Eine Filmrezension zu Aftersun: Wenn die After-Sun-Creme nur noch oberflächlich hilft, es unter der Haut aber immer noch brennt
“Stop doing that.” “Doing what?” “Offering to pay for something when I know you don’t have the money.” Ein Dialog, der die Vater-Tochter Beziehung zwischen Sophie (Frankie Corio) und Calum (Paul Mescal) auf die Probe stellt. Ein beiläufiger, aus Frust entstandener Kommentar, dessen Implikationen zu diesem Zeitpunkt erst langsam zu erahnen sind. Charlotte Wells’ Debüt-Spielfilm Aftersun (2022) richtet den Kamerablick – sensibel geführt von Gregory Oke – auf die Dynamik seiner beiden ProtagonistIinnen. Das Setting: ein Urlaubsresort in der Umbauphase, vor dem Hintergrund der idyllisch eingefangenen, aber kulturell wenig präsenten Türkei. Nicht nur durch die bröckelnde Fassade deutet der Film eine Art von Spannung an, die man im ersten Moment nicht erwarten würde. Wieso wirkt hier alles harmonisch, doch gleichzeitig bedrohlich? Das grelle Licht der Sonne bietet nicht nur die Gelegenheit, am Pool zu verweilen und Eis zu essen. Wo es viel Licht gibt, ist der harte Schatten nie weit entfernt.
Losing my Religion oder vielleicht doch nur den Glauben an mich selbst
“That‘s me in the corner. That’s me in the spotlight. Losing my religion. Trying to keep up with you. And I don’t know if I can do it. Oh no I’ve said too much, I haven’t said enough.” R.E.M.’s zeitloser Klassiker aus dem Jahr 1991, der die eingangs zitierte Szene einleitet, legt seinen Finger pointiert in die zentrale Wunde des Films. Ein Song über unerwiderte Liebe. Eine Redewendung, die zeigt, hier ist jemand am Ende seiner Kräfte angekommen. Geht es um Sophies Liebe zu ihrem Vater, den sie seit der Trennung seltener zu Gesicht bekommt, worunter ihre Beziehung leidet? Geht es um Calums Liebe zu seiner Tochter, die er in den wenigen flüchtigen Momenten, die er – noch – hat, versucht aufrechtzuerhalten?
Der Film verdeutlicht im Laufe seiner Spielzeit, was es letzten Endes bedeuten kann, sowohl zu viel als auch zu wenig gesagt zu haben. Gerade anfangs erleben wir Calum als eine ausgeglichene und lockere Vaterfigur. Die Thai Chi Übungen, die Calum immer wieder in seinen Alltag einfließen lässt und die Sophie so gar nicht ausstehen kann, sind nur ein Element, das diese Ausgeglichenheit unterstreicht und vielleicht künstlich hervorhebt. Eine Einstellung eines Bücherstapels, der während einer wichtigen Auseinandersetzung zwischen den beiden eine überraschend präsente Position einnimmt, offenbart dabei noch mehr Selbsthilfe-Literatur. How to Meditate, Being Aware, Thai Chi und Poems, Stories and Writings, letzteres verfasst von Margaret Tait – selbst eine großartig einfühlsame Dichterin als auch Filmemacherin und Vorbild Well’s. Die Bücher sind für Calum wichtige Grund- oder Unterlage, die diesen Urlaub möglich machen, ihn aber auch in der Retrospektive so tragisch wirken lassen. Entweder waren sie Mittel, um der Vaterrolle ausgeglichen nachkommen zu können, oder eben letzter Halt.
Das Medium wird zur Erinnerung
Gerahmt ist der Film auditiv sowie visuell durch VHS-Camcorder-Aufnahmen. Das Trägermedium Videokassette versprüht und unterstreicht dabei nicht nur den nostalgischen Charme des Films, sondern verdeutlicht auch die Vergänglichkeit von Erinnerungen. Was bleibt uns, um uns zu erinnern? Wie lange halten die Magnetbänder, die uns diese kostbaren Momente konservieren sollen? Fragen, die der Film uns ZuschauerIinnen auf spürbare Art und Weise näherbringt. Das Spulen der Videokassette als Suche nach einem Einstiegspunkt, einem Anfang. Das Pausieren, wenn der Moment gekommen ist, an dem du merkst, dass es sich hier um den letzten Blickaustausch gehandelt hat. Immer bleibt jedoch die Möglichkeit des Zurückspulens bestehen. Je öfter man sich den Bildern allerdings zuwendet, desto schneller verfällt auch deren Lesbarkeit. Kratzer sowie Fragmente in Bild und Tonspur positionieren sich gegen das Versprechen der Konservierung.
Dieses Durchsuchen des Materials nach dem Moment, nach einem Ausdruck des Drucks, den Calum zunehmend schlechter unterdrücken kann, führt uns zurück zu der zuvor erwähnten Spannung, der unterliegenden Dunkelheit. “Can’t we give ourselves one more chance? Why can’t we give love that one more chance?” Queen und David Bowie drücken aus, was wir am Ende nur noch aushalten müssen: Während sich Calum im Rausch des Tanzes in der Dunkelheit verliert, verlieren sowohl wir als auch die um einige Jahre ältere Sophie (Celia Rowlson-Hall) den Bezug zu dieser Erinnerung und werden mit einem dumpfen Gefühl des Verlustes zurückgelassen. Doch solange sie nicht zerbröselt, lässt sich die VHS-Kassette immer wieder abspielen. Vielleicht müssen auch wir Aftersun immer wieder in die Abspielgeräte unserer Zeit einlegen, um nicht zu vergessen, was es bedeuten kann, Erinnerungen festzuhalten.
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