MALMOE

Kulturwissenschaftler reagiert

Die rechte Ideologie von 7 vs. Wild

„Ich bin ein Wilder!“ schreit der Youtuber Jens Knossala alias Knossi am Strand der Insel San José im Golf von Panama in die GoPro-Kamera. Verschreckt dieser verbale Ausbruch zum Zeitpunkt der Aufzeichnung höchstens ein paar Meereskrabben, tönt er Monate später aus Millionen von internetfähigen Geräten im deutschsprachigen Raum. Knossala ist einer von sieben Teilnehmer_innen der zweiten Staffel von 7 vs. Wild. Das vom „Survival-Experten“ Fritz Meinecke erdachte Youtube-Format ist rasch erklärt: Sieben sogenannte Content Creators begeben sich für sieben Tage in Outdoor-Isolation; ausgerüstet lediglich mit wenigen Gegenständen, wie Machete, Seil, Feuerstahl und natürlich zwei Kameras zum Aufzeichnen ihres Überlebenskampfes. Wer am Ende die höchste Punktzahl in den Challenges erreicht hat, krönt sich zum_zur Sieger_in. Die Serie steht damit in der Tradition ebenso erfolgreicher wie austauschbarer Reality-TV-Formate wie Survivor (USA, 2000) oder dessen Vorgänger Robinson (Schweden, 1997). Die deutsche Version ist aufgrund der Abwesenheit von Kamerateams noch „realer“ und vom klassischen Fernsehen in das Internet, sprich Youtube verschoben. Dabei ist das Setting natürlich nicht neu, sondern übernimmt wesentliche Elemente von der seit 2015 ausgestrahlten Serie Alone. Momentan laufen die Vorbereitungen für die dritte Staffel von 7 vs. Wild – und damit die Veröffentlichung hunderter Ankündigungs-, Nominierungs-, Reaktions-Videos. Sie soll mit etwas abgeändertem Konzept über den Sommer produziert und im Winter 2023 ausgestrahlt werden.
Den ersten Durchgang gewann übrigens der bereits genannte Fritz Meinecke, der in einer Doppelrolle als Mitveranstalter und Teilnehmer agiert. Dieser Mann machte 2022 mit der Teilnahme an einem illegalen Autorennen, sexistischen Ausschweifungen und seiner Kritik an der „völlig verweichlichten Gutmenschen Gesellschaft“ von sich reden. Nun könnten einige behaupten, die politischen Ansichten des „Creators“ seien vom „Content“ zu trennen; was ist schließlich an einem Aufenthalt auf einer einsamen Insel politisch? Die kurze Antwort: Alles.


Warriors of the World

Beim Schauen der Serie fällt zunächst die militarisierte Ästhetik ins Auge, wenn die Teilnehmer_innen in Camouflage und Slow-Motion über das Rollfeld in Richtung Kamera schreiten. Die Verherrlichung des Militanten drückt sich auch im Jargon, dem Setting (Stichwort: Sprung aus dem Helikopter) und der Auswahl der Teilnehmenden aus, welche oftmals in der „Landesverteidigung“ tätig waren oder sind. So war etwa Ottogerd Karasch über zehn Jahre Fallschirmjäger bei der deutschen Bundeswehr. Karasch gewann die zweite Staffel von 7 vs. Wild und hat gerade seine eigene Serie Arctic Warrior veröffentlicht.
Beide Serien inszenieren die Teilnehmer_innen als Krieger, womit eine spezifische Vorstellung von Männlichkeit einhergeht. Zwar sind im Unterschied zur ersten Staffel in Schweden diesmal auch zwei Frauen Teil von 7 vs. Wild, doch überwiegt das Bild des harten, aber nachdenklichen Mannes in der Natur. Letzteres drückt sich vor allem in den minutenlangen Monologen über die Isolation, das Befinden und vor allem über die Frage, was der Mensch zum Überleben braucht, aus. Das ist, wie ständig wiederholt wird, nicht das Smartphone. Dass die Teilnehmer_innen allerdings ihre finanzielle Existenz auf Plattformen wie YouTube, TikTok und Instagram bestreiten, macht die Kritik zur Farce. Die Weisheit der Wildnisbezwinger_innen lautet: Das Internet sei nicht das wahre Leben und die Gesellschaft lebe sowieso in einer Scheinwelt des Überflusses, während es zum Überleben lediglich dreier Dinge bedürfe: Wasser, Unterschlupf, Nahrung. Das darin geäußerte Verständnis vom Wesen des Menschen hat eine lange Tradition, die Historikerin Dana Simmons in The Vital Minimum (2015) bereits für das moderne Frankreich ab 1790 nachzeichnet. Simmons führt aus, wie der Diskurs um die Frage, was „der Mensch“ zum (Über-)Leben braucht, stets eng mit der Debatte um Mindestlöhne verwoben war. Zu wissen, welche Ressourcen für die Erhaltung und Reproduktion des Arbeiter_innenkörpers notwendig waren, diente den Unternehmer_innen als Rechtfertigungsbasis, um minimale Löhne bestimmen und die Produktivität bei maximalem Profit sicherstellen zu können. Die damaligen wissenschaftlichen Definitionsversuche des menschlichen Wesens müssen demnach als Ausdruck sozialpolitischer Interessen interpretiert werden. Charakteristisch für diese Abhandlungen war bereits damals die privilegierte gesellschaftliche Position der sprechenden Philanthrop_innen. Auch in der Survival-Reality sind es nicht die einheimischen Servicekräfte, die von einer Überflussgesellschaft fabulieren, sondern die gutbetuchten Teilnehmer_innen, die meinen, „wir alle“ könnten und sollten doch mit weniger auskommen. Es sind diese philanthropischen Ergüsse, die zumeist in der Kommentarsektion die größte Aufmerksamkeit erfahren: „Finds richtig stark, wie Fritz auf unsere Gesellschaft reflektiert. Es sollte echt jeder einzelne darüber nachdenken, in welchem Überfluss wir eigentlich leben.“

Nordische Götter und Robinson Crusoe

„Ausgesetzt in der Wildnis von Schweden“ – wie es im Intro zur ersten Staffel heißt – lassen die Kandidaten ihre Sympathie für nordische Mythologie durchblicken. Sie rufen Odin an oder schnitzen zum Zeitvertreib ein Runenalphabet, dem sie quasimagische Bedeutung zusprechen. Die literarische Vorlage der zweiten Staffel kommt aus der Feder Daniel Defoes. Auf San José entdecken alle ihren inneren Robinson Crusoe. Die Verherrlichung dieser Urgeschichte des kolonialen Kapitalismus zeigt sich an Referenzen auf die Robinsonade Cast Away (2000) und Aussprüchen, wie „das ist meine Insel“ oder „ich bin hier der König“; vor allem aber daran, was der Kulturwissenschaftler Ian Watt als „the calculating gaze of colonial capitalism“ bezeichnete. Watt meint damit das Übersetzen alles Gegebenen (bei Robinson Crusoe inkludiert dies auch Menschen) in Wachstum, Fortschritt, Besitztümer. Die Teilnehmenden gerieren sich wahlweise als Kolonisator_innen und Abenteurer_innen oder als „Wilde“, das heißt als wandelnde koloniale Klischees von indigenen Gruppen. Dass dieses koloniale Gedankengut gerade im Zusammenhang mit dem in Survival-Shows inszenierten Individualismus zutage tritt, ist wohl kaum zufällig. Schon der antikoloniale Psychiater und Theoretiker Frantz Fanon identifiziert in seinem 1961 erschienenen Buch Die Verdammten dieser Erde den systematischen Individualismus als zentralen Angriffspunkt für den Widerstand gegen die Kolonialmächte.

Paternalismus in unberührter Natur

Fluch und Segen für die Instagram-Robinsons ist der allgegenwärtige Müll auf San José. Das passt selbstverständlich nicht zum Bild einer unberührten Natur, wie sie das Format verlangen würde. Das stört und entspricht so gar nicht den Vorstellungen der deutschen „Creators“. Dass die vermüllten Strände von den Teilnehmer_innen thematisiert werden, ist an und für sich nicht kritikwürdig – genauso wenig die finanzielle Unterstützung eines Projekts, das sich für die Bekämpfung von Plastikmüll einsetzt. Was allerdings angesprochen werden muss, sind die vorgebrachten Erklärungen und Lösungsansätze für die Müllplage. In typisch liberal-individualistischer Logik wird moniert, dass es wohl nicht so schwer sein könne, seinen Müll einfach in die Mülltonne zu werfen; als Schuldige werden „wir Menschen“ ausgemacht, also jede_r Einzelne. Nicht erwähnt wird, dass es aufgrund hoher Kosten und Überlastung der Abfallinfrastruktur in Panama etwa nicht so einfach ist, den Müll „einfach in die Mülltonne“ zu werfen. Verantwortlich für das Plastik sind in dieser Logik „wir alle“ und damit eben nicht jene Industrie, die uns alle in die Klimakatastrophe reitet, sondern die ecuadorianische Bäuerin und der Coca-Cola-Manager in Singapur gleichermaßen. Beschützer_in der verschmutzten Natur ist natürlich der_die Europäer_in. Dass der_die gerade mittels Flugzeugs und Helikopter auf der Insel angekommen ist, stört keinen großen Geist. Hier offenbart sich die fast schizophrene Haltung der Survival-Krieger_innen: Einerseits ist die Rede von „überlebensfeindlichem Gebiet“ und einem Kampf gegen „die Natur“, andererseits bedarf dieselbe Natur angeblich des Schutzes der Teilnehmer_innen.
Und auch wir Zuseher_innen werden bei 7 vs. Wild, Arctic Warrior und ähnlichen Formaten beschützt. Immer wieder gibt es kurze, schriftliche Einblendungen: teils enthalten sie Informationen zur Pflanzen- und Tierwelt, teils paternalistische Empfehlungen zum Rauchen oder Warnungen vor den in Kürze folgenden Bildern. Letzteres mag überraschen ob der Äußerung von Fritz Meinecke (der natürlich nicht allein für die Inhalte verantwortlich ist), ihm gehe „diese völlig verweichlichte Gutmenschen Gesellschaft so auf die Eier […]. Triggerwarnungen hier und da. Immer politisch korrekt.“
Die Idee von Triggerwarnungen bezog sich zunächst hauptsächlich auf Szenen sexualisierter Gewalt, um möglichen Retraumatisierungen vorzubeugen. Bei 7 vs. Wild wird die Triggerwarnung zu einer reinen Frage der Etikette, wodurch ihr der politische Gehalt entzogen wird. Alles ist jetzt potentiell traumatisierend, alles kann triggern, nichts soll die Zuseher_innen unvermittelt treffen. Das damit einhergehende Verständnis von Achtsamkeit oder Selfcare (von liberalen Social-Media-Kanälen oft als der heilige Gral des Zusammenlebens gepriesen) funktioniert auch ohne Solidarität.
Mit dieser Praxis ist 7 vs. Wild natürlich nicht allein, auch andere Formate schlagen in diese Kerbe. Besonders bei 7 vs. Wild ist es jedoch die Einbettung der Entpolitisierung von Triggerwarnungen in eine über weite Strecken militante, individualistische und proto-koloniale Ideologie, die der Realität des Reality-TV einen mehr als bitteren (rechten) Beigeschmack verleiht.