MALMOE

Böse Hexe, Gute Hexe

Über den Hype der „modernen Hexen“ in feministischen Kreisen.

In den USA kann man sich der Wicca-Religion anschließen, in Europa gibt es zahlreiche „Hexen“, die für viel Geld Runen, Yoga und Tarot-Zeremonien anbieten. Hinter dem Schleier der weiblichen Emanzipation verbergen sich jedoch rechte Ideen. Wie kann diese Verwandtschaft ausgemacht werden?

Eine Hexe: alt, vereinsamt, Böses im Schilde führend. Eine Frau. Vor ein paar Tagen habe ich mich an das Hörspiel Die kleine Hexe (1977) erinnert. Ich habe das früher auf Kassette gehört, und verbinde damit wohlige Kindheitserinnerungen. Mein Vater hat meine Mutter öfter als Hexe bezeichnet – nach dieser Recherche habe ich ihn angerufen und ihm das erzählt. Er hat sich erinnert und etwas geschämt.


Gute Hexe?


Aber hier soll es um die theoretischen Hintergründe verschiedener Hexenbegriffe gehen. Da wäre zum einen die positive Besetzung des Hexenbegriffs in feministischen Kreisen. Seit den 1970ern fand eine Neugeburt der Hexe innerhalb dieser statt: Ihr Bild wurde nun von Frauen affirmiert als Form des Widerstands gegen Patriarchat und geschlechtsspezifische Gewalt. Jedoch lassen sich in unterschiedlichen politischen Lagern ganz verschiedene, meist die historische Dimension ausklammernde, Rekurse auf die Hexe feststellen. Diese Entwicklung von sowohl neuheidnischen Hexenreligionen, als auch dem sogenannten spirituellen „Feminismus“ sind beunruhigend. In linken Kreisen findet spätestens seit Pandemiezeiten eine schärfere Kritik dieser Bewegungen statt. Oft werden diese selbsternannten modernen Hexen aber bloß als esoterische Spinner:nnen verhöhnt. Dies geschieht zwar aus gutem Grund, allerdings geht das nicht weit genug. Um eine angemessene Kritik üben zu können, muss die hinter dem neuen Hexenkult liegende Ideologie betrachtet werden. Die beobachtbaren Überschneidungen mit völkischen Ideologemen sind keine lustigen Zufälle, sondern stellen ein ernst zu nehmendes und zu untersuchendes Phänomen dar. Auch das Internet ist voller Kanäle von selbsternannten modernen Hexen und Dokus über ebensolche. Dort wird rekurriert auf germanische Runen, eine archaische Gesellschaft vor dem Kapitalismus und teilweise auf besondere magische Kräfte. Die sogenannten modernen Hexen sympathisieren nicht nur mit (vielleicht noch legitimen) Kräutermischungen, sondern auch mit allem anderen, was in der Eso-Szene üblich ist: Edelsteine, eine gewisse Wissenschafts- und „Elitefeindlichkeit“, sowie die grundlegende Skepsis gegenüber dem, was technologischer Fortschritt genannt wird. Genau diese reaktionären Vorstellungen teilen sich die Esoteriker:nnen mit der neuen Rechten. Sie berufen sich beide auf heidnische oder germanische Traditionen, sowie ein damit zusammenhängendes Geschlechterbild (dazu später mehr). Natürlich gibt es verschiedene Kombinationen dieser Grundelemente, mal werden sie mehr, mal weniger radikal formuliert. So gibt es auch „moderne Hexen“, die nach einem Ayahuasca-Trip in Lateinamerika ihr Verhältnis zur Natur aus anderen Religionen als einer germanischen begründen. Wie auch immer, während der Lockdown-Proteste konnten wir eine harmonische Mischung aus eben jenen Esoteriker:nnen und Neurechten sehen. Diese Ereignisse ließen keinen Zweifel mehr daran, dass die Verbindungen von Eso und Neurechts als gefährliche politische Allianzbildung eingestuft werden müssen.

Völkischer „Feminismus“ und die Hexe

Alle Rekurse haben eines gemeinsam: sie vernachlässigen weitestgehend, wer die his-torischen, sogenannten Hexen tatsächlich waren. Abhilfe schafft da das Werk Caliban und die Hexe (2004) der politischen Philosophin Silvia Federici. Sie beleuchtet die Hexenverfolgungen des ausgehenden Mittelalters aus einer feministisch-marxistischen Perspektive. Die Vorgänge der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals fanden ihr zufolge nicht zufällig in der gleichen Zeit wie die massenhaften Angriffe auf vermeintliche Hexen statt. Die Praktiken und Lebensweisen der verfolgten, gefolterten und ermordeten Frauen waren zu jener Zeit nicht mit den Ansprüchen der kapitalistischen Produktionsweise zusammenzubringen. Hebammen, die Wissen über Abtreibungen und Verhütungsmethoden hatten, sogenannte Kräuterhexen, die der (Männern vorbehaltenen) Berufsmedizin Konkurrenz machten oder jene, die allein lebten und keine Kinder (/neue Arbeiter:nnen) produzieren wollten. Caliban und die Hexe erlebt einen Hype in linken Kreisen. Es gibt jedoch Kolleg:nnen von Federici, die sie für ihre „germanophilen und antikirchlichen Stereotype“ kritisieren.(1) Die Überschneidungen zwischen dem Hexenbild des völkischen Feminismus des 20. Jahrhunderts und dem von Federici sind aber für die Auseinandersetzung mit den Vorstellungen der spirituell-feministischen Bewegungen gegenwärtig zu marginal, um sie hier ausführlicher zu diskutieren. Das Phänomen des völkischen sogenannten Feminismus an sich ist aber sehr wohl relevant für die hier besprochenen Probleme. Um dieses zu verstehen, muss dessen Grundlage, die völkische Ideologie erklärt werden. Der Begriff völkisch bezieht sich auf reaktionäre, rassistische Bewegungen (und deren Gedankengut), die am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Blütezeit hatten. Wichtig ist, dass es sich hierbei um spezifisch deutsche Phänomene mit einer langen Geschichte handelt. Laut dem Historiker Felix Wiedemann stellte das Volk bereits in der romantisch-nationalistischen Mythologie des 19. Jahrhunderts eine metaphysische Entität dar und errang den Status eines eigenständigen historischen Subjekts.(2) Die Zugehörigkeit zum deutschen Volk wurde nicht an politische oder territoriale Kriterien, sondern an vermeintlich ethnische – wie Sprache und Kultur, sowie an die Vorstellung einer genealogischen (Bluts-)Verbundenheit gekoppelt. Diese wurden als natürliche, feststehende Faktoren ausgegeben. Zu einem großen Teil fanden die Ideen ihren Weg in die wahnhaften Vorstellungen der Nationalsozialist:nnen. Die völkische Ideologie hatte viele Überschneidungen mit der damaligen Heimat- und Naturschutzbewegung, welche sich auf das zivilisationsfeindliche Postulat einer Entartung der Menschen von der Natur, beziehungsweise ihrer ursprünglichen Lebensweise bezogen.
Die Verbindung zwischen Feminismus und der völkischen Ideologie erscheint auf den ersten Blick bizarr. Durch meine Recherche fand ich jedoch erstaunlich viel Lektüre zu dieser Schnittstelle. Der Begriff des völkischen Feminismus beschreibt keine eigenständige Bewegung, sondern fungiert eher als ein Sammelbegriff für vereinzelte Frauen, die völkische Ideologie und Feminismus zu vereinen versuchen. Ein schwieriger Spagat in Anbetracht der Tatsache, dass sich die völkische Ideologie durch einen dezidierten Antifeminismus und Misogynie auszeichnet und größtenteils männlich dominiert ist. Die völkischen Feminist:innen, die sich in Zeiten der Weimarer Republik formierten, waren generell offen gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung, wodurch es später in bestimmten Fragen geteilte Ansichten gab. Es bestand aber zwischen den Frauen ein eher lockerer Zusammenhang, der sich weniger in der Gründung eigener Frauenorganisationen niederschlug, sondern hauptsächlich über gemeinsame Publikationen und Vortragstätigkeiten hergestellt wurde. Inhaltlich wird der völkische Feminismus durch einen Bezug auf den sogenannten Matriarchatsmythos und einen ausgeprägten Antisemitismus charakterisiert. Letzterer zeigt sich unter anderem in der Ausspielung einer den abrahamitischen Religionen innewohnenden Misogynie gegen ein germanisches, vermeintlich egalitäres, „arteigenes“ Geschlechterverhältnis. Dieses sei Teil der ursprünglichen Gesellschaft gewesen, die im Zuge der Hexenverfolgungen – und anderen historischen Prozessen – zerstört worden sei.
Der spirituelle, neuheidnische Feminismus reiht sich in diese Tradition ein. Er versucht, völkische Elemente und Feminismus so zu verknüpfen, wie das Vorgängermodell. Die Hexenverfolgungen und das „moderne Hexenwesen“ finden eine besondere Beachtung in jenen Kreisen. Die historischen „Hexen“ werden dargestellt als naturverbundene Wesen, die über besonderes Wissen verfügten und einer altgermanischen religiösen Tradition angehörten. Es wird auf eine vergangene weibliche Macht Bezug genommen, die man sich nun zurückerobere. Dieses, laut Gabriele Becker geschichtsfeindliche und ursprungsmythische Denken führe zur Biologisierung der Weiblichkeit und Ontologisierung des Geschlechtergegensatzes.(3) Genau wie Carole Pateman es in ihrem theoretischen Werk The Sexual Contract (1988) beschreibt, werden die Frauen in der Sphäre der Natur zurückgelassen, während die Männer mit Verstand in die Zivilisation schreiten.


In YouTube-Reportage-Formaten wie beispielsweise Die Frage, Leeroy will’s wissen!, Y-Kollektiv, uvm. geht es immer wieder um das Thema der „modernen Hexe“. So wurde im Juni 2018 die selbsternannte Hexe Xenia Kamala Tiamat Sparkling Awareness Of The Heart vom Y-Kollektiv interviewt. Sie lebt auf einem abgeschiedenen Grundstück an der Ostsee und phantasiert von germanischen Runen und nordischen Gottheiten – unter ständigem Bezug auf eine nicht weiter erörterte mystische, weibliche Macht. Eine Gemeinsamkeit dieser online omnipräsenten, zeitgenössischen Hexen ist zudem das Vertrauen ins Mindset: „Wenn du etwas nur stark genug willst (und genügend Edelsteine gekauft hast), klappt das auch.“ Hier vermischt sich neoliberale Selbstvermarktung mit völkisch-konservativer Misogynie, unter dem Deckmantel einer angeblichen Selbstermächtigung.


Böse Hexe?


Aber es sind nicht nur Frauen, die sich mit dem „Hexensein“ selbst unterdrücken. Neben der übertriebenen, naiv positiven Besetzung des Hexenbegriffs existiert ungebrochen die (oft durch Männer aufrecht erhaltene) alte misogyne Vorstellung der Hexe. Diese muss mindestens genauso kritisch hinterfragt werden. Die Selbstbezeichnung als Hexe mag einerseits einigen Frauen helfen, sich von gewissen Umständen zu emanzipieren, wobei sie andererseits als Fremdzuschreibung immer diffamierend ist. Frauen, die ungerechte Verhältnisse anprangern, Widerworte geben, ihre eigenen Pläne (auch ohne Rücksicht) durchsetzen, gehässig sind, oder über Macht verfügen, werden gerne als Hexen bezeichnet. Auch die Tradition der Funkenfeuer, bei denen zur Fastnacht der Winter vertrieben und eine Hexenpuppe auf einem Holzturm verbrannt wird, zählt dazu. Die „Hexenbauer“, welche sich dem Basteln der stilisierten Funkenhexen annehmen, streiten eine Verbindung zu den Hexenverfolgungen des Mittelalters jedoch ab. Die Puppen seien erst später zu der ursprünglichen Tradition dazugekommen, um das Fest spannender zu gestalten. In Vorarlberg gab es diesen Februar einen besonders interessanten Vorfall: Die Funkenzunft der Gemeinde Vandans stattete ihre Hexe mit Warnweste und Klebertube aus. Auf Social Media posteten sie Bilder von ihr mit der Anmerkung, dass die es „verdient“ habe, verbrannt zu werden.(4) Eine weitere Dimension kommt durch politische Figuren wie Donald Trump dazu. Auf Twitter vollzog er 2018 die abstruse Verdrehung, selbst das Opfer einer Hexenjagd zu sein. Dabei ging es um die Ermittlungen zur Einflussnahme Russlands auf die zurückliegenden Präsidentschaftswahlen.(5) Trump als rebellische Magierin – ein interessanter Take.


Man kann sich also in den vielfältigsten Interpretationen und Projektionen über die Hexe verlieren. Was bleibt ist ein unwohles Gefühl. Irgendwie scheint keine dieser Vorstellungen ein angemessenes Bild der historischen Hexe zeichnen zu können. Das liegt daran, dass diese niemals existiert hat. Der Begriff fungierte stets nur als Fremdzuschreibung und als Projektion für verschiedenste Frauen- und Naturbilder. Silvia Federici ist einen Schritt in die richtige Richtung gegangen, aber noch nicht weit genug. Die Hexe muss vollständig als sogenannte enttarnt werden; entmystifiziert und der Biologisierung der Weiblichkeit entrissen werden.

  1. Etwa Dorothea Schmidt (2022): Ein mehr als abenteuerlicher Ritt auf dem Besen der Hexenforschung
  2. Felix Wiedemann (2007): Rassenmutter und Rebellin: Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus. Königshausen & Neumann, S. 118f.
  3. Gabriele Becker, und Silvia Bovenschen, et al. (1981): Aus der Zeit der Verzweiflung: Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes (4. Aufl.). Suhrkamp, S. 266.
  4. Angela Ganthaler: Funkenhexe als Klimakleberin: Aufregung in Vandans, vorarlberg.ORF.at, 26.02.2023
  5. Wird Trump nervös? So oft schreibt der US-Präsident auf Twitter von ‚Hexenjagd’, stern.de, 23.08.2018