Ist Techno einfach kalt, oder hat die Szene Potenzial für ein bisschen Nestwärme?
Das unsafe+sounds Festival brachte im Herbst dieses Jahres bereits in der achten Auflage die Routine Wiener Clubs ins Wanken. Neben dem allseits bekannten musikalischen Part, gab es dieses Jahr zum ersten Mal ein Diskursprogramm. Kuratiert von der Kulturanthropologin und Kulturarbeiterin Bianca Ludewig, fanden Denkbewegungen ihren Weg durch Türpolitiken und Körper auf Droge zurück zu den Anfängen der Wiener Techno-Szene in den 1990ern.
MALMOE: In dem Ankündigungstext zu unsafe+sounds schreibt ihr, dass im Cocooning eine Strategie im Umgang mit „Krieg, Naturkatastrophen, Klimakrisen, Energiekrisen, Bankenkrisen, Seuchen und Pandemien, Rechtsruck, Überwachung, Information Overflow, Exzess der Daten, Ausbeutung, Gleichschaltung, Machtlosigkeit, Depression“ liegt. Was ist Cocooning und welches Potenzial siehst du darin?
Bianca Ludewig: Cocooning ist eigentlich ein Begriff aus der Musikwissenschaft, um zu beschreiben, wie Musik wirkt, wenn man sich bewegt. Es geht hauptsächlich um Stereo-Systeme im Auto während des Fahrens. In deinem Auto bist du wie in einem Kokon. Du bist abgekapselt von der Landschaft um dich herum und die Bilder fliegen vorbei. Das gibt es auch im Zug, also überall, wo du mobil bist. Den Begriff kann man natürlich auch auf den Club übertragen. Dort hast du Musik und der Rest, was draußen passiert, während du im Club bist, wird ausgeblendet. Oder der klassische High Fidelity-Hörer, der sich zu Hause mit Kopfhörern vor seine High-End-Stereoanlage setzt und Jazz-Platten hört. Das ist alles sehr stereotyp männlich. Dieses Klischee von einem Mann, der sich abkapseln will vom Geschrei seiner Kinder und dem Geschepper der Frau, die gerade die Küche sauber macht. Generell ist das alles an dem männlichen Hörer ausgerichtet. Ich rede jetzt total in Klischees, aber so wurde das früher tatsächlich vermarktet.
Alle leidenschaftlichen Walkman-Hörerinnen der 1980er-Jahre werden jetzt wahrscheinlich widersprechen und das Gefühl der Sicherheit betonen und nicht so sehr das abgekapselt sein. Man ist umgeben von dem Sound, den man mag und das gibt eine Sicherheit in der Unsicherheit der Stadt. Denn Stadt ist ja doch ein relativ anonymes Phänomen – du bist umgeben von Fremden. Und da ist der Club zentral oder das Nachtleben allgemein, weil dort die Möglichkeit geschaffen wird mit den anderen Fremden sozusagen in Verbindung zu treten und sich zu vergemeinschaften über Musik.
Gemeinsam einsam auf der Tanzfläche im Club von Nebel umhüllt?
Erstmal muss Nebel da sein. Und je nachdem, welches Genre du hörst, gibt es Deko oder Visuals. Im ganzen Hardcore-Bereich gibt es traditionell sehr viel Nebel – dunkle Bunker oder Keller voller Nebel – Hauptsache es gibt keine Spiegel, weil alle so fertig aussehen, denn damals bei solchen illegalen Partys war es noch egal, was du anhattest. Die Musik und das Tanzen standen im Vordergrund. Das ist natürlich ein ganz anderes Cocooning, wenn du nichts mehr siehst und nur noch im Sound drin bist. Das hat vielleicht wirklich sowas von gemeinsamem Einsamen, aber das hat auch eine ganz andere Dynamik, wenn du dich körperlich total auspowerst. Beim Hardcore steht das Tanzen im Vordergrund, weil die Musik so laut sein muss, um ihre sonische Wirkungskraft zu entfalten, dass man sich nicht unterhalten kann.
Wenn ich an Techno denke, dann habe ich riesige Fabrikhallen vor Augen, harte Beats und generell eine eher kalte Ästhetik, nicht viel Nestwärme auf jeden Fall. Gehst du da mit?
Das sind ja auch Sachen, worüber man sich abgrenzen will. Bei Minimal oder House, also diesem ganzen „Wohlfühl-Techno“, gibt es ganz viele Läden, die sind total verspielt, massiv Deko, alles selbst gebaut. Da ist sehen und gesehen werden total wichtig. Und ein Flauschpaket oder die Nestwärme, von der du gesprochen hast, gibt es da auch. Mich persönlich spricht das nicht so an. Wenn ich flauschige Sounds hören will, dann mach ich das zu Hause oder in einer Bar. Im Club nutze ich den Sound, um mich abzureagieren. Bei diesen düsteren oder härteren Spielarten von Techno steht mehr das gemeinsame Tanzen im Vordergrund, was eben auch eine schöne Art des Abreagierens ist. Das ist schon fast ironisch: was einen kaputt macht, mit dem zu bekämpfen, was einen kaputt macht, also mit Klängen, die das widerspiegeln.
Und wann kam dann der Ausverkauf?
Tanith hat Anfang der 1990er mal gesagt, dass Techno bestimmt niemals kommerzialisiert werden kann und drei Jahre später ging es los. Das ist das Unbehagen, was ich mit Techno verbinde: diese Kommerzialisierung, dass das alles so ein bisschen shallow ist. Die große Hoffnung in Techno war ja, dass sich die Gesellschaft über Technik liberalisieren und egalisieren wird. Dass das Leben gerechter und gleichwertiger für die Masse der Menschen wird – und das hat sich nicht erfüllt.
Du hast bereits selbst Festivals mitorganisiert und dir als Forscherin angeschaut, wie Festivals organisiert werden. Resultate dieser Orga-Arbeit sind viel zu oft Müdigkeit, Depression und fertig sein. Was machst du, wenn dich diese Müdigkeit überkommt?
Ich hatte schon Erschöpfungszustände. Wobei man sagen muss, dass wir bei unsafe+sounds ja glücklicherweise auch ein paar Tage frei hatten zwischen dem ersten Festival-Wochenende und der Woche danach, was schon mal ganz gut ist. In meiner Forschung habe ich diese Erschöpfung, die bis zum Burnout gehen kann, häufig miterlebt. Die Leute kriegen gar nichts mehr mit, weil sie ständig nur SMS oder E-Mails beantworten müssen, von morgens bis abends da sein müssen. Das ist die Realität. Für die meisten Leute ist der Festivaljob einer von vielen Jobs. Festivals und Events organisieren, schreiben, Musik machen, eben viele Sachen. Das ist eine ganz harte Schule, weil du im Kulturbereich richtig schlecht bezahlt wirst. Alles ist immer prekär. Und in Österreich ist es vergleichsweise noch gut, wenn man es mit Deutschland vergleicht, ganz zu schweigen von Ungarn oder Tschechien. Themen wie Gesundheit oder Fair Pay sind aber auch in Österreich total unterbewertet.
Meine Hoffnung ist, dass Leute auch Energie aus einem Festival ziehen können. Finden sich da Paare oder finden sich neue Freunde? Treffen sich Leute wieder, die ein Projekt zusammen machen wollen? Also etwas, dass, ich drücke es jetzt ein bisschen drastisch aus, über einen reinen Eskapismus hinausgeht, etwas das Erleben und das weitere Leben verbindet. So etwas wird in der Regel ausgeblendet. Ich fand es eine sehr schöne Erfahrung, weil es mir während Covid-19 total abgegangen ist, Leute zu treffen, die die man eben nur auf Veranstaltungen trifft. Ich hatte diesen Sommer zum ersten Mal wieder das Gefühl: „Hey, wir sind eine Szene und ich bin nicht alleine!“ Das ist mir ziemlich abgegangen und das Gefühl ist auch wichtig für das eigene Wohlbefinden. Deswegen ist Musik für mich sehr wichtig, weil es ein soziales Umfeld ist, aus dem ich persönlich Kraft schöpfe.
Dieses Gemeinsam-Dinge-Tun klingt sehr gut! Dabei habe ich es immer wichtig gefunden, wenn es für Veranstaltungen ein Awareness-Konzept gab, dass Menschen dazu angehalten werden, aufeinander zu schauen. Gleichzeitig finden auch in der Techno-Szene Ausschlüsse statt. Menschen werden strukturell oder individuell ausgegrenzt. Das ist Realität. Wie würdest du diese Spannung beschreiben?
Zuerst muss man sagen, dass man das nie so richtig verallgemeinern kann, weil es immer lokale Unterschiede gibt und eben auch in Bezug auf die Genres und die Musik. Natürlich ist das Leben sowieso voller Ambivalenzen, aber ich finde, beim Techno gibt es eben sehr große Ambivalenzen. Im Techno wird immer behauptet, es seien alle gleich, aber das ist einfach Quatsch. Mit der Tür geht es schon los. Wer darf rein, wer darf nicht rein und teilweise auch aus total absurden Gründen, die völlig undurchsichtig sind. Das ist so eine Art kuratiertes Wohlfühlprogramm. Genauso schwierig finde ich es, wenn zum Beispiel im Rhiz kein Eintritt mehr ist und jede Menge Typen reinkommen, die nur Frauen anbaggern. Ich bin als weibliche DJ voll oft belästigt worden im Club, aber niemand war da, derdie sich irgendwie zuständig fühlt. Da ist nur eine andere Frau an der Bar und sonst niemand. Die Szene müsste auch viel, viel inklusiver sein. Durch female:pressure ist da schon einiges aufgedeckt worden, auch durch andere Initiativen. Aber female:pressure waren schon die, die das losgetreten haben. Die Festivals im experimentellen elektronischen Bereich, die ich beforscht habe, sind zumindest inzwischen mehr aware, was Genderaspekte betrifft. Ich weiß nicht wirklich, ob es nur ein Feigenblatt ist oder ob die Leute tatsächlich dahinterstehen, aber der Druck ist jedenfalls hoch genug, dass die Festivals reagieren müssen. Ich finde Awareness extrem wichtig, gerade was Frauen betrifft, aber es sollte auch mehr Awareness geben für die Ausschlüsse an der Tür. Wenn Leute in den Club wollen, die die Szene nicht kennen, sollten die schon die Chance bekommen, die Szene kennenzulernen. Aber das ist eben viel Arbeit, wenn erklärt werden muss, was nicht erwünscht ist und warum. Sonst fliegen einige ziemlich schnell wieder raus, wenn es ein gutes Awareness-Team gibt. Und schlussendlich muss es einen Willen für mehr Diversität bei den Organisator:innen geben, die dann auch ihre Promotion dementsprechend über die üblichen Szene-Kreise hinaus ausweiten müssten.