Ich brauche nur noch eine Mahlzeit am Tag.
An die täglichen Haferflocken und die Powerriegel habe ich mich gewöhnt.
Stelle mir den Geschmack von Maden ähnlich vor.
Weiß auch nicht, warum ich seit einigen Wochen täglich über den Geschmack von Maden nachdenke. In meiner Wohnung gibt es nichts, was vergammeln könnte. Am Fenster sind keine Maden, maximal Tauben. Die Tauben scheißen nur. Die kriechen nicht. Die drehen und wenden ihre Körper nicht so grazil wie die kleinen weißen Maden in meiner Vorstellung.
Von Maden habe ich gelesen, selbst aber nie eine berührt und auch keine gegessen.
Ich bin mir nicht sicher, ob es noch Maden gibt.
Heute ist mein Geburtstag.
Zum Glück hat niemand meine Telefonnummer.
Vielleicht brate ich zur Feier des Tages eine Taube. Was ist das Filetstück der Taube?
Mein Jagdinstinkt ist geweckt. Ich werde aufstehen, mich aufs Fensterbrett setzen und auf eine dicke fette Taube warten, sie ein wenig gurren lassen und dann geht es los, dann wird gebraten. Bisher habe ich allerdings noch keine Energie aufzustehen. Das Tippen in mein Phone raubt mir Kraft. Ich bin gespannt darauf, wie sich der Tag noch entwickeln wird.
Alles Gute Henrike. Morgen überlege ich mir einen neuen Namen für mich.
Noch 22 Jahre, dann bin ich 50.
Wenn ich an mich selbst denke, an ein Bild von mir, dann ist da eine Leerstelle. Da ist nichts! Ich existiere für mich selbst nicht als Figur, das ist doch irre. In meiner Vorstellung bin ich seit Jahren körperlos. Den Spiegel habe ich vor vier Jahren aus dem Fenster geworfen. Die Tunings von früher haben mich verändert. Zum Positiven. Das wurde mir von den Tunern gesagt. Dass ich bis 50 brauchbar sein werde, dass sie da gute Chancen sehen und ich mich glücklich schätzen könne, haben sie gesagt.
Heute bin ich aufgewacht und war gelähmt. Ich habe versucht, meinen Arm zu bewegen, aber es ging nicht. Meine Zehen habe ich nicht gespürt. Ich habe versucht zu atmen, aber etwas stand auf meiner Brust. Ein Wesen, dunkel, gesichtslos. Ich habe geschwitzt, habe daran gedacht, dass dieser Zustand eine Metapher für das Dasein als Aussitzer ist, habe mich gefreut über meinen klugen Gedanken, wollte mir ironisch auf die Schulter klopfen und war noch immer gelähmt. Dann war alles vorbei. Ich konnte mich wieder bewegen und atmen. Ich habe nach Angst gestunken und lag bis 17 Uhr auf dem Küchenboden, weil sich das so gut angefühlt hat, so richtig gut. Ich hatte ein Kribbeln im Bauch, hatte ein High und mir war bewusst, dass alles weitergeht wie zuvor, sobald ich aufstehe. Nach dem Aufstehen habe ich Haferschleim gekotzt.
Mein Vater hat eine E-Mail geschrieben. Er schreibt mir jede Woche, ich lese die Nachrichten nicht. Ich habe mit ihm seit vier Jahren nicht gesprochen. Es muss einen Grund dafür geben, aber er fällt mir nicht ein. Ich weiß nicht mehr, wie mein Vater aussieht, aber ich bin auch nicht sonderlich interessiert daran.
Was interessiert mich die Form seiner Wangenknochen?
Was interessiert mich seine Augenfarbe?
Er überweist mir 1500 Euro im Monat.
Anni schreibt die Messages. Ich habe ihr ein Phone gekauft und zahle ihr 50 Euro im Monat dafür, dass sie alle zwei Wochen eine Message in meinem Namen an meinen Vater schreibt. Zu Anni habe ich seit vier Jahren keinen Kontakt. Wir stehen nur noch über die Überweisungen in Verbindung zueinander.
Ob Anni die Messages überhaupt noch schreibt?
Heute bin ich darauf gekommen, dass mein Vater auch meine Angestellte Anni bezahlt, um Kontakt mit mir zu haben. Er zahlt, um mich zu spüren. Was für eine Loser.
Bin ich seine digitale Hostess oder was?
Ich möchte einen Bot programmieren, der die Arbeit von meiner Angestellten Anni übernimmt. Ich kann nicht programmieren.
Mein Laptop funktioniert seit zwei Jahren nicht mehr.
Mein Interesse an Kontakt mit Menschen ist gering.
Die Tauben scheißen wieder auf das Fensterbrett.
Heute bin ich nach dem Kotzen durch meine Wohnung gerannt und habe alle Gegenstände, die ich zu fassen bekommen habe, umgedreht oder an einen anderen Ort gestellt. Der Wasserkocher steht umgedreht auf dem Boden, der Föhn liegt angesteckt in der Dusche, die Schubladen aus meinem Schrank habe ich in der Küchenspüle gestapelt, die Klobürste liegt unter meinem Kopfkissen, das Kopfkissen liegt auf meinem Schreibtisch, die volle Kaffeekanne liegt umgedreht in meinem Bett und der Kaffee sickert noch immer langsam aus ihr heraus. Die Haferflockenpackungen habe ich alle aufgerissen und die Haferflocken ins Waschbecken im Bad gekippt. Sie verstopfen den Abfluss. Dann habe ich den Wasserhahn aufgedreht. Das Wasser läuft seit 20 Minuten. Ich werde es noch etwas laufen lassen.
Ich will durch die Wohnung schwimmen.
Ich bin seit Jahren nicht geschwommen.
Ist es möglich, in seiner Wohnung zu ertrinken?
Ich würde meinen Kopf gerne so lange gegen mein Fenster schlagen, bis das Glas zerspringt und die Scherben meine Stirn aufschlitzen, aber das ist verboten. Darum liege ich wieder auf dem Küchenboden. Ich starre an die Decke. Ich trainiere weiter Selbstauflösung.
Johann Voigt