Dass Marie Muhars Kabarett-Debüt nicht mehr läuft, stimmt betrüblich, auf ihr neues Buch dürfen wir uns dafür umso mehr freuen.
Bereits in MALMOE 97 haben wir uns mit der Frage beschäftigt, ob Linke lustig sind. Im Hinblick auf Marie Muhars Kabarettprogramm kann die Antwort nur ein „Ja“ sein, dem die Rufzeichen auf den Fuß folgen. Dass den Rufzeichen dann quasi reflexartige ein Mittelfinger folgt, kann nur verstehen wer dabei war. Ich versuche mich an einer Übersetzung.
Der Mittelfinger also ist ein, von bürgerlichen Subjekten oft missverstandener, Ausdruck der Solidarität. Der Gruß des internationalen Proletariats sozusagen, den Muhar für sich mit „Werte Genossin“ artikuliert. Bei vielen männlichen Subjekten scheint sich die Fähigkeit der Artikulation allerdings auf Tierlaute zu beschränken. Ein beeindruckendes Talent in der Imitation eben solcher Tierstimmen zeigt Marie Muhar, mit ihrer Variation des Cat-Callings. Nicht mehr nur rollige Kater, selbst brünstige Elche und buchstäblich läufige Waschbären fallen dem überraschten Mann an den Hals. Und sie zeigen wenig Verständnis dafür, dass sich der Rufer als Mensch entpuppt! Alle, die Happy Tree Friends kennen, wissen was jetzt kommt – ein Blutbad, unnötig es auszuführen.
Eine bestechende Logik jedenfalls, die Muhar mit eindringlicher Konsequenz verfolgt. Egal, ob es sich um das Standard-Forum – „einfach abdrehen“ – oder die Event-Pyramide Vösendorf handelt, die nebenbei bemerkt ein fast magischer Ort direkt neben Österreichs größtem Einkaufszentrum zu sein scheint. Muhar führt ihr Publikum an Orte, die zunächst wehtun, aber dann durch das gemeinsamen Lachen in ihrer ganzen Mickrigkeit erkannt werden können. Bleiben wir beim Standard-Forum. An diesem Ort zeigt sich die Präsenz menschlichen Hasses in ihrer vollen Pracht. Muhar verharrt vor dieser Präsenz nur kurz und spricht dann ihren ebenso einleuchtenden wie beruhigenden Mantra: „Einfach abdrehen.“ Die Vorstellung ist absurd und gleichzeitig umsetzbar. Gerade diese Ambivalenz macht die Erkenntnis von Zusammenhängen aus, die bisher unveränderbar zu sein schienen.
Neben solchen Nicht-Orten thematisiert Muhar ihr eigenes prekäres Leben. Nach der Ausbildung zur Köchin, begann die Wienerin das Studium der Sprachkunst an der Akademie der bildenden Künste. Dort trifft sie auf das bereits bekannte prekäre Leben, jetzt aber in seiner Wendung als Mythos, der die graue Realität mit bunten Bildern bekleistert. Dieser Mythos äußert sich beispielsweise darin, dass Muhar während des Programms gleichzeitig auf die Kinder einer Freundin aufpasst, einen Antrag auf Kunstförderung versäumt und selbst ihren Schlaf dem Catering Job am kommenden Tag opfert.
In diesem Spiel weist sie ihrem Steuerberater eine zentrale Rolle zu. Dieser verspricht der gemarterten Künstler*innen-Existenz nicht nur Heilung, er verschafft sie ihr auch. Virtuos bedient er die Klaviatur der österreichischen Finanzbürokratie. Aus einem Schuhkarton voller Rechnungen schaffe er, laut Muhar, ein abstraktes Kunstwerk. Bei ihm laufen die losen Zettel zusammen und fügen sich unter seinen Fingern zu einer Komposition, die ihres gleichen sucht. Künstler*innen bestaunen diese Fähigkeit mit großen Augen und ebensolchem Unverständnis: „Check ich nicht.“ Die Verwaltung des bürgerlichen Staates will mindestens studiert werden, wozu die meisten weder die Muse und schon gar nicht die Zeit aufbringen können. Es bleibt nur der infantile Traum, für die verrichtete Arbeit anständig bezahlt zu werden. An diesem Punkt lässt sich die Frage nach der Humorfähigkeit von Linken beantworten. Denn diese scheitern nicht nur täglich daran, den Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit zu überwinden. Linke schaffen es sogar aus diesem Widerspruch die nötige Fallhöhe zu ziehen, die eine gute Pointe ausmacht. Muhars Humor ist dabei kein reines Lachen von Linken für Linke. Sie schafft es die Beschissenheit der Dinge so darzustellen, dass sie lächerlich klein wirken. Aus diesem Lachen im Angesicht von Herrschaft und Unterdrückung speist sich der Mut zur Veränderung. Glücklicherweise ganz ohne den Pathos, der diesem Artikel leider nicht auszutreiben ist.
Gänzlich humorbefreit darf zu guter Letzt noch auf das Erscheinen von Lento Violento noch in diesem Sommer verwiesen werden. Selbstverständlich serviert Marie Muhar auch mit ihrem Buch „eine kräftige Portion Humor“. Das macht schon jetzt Hunger auf mehr.