedarf nach Kunst und Kultur mit den Grundbedürfnissen auf eine Stufe gestellt. Heute haben in Wien prinzipiell alle Menschen mit geringem Einkommen Zugang zu einem Kulturpass. Das AMS, Sozialprojekte wie der Augustin oder Asyl in Not geben die Pässe aus, aber auch Nachbarschaftszentren oder die Caritas. Voraussetzung für den Anspruch auf einen Kulturpass ist ein geringes Einkommen. Konkret ist der Bezug eines Kulturpasses an die Armutsgrenze gekoppelt. Die liegt in Österreich dieses Jahr übrigens bei knapp 1.400 Euro netto pro Monat. Wer Vollzeit bei Billa an der Kasse arbeitet, verdient nur ein paar hundert Euro mehr.
Neben den Fördergebenden sind es in erster Linie die Kulturbetriebe, die das Projekt am Leben halten. Die Kooperationsbereitschaft von Theatern, Museen, Kinos und anderen Kulturbetrieben ist zentral. Allerdings macht ein Blick auf die Orte, an denen es freien oder ermäßigten Eintritt gibt, eine klare Unverhältnismäßigkeit sichtbar: Während Bundestheater und Bundesmuseen sowie fast alle Programmkinos dabei sind, sind Wurstelprater, Flex und Cineplexx es nicht. Die staatliche Subvention spielt dabei sicher eine entscheidende Rolle. Doch kann umgekehrt auch die Frage gestellt werden, weshalb der österreichische Staat eine mittelmäßig ausgelastete Institution wie das Burgtheater betreibt und beispielsweise das Cineplexx nicht. Dass es naiv wirkt, allein diese Frage zu stellen, sagt mehr über unser Verständnis von Kultur aus als zahlreiche wissenschaftliche Publikationen.
Den hegemonialen Kulturbegriffe hat der Soziologe Pierre Bourdieu in seiner Theorie des Klassengeschmacks beschrieben: „Das Bürgertum, das den legitimen Geschmack repräsentiert, das Kleinbürgertum, das einen prätentiösen Geschmack ausbildet und schließlich die Arbeiterklasse, die alle Merkmale eines ‚barbarischen Geschmacks‘ erfüllt und den oberen Klassen als negativer Bezugspunkt dient.“ (1) Die Dimensionen des Ausschlusses und der Abwertung werden vor dem Hintergrund dieser Theorie auch in dem Motto „Kultur für alle“, der Initiative Hunger auf Kunst und Kultur, sichtbar.
Damit soll keinesfalls unterstellt werden, dass der Initiative solche Ausschlüsse und Abwertungen nicht bewusst oder gar egal wären. Vielmehr muss der Kulturpass als Instrument gesehen werden, diesbezüglich eine Veränderung anzustoßen. Hier ist auch die Kulturvermittlung zu sehen, die den Kulturpass im Projekt Kultur-Transfair begleiten. Deren Aufgabe, wie sie auf ihrer Homepage schreiben, sei es „individuelle, maßgeschneiderte Kulturangebote für sozial benachteiligte Menschen generell und im Besonderen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, Armutsbetroffene, Flüchtlinge u.a.“ zu entwickeln. Kunst und Kultur haben in der bürgerlichen Gesellschaft, gerade für die unteren Klassen, eine erzieherische Funktion. Doch steht die den materiellen Verhältnissen oft diametral gegenüber. Deutlich wird dies, wenn bei einem Vermittlungsprojekt zum Thema Essen aus dem Jahr 2018 eine Teilnehmerin zu Stillleben von honey & bunny zu Protokoll gibt: „Ein Tisch, aus zwei Teilen gemacht, das Unterteil ist aus vielen Glasbehältern, die verschiedene Arten von Gemüse und Früchten beinhalten, und das Oberteil aus verschiedenen Süßigkeiten, Gebäck und Fastfood. Ich finde, ohne Gemüse und Früchte ist der Körper nicht gesund. Man braucht manchmal Magenruhe. Deswegen brauche ich sie persönlich als einen Ausweg, um mich gesund und energievoll zu fühlen. Ich esse mit Freude und Genuss Obst und Gemüse. Die Süßigkeit danach macht mir Freude und ich fühle mich dann wie ein kleines Kind. Aber trotz dessen sind Gemüse und Obst für mich die Basis fürs Leben und eine tolle Mahlzeit.“ (2)
Die erzieherischen Aspekte solcher Vermittlungsangebote werden in dem Moment zur Farce, wo sie mit der Lebensrealität der von Armut Betroffenen zusammenprallen. Denn die stark bürgerlich geprägten Kulturbetriebe vertreten die Ansicht, dass von Armut Betroffene aus mangelndem Wissen falsche Kaufentscheidung treffen würden. Dass das falsch ist, lässt sich bei der Armutskonferenz nachlesen: „Ausgaben für Ernährung zählen neben Wohnen und Energie zu den Hauptposten im Haushaltsbudget von Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Ein Blick auf Studien zur Ernährungsarmut zeigt, dass heutzutage vor allem der Zugang zu frischem Obst und Gemüse das größte Unterscheidungsmerkmal im Ernährungsverhalten unterschiedlicher Einkommensschichten darstellt.“ (3) Obst und Gemüse sind für armutsbetroffene Menschen schlicht zu teuer, während ungesunde Lebensmittel mit viel Kalorien für wenig Geld oft die einzige Möglichkeit sind durch den Alltag zu kommen. Anders als für Bundeskanzler Nehammer, ist das für mich kein Anlass zum täglich Fastfood-Konsum aufzurufen. Viel mehr sehe ich die Kulturvermittlung in der Pflicht, die materiellen Verhältnisse mitzudenken. In diesem Sinne: Mit dem Kulturpass bis zur befreiten Gesellschaft!
Sophia Prinz (2014): Geschmack (goût). In: Gerhard Fröhlich und Boike Rehbein (Hg.): Bourdieu-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, J.B. Metzler, Stuttgart.
laut:ma(h)lerisch: Esskulturen, www.dommuseum.at/laut-mahlerisch-pod1.
Die Armutskonferenz: Ernährungssouveränität und Recht auf Nahrung, www.armutskonferenz.at/themen/ernaehrung/ernaehrungssouveraenitaet-und-recht-auf-nahrung.html.