Fünffinger Köstlichkeiten, einfach märchenhaft
Kein Mensch hat die Absicht andere zu einem Delikt aufzufordern, wovon uns auch unsere Anwält:innen abgeraten hätten, falls wir uns welche leisten könnten. Darum entführen wir euch (§ 102 StGB Erpresserische Entführung, Strafandrohung von mindestens zehn Jahren) in eine frei erfundene Utopie.
Es war ein normaler Morgen für den Prinzen Fünffinger. Er wusste, dass er die meisten Sonnenaufgänge seines Lebens schon gesehen hatte, aber dennoch freute er sich auf die Speise, die seinen Tag einleiten sollte: sein Frühstück.
Er lebte in einem sehr wohlhabendem Königreich. Alle Schmackhaftigkeiten und Gaumenfreuden, die sich der Mensch nur vorstellen kann, standen ihm zur Verfügung. Das einzige Problem: seine Schatzkammern waren sehr spärlich gefüllt, denn die Gelder, die ihm zugesandt wurden, waren nicht das, was die meisten Prinzessinnen und Prinzen in seinem Königreich gewohnt waren. Aber wenn ich ehrlich sein soll, es interessierte ihn nicht groß.
Die Kammer wurde nicht voller, die Preise für die schmackhaften Güter aber immer teurer und überall konnte man Predigten hören, in der Kirche, im kleinen magischen Fenster, das man in der Hand trug, von köstlichen, gesunden, allgemein das Leben verlängernden Dingen, grünen, mit gesunden Fetten durchzogenen Früchten, die mit verschiedenen Maschinen aus einer anderen Welt herangekarrt werden mussten, Nüssen aller Art, Gewürzen, orangefarbenem, nährendem Fisch und gehärtetem Käse, der jede Nudelsauce zu einem Erlebnis machen würde.
Man konnte dem Ganzen nicht entkommen. Wer einmal das Glück hatte so etwas zu kosten, weiß, dass diese voller Güter tatsächlich das Leben eines Menschen bereichern.
Mit dem Inhalt der Schatzkammer konnte der Prinz sich aber nur Reis, Linsen, und Gemüse in unzerstörbaren Metallzylindern kaufen. Damit würde er sich sehr einfach ernähren können und müsste die meisten Übel dieser Welt nicht fürchten, aber freuen würde er sich schon auch anderes zu kosten.
Zu allem Überfluss wurde ein Großteil der Waren bei der kleinsten Beschädigung in eine flammende Schlucht geworfen, in die man sich zwar herunter trauen könnte, hätte man den richtigen Schlüssel, aber viele wollten dieses Risiko nicht eingehen.
Die Entscheidung
Von vertrauenswürdigen Bot:innen vernahm der Prinz große Kunde, dass die meisten Schätze von den größten Märkten des Landes aufgekauft wurden. Im dekadenten Übermaß wurden sie in einzelne gläserne Türme gekarrt und nur den reichsten der König:innen angeboten. Den übrigen blieb nur die Möglichkeit voller Sehnsucht davor stehen zu bleiben – dachten sie. Denn an diesem Morgen entschloss sich der Prinz die Güter aus den kalten Klauen der Marktbesitzer:innen zu entreißen, nicht unvorbereitet, wohlgemerkt.
Er nahm den Rest des Goldes aus seiner Schatzkammer und seine Zaubertasche. Es war eine Tasche, ähnlich der eines Schulkindes und so machte er sich auf zum großen Markt. Auf dem Weg erinnerte er sich an die vielen Geheimnisse, die ihm Freund:innen aus seinem Bund erzählt hatten.
So schien es sich zuzutragen, dass die zwei Wachtürme, die am Ausgang eines großen Marktes standen, nicht so wachsam waren, wie es zu sein schien. Natürlich: manchmal schlugen sie Alarm, aber nie war es so, dass in diesem Moment tatsächlich jemand etwas aus dem Markt entwendet hatte. Ein Metallteil der alltäglich getragenen Rüstung oder eine allgemeine Störung der Türme schien den Alarm auszulösen und noch interessanter, nicht einmal die Händler:innen selber waren stutzig. Sie reagierten meist mit einem genervten Abwinken. „Gehen sie einfach weiter!“, raunzten sie dann. Das musste ein Zauber sein.
Der Weg
Also ging der Prinz zum größten Markt, gleich in der Nähe seines Schlosses, denn dort wo er oft schon zu Gast war, musste man ihm doch am meisten Vertrauen schenken.
Er betrat den Markt. Es war ein reges Treiben und viele Leute waren auf Schätze aus. Die Güter waren überall. Wie sollte in diesem Trubel überhaupt jemand einen Überblick haben, erst recht die genervten, ausgebeuteten Sklaven der Großhändler:innen, die nicht auf Unterstützung der König:innen hoffen konnten? „Zweites Tor, bitte!“, riefen sie frustriert, falls es ihnen zu lange dauerte mit ihren überladen Kutschen den Markt zu verlassen.
Der Prinz schritt durch die Gänge und schaute sich um. Er sah einen großen Sack mit Zwiebeln und steckte ihn in das große Fach seiner Zaubertasche. Ein Sack Zwiebeln war etwas Notwendiges, aber auch Erschwingliches für ihn. Danach sah er eine der Glück bringenden Früchte mit dem grünen Fleisch. Diese gab er auch in das Fach seiner Tasche, aber in einen anderen Bereich, nämlich der in dem die Schulkinder ihre Bücher zu lagern pflegen, direkt an seinem Rücken. Tatsächlich hatte er auch zwei große Bücher darin, aber nicht zu breit, damit er die Frucht hinter den Büchern ablegen konnte. Die Handbewegung, die er dabei machte, war nicht anders als sie bei den Zwiebeln gewesen war, nur um ein paar Zentimeter verschoben. Was hätte man denn in dem Moment genau sehen sollen?
Da erinnerte er sich an die Legende, die ihm seine alte Freundin Lady Leonore erzählt hatte. Sie war einst eine Arbeiterin am ehrenvollen Hof gewesen, die meisten nannten ihn nur „Hof Ehr“, und dort hatte sie erfahren, dass die alles sehenden Glaskugeln an der Decke gar nicht allsehend waren. Es waren Attrappen, die den Gästen nur das Gefühl geben sollten, beobachtet zu werden.
Unbescholten lies der Prinz also den Sack Zwiebeln an seinem Ort, der um ein vielfaches größer und schwerer war als allerlei Köstlichkeiten. Das würde ihm auch helfen seine Tasche voller aussehen zu lassen, wenn er vor den Händler:innen am Marktausgang die Waren vorlegen würde.
So wiederholte er diesen Vorgang: Die große und günstige Mehlpackung ging in den großen Teil der Tasche, die teure und kleine Packung Mandelspalten wanderte hinter die Bücher, bis sein Rucksack, äh seine Zaubertasche randvoll war. Der kleinere, versteckte Teil brauchte kaum Platz, hätte aber zwei Drittel des Preises ausgemacht, machte er aber nicht.
Das Fest
Als er nämlich am Ausgangstor war, gab er alle sich im großen Teil befindenden Güter heraus, die ihn für viele Monde nähren sollten, so das keine:r der Händler:innen davon ausgehen müsste, er könnte möglicherweise mehr dabei haben.
Die Summe, die er für die vorgelegten Güter zahlen musste, war mit seiner Schatzkammer machbar und so ging er selbstbewusst und zufrieden seines Weges.
Im eigenen Schloss machte er ein großes Fest und setzte seinen Gästen Speisen vor, die er zuvor nie hätte servieren können und alle freuten sich am Leben und genossen den Abend. Jeder ging glücklich nach Hause ins eigene Schloss.
In der Nacht dachte der Prinz noch vor dem Einschlafen: „Was ist mit den Untertanen, die nicht einmal den Sack Zwiebeln hätten kaufen können? Meine Schatzkammer ist nicht die leerste. Das nächste Mal lade ich sie auf die Feier ein. Ach, wie viel schöner wäre das Königreich, wenn die Schatzkammern keine Rolle spielten.“
Nun Prinz, ich glaube, das ist eine Geschichte für eine andere Nacht.