Die Kyiv Biennale fand dieses Jahr mit Hauptaustragungsort in Wien statt – eine Ausstellung über die Gegenwart eines (vergessenen) Krieges
Mit Solidaritätsakten tut man sich in der Kunst leichter als in der Politik. Im Zweifel kann so ein Akt etwas anders interpretiert werden, während im Parlament der Ruf nach konkreten Taten laut wird. Kunst würde gern eine Waffe sein, kann aber weder Waffen herstellen noch welche liefern, mit Ausnahme von Franz Kapfer vielleicht. Deshalb bedeutet Solidarität in der Kunst, Aufmerksamkeit zu stiften – wenn nötig mit befremdlichen Mitteln; in der Regel bleiben sie aber doch im vertretbaren Rahmen. Die Kyiv Biennale 2023 sollte sich auch als Solidaritätsveranstaltung verstehen, dabei war sie noch viel mehr. Im Zeichen des Ukrainekrieges, der nicht mal 1.300 Kilometer von Wien entfernt allmählich in Vergessenheit gerät, wurde die fünfte Ausgabe (de-)zentral vom Augarten ausgehend veranstaltet. Abseits davon, fanden an sieben weiteren Wiener Standorten (hoast, IG Architektur, Laurenz, Neuer Kunstverein Wien, Never At Home, Ve.Sch, Waffen Franz Kapfer) sowie verteilt in Kyiv, Iwano-Frankiwsk, Uschhorod, Warschau, Lublin und Antwerpen parallele Ausstellungen statt. Eine weitere ist in Berlin für 2024 geplant.
Offene Türen
Der Hauptausstellungsort fand mit den Augarten-Ateliers in der Scherzergasse für zweieinhalb Monate einen Raum vor allem für großflächige Installationen und Videoarbeiten, alles bei freiem Eintritt und mit kuratorischen Vermittlungsangeboten. Im Booklet erfährt man, dass die Räumlichkeiten zu Arbeits- und Repräsentationszwecken für den faschistischen Bildhauer Gustinus Ambrosi (von Albert Speer sehr geschätzt) in den 1950er Jahren vom Wiener Architekten Georg Lippert (ebenso NSDAP-Mitglied) geschaffen wurden. Der Bildhauer prägte nicht nur Wiener Grab- und Denkmäler, sondern machte sich sogleich mit Hilfe der FPÖ um die Verunglimpfung von Alfred Hrdlickas Renner-Denkmals am Ring verdient. Das Ambrosi gewidmete Museum, das sich in den Augarten-Ateliers befand, schloss erst 2017 seine Türen. Man möchte meinen, der Ort wäre mit den Flaktürmen in Sichtweite eigentlich in guter Gesellschaft. Nun hat der Ort einen ‚zeitgenössisch-(er)en‘ Namen, wurde von Susanne Zottl 2001 renoviert, befindet sich nach ein wenig hin und her mit Francesca Habsburg-Lothringen im Besitz des Belvederes und steht seither leer. Viel hat man von dem Ort in den letzten Jahren nicht mehr gehört, obwohl doch TBA21 (Thyssen-Bornemisza Art beziehungsweise Augarten Contemporary) „neue Impulse“ setzten wollte – also eher to be announced. TBA21 interessiert sich mittlerweile mehr für Wasser in Madrid und das Belvedere spürt immer noch dem Neuen im 21er-Haus nach. Unterdessen fordert der Krieg in der Ukraine, der auch nicht mehr in den Schlagzeilen steht, weiterhin Menschenleben. Es hat sich nicht viel verändert. Aber sollte dann eine Ausstellung nicht besser all das Verpasste und Überhörte aufholen, richtigstellen – uns informieren, ins Gewissen reden? Warum über den Ort sprechen?
Offenes Kunstwerk
Die ausgestellten Werke handelten nicht vom Krieg und trotzdem erzählten sie davon. Im Wesentlichen thematisieren die Arbeiten das Abwesende. Der Krieg wird präsent, indem sie versuchen die Zeit des Davor und Danach zu erfassen. Dass diese nicht weniger vom Krieg oder von Altlasten der sowjetischen Geschichte geprägt ist, lässt sich immer wieder erkennen. Manche Arbeiten erschienen so in einer bestimmten Melancholie: Gebrauchsgegenstände und alltägliche Ornamente werden chiffrenhaft integriert, als könnten sie die fehlende Sicherheit suggerieren beziehungsweise zur Überwindung der eigenen Geschichte beitragen. So beispielsweise bei mountaincutters Arbeit Control C Respiration/CTRL C Breath oder der mehrteiligen Installation von DE NE DE. Daneben treten die physischen und psychischen Einschnitte hervor, wie bei den Arbeiten von Alina Kleytman. Bisweilen auch humorvoll richten andere Arbeiten wie Remembering Peace den Blick auf die Zukunft.
Unübersehbar ist die Anzahl von Videoarbeiten, was unmittelbar an die Mediatisierung des Krieges denken lässt. Video gilt da als allgegenwärtig verfügbares Medium, das erlaubt, Beweise und Informationen zu teilen. Doch in derselben Weise, wie es an der Aufklärung von Verbrechen mitwirkt, dient es deren Verzerrung und Heroisierung. Vor allem im Kontext der Kunst legt das Video anhand seiner doppelbödigen Neutralität die drastischen Widersprüche des Kriegsgeschehens offen, wie man bei Hito Steyerl erfahren kann. Dabei mag auffallen, dass Selma Doboracs Film De Facto anders als angekündigt, nicht zu sehen war. Wie hätte sein Anliegen hier Platz gefunden? Der Anspruch des Films, der Anfang des Jahres auf der Berlinale mit dem Caligari-Preis ausgezeichnet wurde und auch auf der Diagonale sowie beim ThisHumanWorld zusehen war, besteht gerade in der unausweichlichen Konfrontation mit dem ausgesprochenen Grauen. Weder klar dokumentarisch noch fiktionalisiert, verbinden sich in den vorgetragenen Texten zweier Spieler unterschiedliche Erfahrungen, die vom Abstoßenden, Verdrängten und Geleugneten des Krieges, Terrors, der Unterdrückung erzählen. In De Facto entsteht eine abstrakte Allgemeinheit, die sich vom einladenden Charakter der Ausstellung möglicherweise abwendet. Denn ihm liegt wenig am nüchternen, wohlmeinenden Informieren, sondern mehr an der ästhetischen Erfahrung, die dieses Verhältnis zu Wirklichkeit auf die Probe stellt.
Offene Briefe
Doboracs Film verfolgt ein unmissverständliches Ziel, ohne das Filmische zu instrumentalisieren – zu solidarisieren. Seine Konsequenz besteht darin, die formale Gestaltung zum inhaltlichen Argument werden zu lassen. Alles andere als zugänglich, was nicht selten Werken negativ angelastet wird, ist der Film trotzdem angreifbar und durchlässig, wobei er sich ebenso wenig als aggressiv oder obszön ausweist. Der Film, der hier nicht zu sehen war, formuliert die Frage, welchen Ort die Kunst angesichts omnipräsenter Gewalt erhält. Er versperrt sich einem kontextualisierenden Zugang, was in der Regel gemeint ist, wenn es um Kunstvermittlung geht. Pflichtschuldig gehört dazu, die Geschichte eines Ortes zu problematisieren und das, was tatsächlich oder vermeintlich ausgeschlossen wurde. Freigesprochen von jeder Schuld, selbstlos solidarisch, schwingt man zur Rolle auf, sich für alles, nur nicht die Kunst einzusetzen, oder zu rechtfertigen. Gern mit offenen Briefen, denn so kann man schneller herausfinden, wie die nächsten Kollaborateur:innen (so nennt man das gerade) heißen werden. Von der Arbeit, die versteckte Einblicke gewähren soll, hört man nur noch am Rande des Künstler:innengesprächs, gesehen hat sie niemand mehr. Man fragt, ob sich die Kunst nun entgrenzt oder entleert hat. Alles hat mit allem zu tun, das weiß die Kunst nur zu gut. Doch wem hat sie geholfen? Der angeblich in ihr geborgenen Wahrheit wohl kaum.
Die Kyiv Biennale braucht weder offene Türen, Kunstwerke oder Briefe, die nur ablenken wollen. Mehr Aufmerksamkeit durch eine dauerhafte Ausstellung beziehungsweise eine Fortsetzung wären hilfreicher, um ukrainische Künstler:innen und jene, die sich mit ihnen solidarisieren, weiterhin zu unterstützen. Schon 2016 wurden erstmals Arbeiten der Kyiv Biennale 2015 retrospektiv in Wien unter dem Titel The School of Kyiv gezeigt. Die beteiligten Kurator:innen arbeiteten auch an der diesjährigen Biennale wieder mit. Anfang 2023 sei dann die Entscheidung gefallen, die Ausstellung an unterschiedlichen Orten stattfinden zu lassen. Nicht nur angesichts der zersetzenden Kriegslogik Russlands, sondern auch um die in Europa verstreuten ukrainischen Künstler:innen zusammenzubringen. Das betrifft jene, die noch vor wenigen Monaten in der Ukraine arbeiteten, aber auch internationale Kolleg:innen, die sich mit ihnen solidarisch erklärten. Vor allem ist dies der Kooperation mit dem Netzwerk tranzit und Office Ukraine. Shelter for Ukrainian Artists zu verdanken. Beide Organisationen fördern künstlerische Tätigkeit durch Koordination, Dialog und finanzielle Unterstützung, unter anderem gestiftet aus Mitteln der Ersten Bank, des BMKÖS, BMEIA sowie Spenden.