Am 7. Dezember haben Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori im USUS im Schauspielhaus Wien die Neuauflage ihres Buches Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938-1945 präsentiert, das Stimmen von Zeitzeuginnen versammelt, die gegen das Nazi-Regime kämpften. Ein Kaffeehausgespräch vorab:
Als wir uns am Vormittag treffen, ist der Rüdigerhof im sechsten Wiener Bezirk noch wenig besucht. Man kennt sich. Noch sind die Gedanken klein und kreisen um Semmel und Ei. Das Traditionskaffeehaus dient der Filmemacherin und Herausgeberin Karin Berger seit Jahrzehnten als zweites Wohnzimmer. Bei einem Frühstück versuchen wir gemeinsam zu rekonstruieren: Was waren die Anfänge der Erinnerungsarbeit an Frauen des Widerstands in Österreich in den 1980ern? Welche Form können die jungen Aktivistinnen den Stimmen und Erfahrungen dieser Frauen geben? Wie gelingt die öffentliche Anerkennung und Förderung? Und wie umgehen mit der nun drängenden Tatsache, dass die Zeitzeuginnenschaft endgültig ein archivarisches Projekt sein wird?
Ja, Angst, wer hätte net Angst, wenn er sowas tut. Angst hab ich schon gehabt, ich hab ja doch an meine Kinder denken müssen. Aber wie kannst denn nein sagen, wenn dich jemand bitt, du sollst ihms Leben retten?
— Agnes Primocic
Als die vier Herausgeberinnen das Dokumentationsprojekt 1985 starteten, sagt Karin, waren sie fast alle noch Studentinnen. Die Frage der Finanzierung und Förderung des Projekts war schwierig. Der öffentliche und mediale Diskurs zielte weiterhin auf Verdrängung, nicht Aufarbeitung. So musste das Projekt mit geringen finanziellen Mitteln realisiert werden, angetrieben von dem Wunsch, Geschichten und Wissen zu sammeln über eine Zeit, über die sich die damalige Elterngeneration beharrlich ausschwieg. Aus Scham, aus Angst, aus Ohnmacht und mit dem Wunsch, zu vergessen oder vergessen zu werden. Doch was 1986 in der Waldheim-Affäre gipfelte, bahnte sich bereits in den Jahren zuvor an: Eine jüngere Generation hatte Fragen und zeigte sich unversöhnlich mit dem kollektiven Gedächtnisschwund. All diejenigen, die sich aufgrund ihrer Aktivitäten im Widerstand und der daraufhin erfahrenen Strafen tatsächlich als Opfer des Nationalsozialismus proklamieren dürften, wurden aus der österreichischen Geschichte quasi ausradiert. Was wir gemacht haben, sagt Karin, würde man heutzutage wahrscheinlich künstlerische Forschung nennen, wobei sie diesem Begriff kritisch gegenüberstehe. Die Frage, wie mit den Erfahrungen der Frauen formal umzugehen sei, sei notwendigerweise schon immer eine ästhetische, sowie die Vermittlung von Geschichte immer die Ebene der Ästhetik einschließt. Die zweite Melange wird an den Tisch gebracht, während wir uns kurzzeitig in einem Exkurs über künstlerische Forschung verlieren.
In diesen Tagen im 1938er Jahr hat man das Gefühl gehabt, man ist wie ein Blatt im Wind, man ist ausgeliefert, man hat überhaupt keine Möglichkeit, sich zu wehren. Erst in der Bewegung und wenn man selbst aktiv wird, verschwindet dieses Gefühl.
— Irma Schwager
Während sich also die Pionierinnen im Bereich der Frauen- und Widerstandsgeschichte ins Feld begeben, ist die österreichische Erinnerungskultur noch weitgehend im Opfermythos versunken. Fragen der Beteiligung an Kriegsverbrechen waren ein gesellschaftliches Tabu. Die Beteiligung von Menschen am Widerstand fand in der Öffentlichkeit noch weniger Interesse und der antifaschistische Widerstand, der sich gegen Krieg und Terror einsetzte, wurde nur am Rande öffentlich wahrgenommen und wenn, dann stand vor allem das Erinnern von männlichen Akteuren im Vordergrund. In über einhundert Interviews mit verschiedenen Frauen aus ganz Österreich, aus denen über fünftausend Seiten Manuskript hervorgingen, zeigt sich ein anderes Bild des Widerstandes. Viele Frauen haben den Widerstand getragen, ihre Aktionen waren vielfältig, sie reichten von der Fluchthilfe für Häftlinge über Sabotage im Betrieb bis zum Kampf als Partisaninnen. Im Buch formal untergliedert in die Kategorien „helfen, organisieren, kämpfen, zersetzen, überleben“ zeigen die Berichte der Frauen, dass es keinen Bereich des Widerstands ohne sie gegeben hätte. Eine stereotype Blaupause einer Widerständlerin, sagt Karin, gab es nicht. Woher kamen der Mut und die Entschlossenheit, sich den Gefahren des Verrats, der Gefangenschaft, der Folter und dem möglichen Mord auszusetzen?
Immer waren wir bereit, du hast ja nie gewußt, wann der Feind von wo kommt. Ich hab oft gedacht, das Wildtier, das Reh, die haben Schonzeit jetzt, die Gemse und die Auerhähne. Nur wir bei den Partisanen haben nie eine Schonzeit gehabt, wir waren immer unter Gefahr, ständig unter Gefahr.
— Zala
Die Frage war immer, sagt Karin, wieso gingen Frauen in den Widerstand? Viele waren schon in der Zwischenkriegszeit durch ihre Familienmitglieder oder Partner:innen animiert worden, sich organisierten Strukturen wie dem Schutzbund oder den Gewerkschaften anzuschließen. Ein ebenfalls wenig beleuchteter Teil der österreichischen Geschichte, den die vier Aktivistinnen und Herausgeberinnen mit ihrem Buch ins Licht rücken, ist die Dimension der Gefangenschaft und Folter durch die NS-Polizeibehörden. Das ehemalige Gestapo-Hauptquartier am Wiener Morzinplatz, das 1948 abgerissen wurde, war ein Knotenpunkt der Gewaltherrschaft und diente der Unterbringung und dem Verhör von schätzungsweise fünfzigtausend Menschen – viele wurden von dort in die Konzentrationslager deportiert, manche in die Gefängnisse, weit über tausend Gefangene wurden im Wiener Landesgericht hingerichtet. Die grausame Behandlung der Gefangenen und ihr Kampf um das Mensch-Bleiben trotz der herrschenden Bedingungen finden in vielen Geschichten der Frauen ihren Ausdruck.
Wieso eine Neuauflage, frage ich Karin. Weil dem Verlag die Exemplare ausgehen, antwortet sie nonchalant – und weil auch nach all den verkauften und gelesenen Exemplaren die Aktualität des Themas ungebrochen ist, denke ich mir weiter. Denn bis auf wenige Ausnahmen wie den Peršmanhof in Kärnten, einige verstreute Widerstandsdenkmäler und die Auseinandersetzung mit dem Thema durch aktivistische Gruppen ist dieses Kapitel österreichischer Geschichte auch 40 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Buches weitgehend unbesprochen.
Berger/Holzinger/Podgornik/Trallori (Hg.) (2023): Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938-1945.