MALMOE

Niederösterreich: Nährboden für völkischen Rechtsextremismus

Du beschäftigst dich als Sozialarbeiterin mit rechtsextremen, völkischen Inhalten der Corona-Proteste. Wie sind deine Zugänge zu diesem Thema?

Mogli: Ich war in einer recht konservativen Schule, einer HTL (Anmerkung: Höhere Technische Lehranstalt), wo ich gemerkt habe, dass das politische Engagement jetzt nicht so da ist. An Wahltagen hörst du so Sätze wie: „Ich wähle was der Papa wählt, denn der weiß eh, was gut für die Wirtschaft ist.“ Obwohl wir da alle die gleichen Bildungszugänge hatten, hat man die Schwellen gemerkt, was bestimmt mit den geografischen Gegebenheiten und den Möglichkeiten, die man am Land hat, zusammenhängt. Und dann habe ich gedacht: „Hey, irgendwas geht am Land unter, was politische Bildung angeht.“ Auch durchs Studium ist das ein bisschen konkreter geworden, man schaut dann anders auf die Umgebung: in St. Pölten sind mir zum Beispiel immer mehr Sticker der Identitären aufgefallen. Ich bin dann irgendwann zu den Gutmenschen in St. Pölten gekommen. Die gibt es schon seit Jahrzehnten. Das ist eine zivile Vereinigung, die sagt: „Hey es ist nicht schlecht ein Gutmensch zu sein.“ Sie organisieren Demonstrationen, etwa beim Prozess wegen Amtsmissbrauchs von Waldhäusl vorm Gericht. In St. Pölten haben sie mal mit Schlauchbooten den zentralen Kreisverkehr blockiert um auf die Flüchtlingsumstände aufmerksam zu machen. Zu Corona ist das alles bisschen weniger geworden, wie alles außer die Rechten. Und so hat sich meine Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus intensiviert.

Dazu kommt, dass ich sehr viel in der Goa-Community unterwegs bin. Der Hippie-Lifestyle und dessen zusammenhängende Utopien haben sich zunehmend mit Esoterikkreisen überschnitten, die erstmal grundlegend nicht alle rechts waren. Ich habe meine Bachelorarbeit im Bereich Rechtsextremismus begonnen und die thematischen Überschneidungen zum völkischen Rechtsextremismus in Niederösterreich betrachtet.

Was würdest du sagen, ist in Bezug zum völkischen Rechtsextremismus auffällig in Niederösterreich?

Was ich sehr spannend finde, ist das Konzept der Freilerner-Schulen. Die sind nicht per se rechts, aber es gibt konkret die Gebrüder Leppe, die verbreiten – auch schon vor der Coronazeit – massive Verschwörungstheorien im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Ricardo Leppe hat die Freilerner-Initiative Wissen schafft Freiheit gegründet, wo solche Fächer unterrichtet werden wie „Wieso Europa“, „Pferdegeflüster“ und Kampftraining gibt es auch zum Teil. Auf den ersten Blick denkt man sich: „Cool, ein naturbezogenes Freilerner-Konzept“, aber wenn man sich die Aussagen anschaut, merkt man, dass da eigentlich ein esoterischer gut/böse Dualismus und auch Antisemitismus dahintersteckt. Das ist stark geprägt von der Anastasia-Bewegung, eine der größten völkischen Sekten in Österreich. Wenn man ein bisschen recherchiert, etwa auf den Homepages der Schulen, fällt auf, dass sehr viele von den Freilerner-Schulen auf dem Schetinin-Konzept basieren. Das Konzept fußt auf den Ideen des russischen Schriftstellers Vladimir Megre. Seine Buchreihe Anastasia propagiert im Grunde ein Bild weißer Oberherrschaft; dort steht zum Beispiel, dass es für die „Weißen“ essentiell sei, sich auf Familienland niederzulassen und Gemeinschaften unabhängig von anderen zu errichten. Über die Anastasia-Bewegung findet sich auch ein starker Link der völkischen Bewegung in Niederösterreich zu Russland.

Warum findet das so viel Anklang in Niederösterreich?

Dieser Gedanke, eigenes Gemüse anzubauen, das ist ja per se nichts Schlechtes und gerade am Land sogar realistisch. Wenn man dann zusätzlich, gerade im Kontext von Corona, dieses Verlangen nach Selbstversorgertum, Einklang mit der Natur und so weiter hat, können rechte Organisationen beziehungsweise rechte Sekten daran anschließen, indem sie sagen: „Wir machen genau das, aber wir zeigen euch nicht sofort, dass wir antisemitisch sind! Wir bieten euch eine Community und Gemeinschaft, auch für Kinder und so weiter.“ Diese geografische Möglichkeit und der Platz, gerade im Waldviertel, lässt es für viele Leute attraktiv erscheinen, was die Rechten gut zu instrumentalisieren wissen.

Ausgang deiner Forschung war die Beobachtung, dass auch in der Goa-Szene, in der du unterwegs bist, rechte und völkische Inhalte Einzug gefunden haben. Wie lief das ab?

Ich habe es erst richtig gemerkt, als es Freunde in meiner Bubble betroffen hat. Ich bin in die größten Covid-Schwurbler-Telegramgruppen eingestiegen, weil es mich interessiert hat. Dort ist mir aufgefallen: „Ok, die zwei, drei Freunde sind in jeder von diesen Gruppen.“ Diese neue Spiritualität, die dort geboten wird, als Alternative zu Staat und Behörden, ist nicht nur für frustrierte Menschen attraktiv, sondern auch für Leute, die sich als links verstehen. Da habe ich realisiert, dass das auch bei mir in der Bubble angekommen war und dass völkische Inhalte offensichtlich auch für Linke anschlussfähig sein können.

Wie bist du damit umgegangen?

Persönlich habe ich versucht, im Dialog zu bleiben, also zum Beispiel ein Interesse an Spiritualität anzuerkennen. Aber währenddessen die völkische, extreme Rechte und den Gefahren, die von ihr ausgehen, klar zu benennen. Im Sinne von: „Weißt du eigentlich, mit wem du da schreibst, dass die Person in der rechtsextremen, völkischen Szene ist?“ Ich denke, das Wissen über die völkische Rechte ist dabei zentral.
Ich frage mich dabei immer, wo die Grenze bei Menschen ist: Wenn dein Kind krank wird und du behandelst es mit Ringelblumenöl? In Deutschland hat es Fälle gegeben, wo Kinder im Zuge einer Behandlung mit sogenannter völkisch-neugermanischer Medizin gestorben sind. Ich denke, es ist wichtig im Diskurs zu bleiben, um ein Abdriften verhindern zu können.

Noch mal in Bezug zur neuen Schwarz-Blauen Koalition, hast du da schon was mitbekommen und gibt’s da bereits Reaktionen?

In meinem sozialarbeiterischen Kontext ist die Forderung ganz klar: Ausbau von Psychotherapie und mehr Therapieplätze für die Kassen. Wenn es den Covid-Hilfsfonds geben sollte, dann sollen sie das Geld sinnvoll investieren. Vor allem die Jugend: Es gibt Jugendliche, die seit 2019 nicht mehr aus dem Haus gehen, einige davon haben sich radikalisiert und brauchen Unterstützung. An diesen Stellen sollte meiner Meinung nach der finanzielle Covid-Ausgleich eingesetzt werden. Das Geld sollte nicht etwa den Leuten gegeben werden, die sich null solidarisch verhalten haben und die nichts dafür gemacht haben, dass die Pandemie vorbei geht.
In meinem Netzwerk wird außerdem Deutsch als Hauptunterrichtssprache in Schulen thematisiert. Es gibt einige Stellungnahmen, die von vielen Vereinigungen unterzeichnet wurden, die sich klar dagegen aussprechen und begründen, warum das deppert ist. Und auch die Pass-Egal-Wahl in Niederösterreich ist ein Thema. Man muss halt lauter sein in Niederösterreich!

Welche Wünsche hast du?

Ein bisschen Veränderung, wir liegen irgendwie auf dem Rücken. Ja, wir sind das größte Bundesland, aber mit der geringsten politischen Beteiligung. Niederösterreich ist gefühlt in der Steinzeit, während andere Bundesländer schon so viel weiter sind als wir. Wir diskutieren, ob Deutsch im Unterricht die Hauptsprache sein soll, was ist das für ein Bullshit. Es gäbe so viel wichtigere Themen bei uns am Land: öffentliche Verkehrsmittel; Notschlafstellen – wir haben eine Notschlafstelle für Männer mit 19 Plätzen und nur einen für Frauen. Was machen wir in Niederösterreich? Garnichts. Und das ist das größte Problem, was wir alle haben. Wir sind alle ein bisschen genervt vom müden und langsamen Niederösterreich. Aber ist trotzdem nett da meistens. Lachen.
Mogli