Der schlafende Bär
Der Traum, den ich hier teilen möchte, ist schon ein paar Jahre alt und greift zurück auf einen Zustand meiner Kindheit.
Besagter Traum spielt in einer Art Wald, die Szenerie ist folgende: Es gibt ein gelbes Haus mit großem Garten. Vor dem Haus liegt ein riesiger, brauner Bär.
Die Wiesen sind saftig grün und im großen Garten steht ein mattblaues Zelt. Das Haus und der Garten sind umringt von hohen, dunkelgrünen Nadelbäumen.
Vor dem gelben Haus mit den cremefarbenen Streifen und dem runden Fenster liegt ein schlafender Bär.
Im Traum habe ich große Angst vor diesem Bären. Bei dem Gedanken daran, ihn aufzuwecken, wird mir ganz bange. Ich stehe, ausgestattet mit einem Rucksack und meinem Kuscheltier, abseits vor dem Zelt und blicke auf das Haus, das jetzt plötzlich entrückt auf einem kleinen Hügel zu stehen scheint.
Vor mir das Zelt, in das ich hineingeworfen werde wie mit einem Purzelbaum. Doch es ist nicht einer dieser Purzelbäume, die man macht, weil es Spaß macht. Es ist eine Ruckbewegung, bei der mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird und ich mit einer Drehbewegung falle — in das Zelt. Ich werde alleine in diesem Zelt schlafen.
Alle anderen, die mir etwas bedeuten, sind in dem vom schlafenden Bären bewachten Haus. Es ist, als ob jemand einen Vorhang eingezogen hätte, mitten in diesem Wald, der das Haus vom Zelt trennt.
Das Zelt steht unter einem Nadelbaum, auf saftigem Moos.
Es ist einige Zeit vergangen; es ist Tag. Ich gehe wieder in das Haus und erkenne es kaum wieder. Im oberen Stockwerk entdecke ich einen langen Gang, wo im echten Leben drei Zimmer sind, reihen sich mindestens sieben aneinander. Die Innenräume sind weiß, ockerfarben und gelblich. Die Türen sind beige.
Neugierig schaue ich in alle Zimmer, die entlang des Ganges liegen.
Eines ist leer. Nur ein Kasten steht drinnen, aus dem unendlich viele Kleidungsstücke herauspurzeln. In einem anderen liegen zwei Haufen bunter Plastikspielzeuge.
Ihr kennt dieses Spielzeug bestimmt: ein Kubus mit geometrischen Öffnungen, dazu Formen, welche in die jeweiligen Auslassungen passen. In Primärfarben.
Einer der Räume ist generell riesig und hat ein eigenes Zwischengeschoss. In einem anderen Raum steht eine blaue Couch mit aufgedruckten Clowns. Alles ist verwirrend. Die meisten Räume erkenne ich nicht wieder und weiß auch nichts damit anzufangen. Ich gehe herum, finde aber niemanden. Niemand ist in diesem Haus. Alles ist leer. Die Leute, die zu sehen ich mich gefreut hatte, sind nicht da.
Vor dem Haus liegt noch immer der Bär. Er schläft. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn aufwecke, wenn ich an ihm vorbeigehe. Ich habe Angst. Denn der Bär ist mindestens fünfmal so groß wie ich. Der Wald, der mich umringt, ist leise. Ich fühle das Gras unter meinen kleinen Füßen und gehe bedrückt wieder zum Zelt, da es Abend wird und ich schlafen gehen muss. In dem Zelt gibt es diesmal kein Kuscheltier mehr, auch werde ich diesmal nicht hineingeworfen. Das gedimmte Licht des Abends legt im Zelt seinen Schatten nieder. Zu hören ist ein Schnaufen. Ist der Bär jetzt wach?
Ich bin Scheidungs- und Schlüsselkind. Zwischen meinen biologischen Eltern, einer Sozialdemokratin und einem katholischen Fundamentalisten, gab es nach der Radikalisierung meines biologischen Vaters nicht mehr viel zu sagen. Sie haben sich getrennt, als ich zwei Jahre alt war. Der Traum, den ich beschreibe, ist geprägt von Angst und dem Gefühl, hin- und hergeworfen zu werden. Dem Hin- und Herfahren zwischen Stadt und Land. Ich hatte den Traum vor Jahren. Als ich ihn träumte, besprach ich ihn auch in der Analyse und kam dadurch zu dem Kern und einem Zustand der Verwirrung und der Angst, in der ich als Kind gewesen sein musste.