MALMOE

Platten, Rad, Polo, Cops

Platten, Rad, Polo, Cops – Die Mobilitätskolumne in der MALMOE

„Öffentlichkeit schafft Verbindlichkeit“


Wilder Streik und Demo bei Mjam


Wie gelingt es besser, den gesellschaftlichen Normalzustand zu durchbrechen und dem argen (Arbeits-)Alltag eine Absage zu erteilen, als durch einen Streik? Aktuell ereignen sich davon wieder mehr, etwa im Sozial- und Pflegebereich, auch Lehrende und Pädagog_innen legen die Arbeit nieder, gerade Mitte November wurde die Uni in Wien besetzt.
Auch bei den Essenlieferdiensten brodelt es gehörig, und das nicht erst seit den wilden Streiks Ende Oktober. Seit langem werden die prekären Arbeitsbedingungen, die unter dem euphemistischen Titel „freie Dienstnehmer“ zusammengefasst werden, angeprangert. Frei heißt hier in erster Linie: frei, ausgebeutet zu werden, vermarktet wird es als „superflexible Arbeitszeiten“. Dass es dabei kein Recht auf bezahlten Urlaub, Krankenstand, garantiertes Einkommen (keine Mindestlöhne oder Kollektivverträge!) oder betriebliche Mitsprache (Betriebsrat!) gibt, führen Mjam, Flink, Alfies und Konsorten eher nicht als Eigenwerbung auf. Dazu kommt, dass die frei wählbare Arbeitszeit gar nicht so frei ist wie versprochen.


Ein wilder Streik beschreibt die Niederlegung der Arbeit ohne Rücksprache mit Gewerkschaften oder Vertretungen und verläuft oft ohne größere Organisation im Hintergrund. Die Eruption ist plötzlich, und oft finden sich prägnante Ereignisse in der Arbeit, die eine Belegschaft dazu veranlassen, die Bedingungen ihrer Arbeit nicht mehr hinzunehmen. Durch die fehlende Ankündigung, was nicht in einer österreichischen sozialpartnerschaftlichen Tradition steht, werden Arbeitgebende überrascht. Es können keine Vertretungen („Streikbrecher“) organisiert oder etwa Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Aufgrund ihres unvorhersehbaren Charakters sind sie ein extrem wirksames Mittel im Arbeitskampf.


Das fehlende Anstellungsverhältnis in weiten Teilen des Lieferdienstsektors macht gerade den Arbeitskampf sehr zach. Die Verbindlichkeit von Forderungen wird demnach nicht durch Verhandlungen an „runden Tischen“ hergestellt, sondern auf der Straße bei direkten Aktionen, was vielleicht auch für einige andere Bereiche die wirksamere Kampfform darstellt.


An dem Punkt versucht das Riders Collective anzusetzen. Im U-Bahn-Bogen Josefstädter hat es einen Ort geschaffen, der etwa als Werkstatt fürs Arbeitsgerät dient, als Vernetzungsraum, Tee-/Kaffee-Station oder einfach nur als ein Aufenthaltsort für die Pause von der stressigen Arbeit im kalten Nass. Der Austausch führt dazu, dass die Arbeitenden besser informiert sind als jene, die ihre Arbeit organisieren.
Das Projekt ist sehr spannend, denn es versucht, eine extrem prekäre, mehrsprachige und oft isolierte Belegschaft zu organisieren. Arbeitsrealitäten, die als Gig-Economies bezeichnet werden, nehmen aktuell rasant zu. Das Riders Collective ist mit dem Ziel angetreten, der Vereinzelung, die immer im Interesse der Konzerne und Firmen arbeitet, entgegenzutreten. Organisation in dem Bereich produziert viel nützliches Wissen, das für weitere Arbeitskämpfe genutzt werden kann. Als ein von der AK gefördertes Projekt hat es dabei einen Prototypencharakter und es bleibt zu wünschen, dass Organisationen wie der ÖGB sich weiter den Lebensrealitäten der Arbeitenden anpassen, statt an einem überholten und romantisierten Bild vom „österreichischen Arbeiter“ festzuhalten.
Die wilden Streiks waren auf einen Sonntag ab 16 Uhr angesetzt, eine sensible Geschäftszeit, und als erste Maßnahme hat Mjam prompt einen extra Euro Gehalt/Stunde für die Zeitspanne ausgerufen. Die ein Euro-Prämie soll vom Streik abhalten. Auch eine Chatgruppe, in der sich die Streikenden organisiert haben, wurde von Mjam gehijackt. Alle Mitglieder in der Gruppe bekamen individuelle Einladungen zu Gesprächen, selbst Menschen, die gar nicht bei Mjam arbeiten, aber in der Chat-Gruppe waren. Der Versuch von Spaltung ist eines der wichtigen Werkzeuge, um eine aufmüpfige Belegschaft zu kontrollieren. Dass Mjam dabei recht hilflos wirkt, spricht für die Bedrohung und Macht, die wilde Streiks für den Konzern darstellen.


Als Arbeitende_r im Lieferdienstbereich lohnt ein Besuch beim „Spill it!“, dem offenen Treffen im Riders Collective-Space im Roten Bogen, um weitere Aktionen zu planen, die eigenen Rechte besser kennenzulernen und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und zu organisieren.


TK