Im Interview mit Dijana Simić fragt MALMOE: Was hat uns die Antifaschistische Frauenfront gegeben?
Dijana Simić ist slawistische Literatur- und Kulturwissenschaftlerin sowie Geschlechterforscherin an der Universität Graz. Ihre Schwerpunkte bilden Migrations-, Geschlechter- und Gedächtnisforschung im ex-jugoslawischen Kontext. Uns berichtet sie über die Bedeutung feministischer Erinnerungsarbeit.
MALMOE: Sie beschäftigen sich mit feministischer Erinnerungsarbeit und dem Gedenken an die Antifaschistische Frauenfront im Zweiten Weltkrieg in Jugoslawien. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Dijana Simić: Die Akteur:innen der sog. zweiten Welle des Feminismus ab den späten 1960er Jahre haben uns gelehrt, dass das Private politisch ist. Die Affekt-Forscherin Sara Ahmed greift diesen Gedanken auf und macht darauf aufmerksam, dass das Private zudem theoretisch ist: Unsere persönlichen Erfahrungen sind nämlich auch für unsere theoretischen Positionen und Reflexionen als Wissenschaftler:innen relevant. Zur Beantwortung der gestellten Frage muss ich daher ein wenig ausholen. Ich bin als Kind von Arbeitsmigrant:innen aus dem ex-jugoslawischen Raum in Österreich sozialisiert worden. Als ich und meine Mitschüler:innen als Gymnasiast:innen im Salzburger Land unsere Eltern zu ihren Erinnerungen an das 20. Jahrhundert interviewen sollten, zeigte sich sehr bald, dass sich der Erfahrungshorizont meiner Eltern sowie dessen breitere historische und politische Einordnung durchaus von jenen der Eltern meiner mehrheitsösterreichischen Mitschüler:innen unterschieden. In dieser ersten, naiven Erprobung von Oral History-Methoden hörte ich meine Eltern vom antifaschistischen Widerstandskampf der jugoslawischen Partisan:innen während des Zweiten Weltkriegs sprechen, vom Aufbau des Sozialismus und der Bedeutung der Arbeiter:innen, vom jugoslawischen Staatschef Tito und der Devise „Brüderlichkeit und Einheit“, welche die multiethnische und mehrsprachige Bevölkerung Jugoslawiens einigte.
Meine Eltern berichteten auch von der Enttäuschung, die sie angesichts des Zusammenbruchs des sozialistischen Jugoslawiens durch die mehrjährigen Kriege in den 1990er Jahren fühlten. Das war wohl das erste Mal, dass ich bewusst etwas über die jugoslawischen Partisan:innen hörte. Jahre später, während meines Doktorats am Grazer Institut für Slawistik, begann ich mich durch den anregenden Austausch mit Kolleg:innen aus Ex-Jugoslawien mit feministischen Themen zu befassen, die im Übrigen bis heute in der slawistischen Hochschullehre in Österreich unterrepräsentiert sind. Die Beschäftigung mit der Geschichte des Feminismus im ex-jugoslawischen Raum lenkte meinen Blick auf die Antifaschistische Frauenfront (Antifašistički front žena, AFŽ) – eine der größten emanzipatorischen Bewegungen in Europa, die im Kriegsjahr 1942 in Bosanski Petrovac gegründet wurde und bis 1953 aktiv war. Sie umfasste neben 100.000 bewaffneten Soldatinnen gut zwei Millionen Unterstützerinnen im Hinterland.
In Österreich sowie in anderen Teilen der westlichen Welt ist die AFŽ wenig bis gar nicht bekannt. Auch im ex-jugoslawischen Raum schwindet die Erinnerung an diese linke Gruppierung angesichts des aktuellen rechtskonservativen Mainstreams, der die ethnonationalistischen Ideologien weiterhin aufrecht erhält, welche die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre mit verantwortet haben. Um diesem Mainstream und seiner geschichtsrevisionistischen Erinnerungshoheit eine standhafte Alternative entgegenzuhalten, greifen linke Feminist:innen aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien sowie anderen Nachfolgestaaten des sozialistischen Jugoslawiens in ihrer aktivistischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeit auf das Erbe der AFŽ zurück. Damit etablieren sie eine alternative Erinnerungskultur, die von der historischen Erfahrung des Antifaschismus, des Sozialismus und der Frauenemanzipation zehrt. Das Potenzial dieser feministischen (Erinnerungs-)Arbeit interessiert mich – sowohl im engeren ex-jugoslawischen als auch im weiteren europäischen Kontext.
Die bewaffnete Teilnahme von Frauen an Kampfhandlungen trifft die soldatische Männlichkeit ins Herz. Ich denke dabei vor allem an die Figur des „Flintenweibs“ und die damit verbundene Kastrationsangst bei Klaus Theweleit. Sind Ihnen derartige Widerstände oder Aussagen in der Beschäftigung mit der AFŽ begegnet?
Derartige Diskreditierungen sind mir bisher nicht untergekommen, was wohl auch am lokalen Kontext liegt: Während die Partisaninnen im sozialistischen Jugoslawien als Volksheldinnen galten, werden sie aus den Narrativen der hegemonialen postsozialistischen Erinnerungskultur verdrängt. Zudem scheinen sich bewaffnete Soldatinnen – ebenso wie Queers und Transpersonen – nicht grundlegend von ihren (cis-)männlichen Vergleichsfolien zu unterscheiden. Ich fasse diese Frage daher als Impuls auf, um darüber nachzudenken, was soldatische Männlichkeit tatsächlich ins Herz treffen würde. Denn soldatische Weiblichkeit bzw. die aktive Beteiligung von Frauen als Soldatinnen im Krieg vermag dies wohl nicht, sondern eher ein konsequent feministischer Anti-Militarismus wie jener der 1991 in Serbien formierten Gruppe Žene u crnom. Wie viele weitere feministische Antikriegsintiativen weltweit nahmen sich die serbischen Frauen in Schwarz die Tätigkeit der 1988 während der 1. Intifada gegründeten israelischen Women in Black zum Vorbild, um sich gegenüber den jugoslawischen Kriegen kritisch zu positionieren. Seither gehen sie schwarz gekleidet und schweigend auf die Straßen von Belgrad und anderen Städten im ex-jugoslawischen Raum, um die Opfer des Krieges zu betrauern und gewaltfreien Widerstand gegen Militarismus, Nationalismus und Sexismus als Formen patriarchaler Gewalt zu leisten. Auch auf den aktuellen Angriff Russlands auf die Ukraine reagierte die serbische Gruppe sofort mit Antikriegsprotesten. Dieses Beispiel zeigt, dass die derzeitige mediale Präsenz des Kriegs in der Ukraine eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Korrelationen zwischen Feminismus, Anti-Militarismus und Pazifismus auch in Gegenden erfordert, die gerade nicht direkt vom Krieg betroffen sind. Dabei ist es wichtig, auch andere Kriege, bewaffnete Konflikte und kriegsähnliche Situationen nicht aus dem Blick zu verlieren, die derzeit vor allem in den österreichischen und anderen westlichen Medien nicht ausreichend Beachtung finden (zum Beispiel Afghanistan, Bergkarabach/Arzach, Syrien). Was heißt es also Feminist:in in Zeiten des Krieges zu sein? Was heißt es Widerstand zu leisten? Wie verhält es sich mit bewaffnetem Widerstand? Wie verhält es sich mit gewaltfreien Widerstandsformen? Wie sieht ausdifferenzierte feministische Erinnerungsarbeit unter Berücksichtigung der genannten Umstände aus? Ich habe bisher noch keine zufriedenstellenden Antworten auf diese komplexen Fragen gefunden, merke aber, dass die unreflektierte Verherrlichung bewaffneter Frauen zu kurz greift.
Sie schreiben von künstlerischen, aktivistischen und wissenschaftlichen Perspektiven auf Erinnerungskulturen. Was kann man sich darunter vorstellen?
Die Forscher:innen Aleida und Jan Assmann gehen davon aus, dass das sog. kollektive Gedächtnis durch das Bewusstsein über eine gemeinsame Vergangenheit für die betreffenden Kollektive identitätsstiftend ist (zum Beispiel ethnische und nationale Gruppen, aber auch politische Gruppierungen). Das kollektive Gedächtnis besteht einerseits aus dem kommunikativen Gedächtnis, das im privaten Rahmen von einer Generation zur anderen durch Erzählungen über die Vergangenheit weitergegeben wird, andererseits aus dem kulturellen Gedächtnis, das durch öffentliche Institutionen geformt, verfestigt und für die Zukunft gespeichert wird (zum Beispiel Geschichtsbücher, Museen, Monumente, Gedenkveranstaltungen). Diese beiden kollektiven Gedächtnisrahmen – das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis – können sich gegenseitig ergänzen, aber auch im Widerspruch zueinander stehen. Für die identitätsstiftende Bewusstseinsbildung von Kollektiven spielen Erinnerungskulturen eine bedeutende Rolle. Sie greifen auf unterschiedliche Formen der Erinnerungsarbeit zurück, die den Forscher:innen des Gießener Sonderforschungsbereichs „Erinnerungskulturen“ zufolge von wissenschaftlich-diskursiven zu imaginativ-fiktiven Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit reichen können.
Die daraus resultierende Erinnerungspluralisierung ermöglicht es, historische Ereignisse und ihre kollektive Bedeutung kritisch zu reflektieren und etwaige hegemoniale Erinnerungskulturen sowie ihre Erinnerungshoheit in Frage zu stellen. In diesem Sinne sind die von mir untersuchten Perspektiven feministischer Künstler:innen, Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen auf die AFŽ als emanzipatorische Widerstandsbewegung als Infragestellung und Korrektur der im ex-jugoslawischen Raum vorherrschenden rechtskonservativen Erinnerungskultur zu verstehen, die in ihren jeweiligen ethnonationalistischen Varianten den Mainstream in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens bildet. Das Ende des Sozialismus und die jugoslawischen Kriege der 1990er Jahre gingen zudem mit heftigen Repatriarchalisierungsprozessen einher, die sich ebenso im aktuellen Erinnerungsmainstream und seiner cishetero-patriarchalen Ausrichtung zeigen.
Der Verein Crvena hat sich durch sein Dokumentationsarchiv der Wieder-Erinnerung der AFŽ gewidmet. Warum ist es nötig, solchen Bewegungen wieder-zu-erinnern – warum verschwinden sie?
Seit seiner Gründung am 8. März 2010 bemüht sich der Kultur- und Kunstverein Crvena (Die Rote) aus Sarajevo historische Quellen sowie wissenschaftliche, journalistische und künstlerische Arbeiten über die AFŽ in einem Online-Archiv zusammenzutragen. Manche dieser Arbeiten – wie die Illustrationen von Aleksandra Nina Knežević und Sunita Fišić – habe ich in einem Artikel für den Blog des jungen Forschungsnetzwerks Frauen- und Geschlechtergeschichte behandelt. Hier möchte ich die Bedeutung solcher Formen der feministischen Erinnerungsarbeit auf drei Ebenen reflektieren: 1. für die Linke, 2. für Feminist:innen und 3. für den lokalen ex-jugoslawischen Kontext. Alle drei Ebenen korrelieren, entfalten auch Wirkung außerhalb des ex-jugoslawischen Raumes und tragen zum Entstehen ausdifferenzierter Erinnerungskulturen im gesamteuropäischen Kontext bei. Die Anekdote aus meiner Schulzeit zeigt nämlich, wie wenig linke Widerstandsgeschichte auch und gerade im kommunikativen sowie kulturellen Gedächtnis in Österreich bzw. in der aktuellen österreichischen Erinnerungskultur verankert ist. Denn die Eltern meiner Mitschüler:innen und mein damaliger Geschichtelehrer hätten beispielsweise auch von den kärtnerslowenischen Partisan:innen in Österreich während des Zweiten Weltkriegs berichten können.
Deren Geschichten fügen sich aber nicht in den erinnerungskulturellen Mainstream in Österreich, der zwischen Konservatismus und Liberalismus oszilliert. Sich an die Partisan:innen zu erinnern, stärkt somit die historische Bedeutung der Linken – sowohl in Ex-Jugoslawien als auch in Österreich. Sich gezielt an den Beitrag von Frauen und Feminist:innen im Widerstandskampf der Partisan:innen zu erinnern, stärkt zudem feministische Positionen, die nicht nur in der Gesellschaft im Allgemeinen, sondern auch in linken Kontexten im Speziellen oft marginalisiert werden. Denn auch diese sind nicht frei von (cishetero-)patriarchalen Strukturen. Die stärkste Wirkung entfaltet das feministische Gedenken an die AFŽ aber zweifelsohne im ex-jugoslawischen Raum, wo es zudem eine dekoloniale Note erhält: Ex-jugoslawische Feminist:innen müssen sich nämlich nicht an der Geschichte und Theoriebildung westlicher feministischer Bewegungen orientieren, sondern können auf ihre eigene, lokale Geschichte zurückgreifen. Gerade die AFŽ hat nachhaltige Erfolge für die Frauenemanzipation und Geschlechtergleichstellung in Ex-Jugoslawien erzielt. Der Großteil der AFŽ-Akteurinnen war nicht direkt an der Kriegsfront, sondern im Hinterland und auch nach dem Krieg bis in die 1950er Jahre hinein tätig. Man muss sich vor Augen führen, dass das vorsozialistische Jugoslawien ein monarchistischer Staat war, in dem 80 Prozent der Bevölkerung von Agrarwirtschaft lebte. Gerade die ländliche Bevölkerung war weitgehend von den Modernisierungsprozessen und der damit einhergehenden Frauenemanzipation abgeschnitten, die sich bis zur Etablierung des sozialistischen Jugoslawiens auf die urbanen Räume konzentriert hatten.
Genau hier setzte die Arbeit der AFŽ an: Durch niederschwellig zugängliche Kursprogramme in Dörfern und Kleinstädten wurden breite Massen der weiblichen Bevölkerung alphabetisiert und als Fachkräfte für die Erwerbsarbeit ausgebildet. Zudem organisierte die AFŽ Gesundsheits- und Hygieneschulungen, welche die Kindersterblichkeit reduzierten sowie das Gesundheitsniveau der Bevölkerung insgesamt anhoben. All diese Errungenschaften wirken stärker bis heute nach als die Vorstellung von der bewaffneten Soldatin. Zudem sei darauf hingewiesen, dass es auch innerfeministische Kritik an der AFŽ gibt, die ihre patronisierenden Methoden aus intersektionaler Perspektive kritisiert und der Frage nachgeht, aus welchen Bevölkerungsteilen die Frauen stammen, die bei der AFŽ aktiv waren. Dies sind wichtige Aspekte, die es weiter zu reflektieren gilt.
Wie kann feministische Erinnerungsarbeit als „counter memory“ in die Gegenwartsgesellschaft und insbesondere in feministische Bewegungen wirken?
Die zuvor beschriebene Etablierung alternativer Erinnerungskulturen durch unterschiedliche Formen der feministischen Erinnerungsarbeit bezeichnet die Geschlechterforscherin Chiara Bonfiglioli als „counter memory“. Eine solche Gegenerinnerung positioniert sich kritisch gegenüber dem derzeitigen Mainstream und eignet sich jene Aspekte der kollektiven Geschichte an, die in diesem Mainstream ignoriert oder gar diskreditiert werden. Durch das Besinnen auf vergangene Widerstandskämpfe wie jenen der AFŽ schreiben Feminist:innen aus dem ex-jugoslawischen Raum ihre aktuellen Widerstandskämpfe in eine bestehende feministische Tradition ein. Es kommt also nicht von ungefähr, dass die Crvena-Aktivist:innen bei der Erstellung des zuvor erwähnten Archivs folgende Frage stellen: „Was hat uns unser Kampf gegeben?“ Auch wenn sie nicht als Partisan:innen am 2. Weltkrieg beteiligt waren, verstehen sie die Tätigkeit der AFŽ als einen Teil ihres eigenen Kampfes. Das Wissen über die AFŽ, das im Archiv zusammengetragen wurde und wird, trägt zum feministischen Gedenken an die AFŽ bei. Es ermöglicht den Crvena-Aktivist:innen, sich als linke Feminist:innen mit einer weit zurückreichenden Geschichte im ex-jugoslawischen Raum zu konstituieren. Dieser Rekurs auf bestehende Vorbilder – oder Ahn:innen, wenn man so will – gibt Kraft, da man nicht das Rad neu erfinden muss. Vielmehr kann man von seinen Vorgänger:innen lernen, an ihre bisherige Tätigkeit anknüpfen und diese fortsetzen. Diese Kontinuität von der Vergangenheit in die Gegenwart schafft in letzter Konsequenz auch Hoffnung für die Zukunft.