Poesiealbum Türkis-Grün #8
Nach wie vor befindet sich das Land im Klammergriff der österreichischen Volkspartei, die ihre Schlagzahl bei den Skandalenthüllungen nochmals erhöhen konnte. Angesoffene Sicherheitsbeamte verlassen das Haus von hinten, vorne kommen die Prüfer*innen des Rechnungshof herein, die nicht glauben wollen, was ohnehin niemand für möglich hält, dass die ÖVP ihren Wahlkampf 2019 mit weniger als sechs Millionen Euro bestritten hat. Und die Partei? Sie wählt Karl Nehammer mit 100 % ins Amt des Parteivorsitzenden. So sieht Verzweiflung aus.
Bleiben wir lieber unter uns!
Der österreichischen Volkspartei ist wirklich, wirklich wichtig, dass das österreichische Volk ein österreichisches bleibt. Vor dem Erwerb eines österreichischen Passes hat die Partei deshalb die wohl weltweit höchsten Hürden aufgebaut. Diese kleingeistige Kleinstaaterei, die keine Fremden reinlassen will, die ohnehin schon ihr ganzes Leben im Lande mitarbeiten, ist in gewissen Zusammenhängen dann doch etwas peinlich und die ÖVP greift zu dem, was sie längst am besten kann: Verbreiten glatter Lügen. So geschehen beim ehemaligen ÖVP-Nationalratspräsidenten Andreas Khol. Der behauptete in Österreich geborene Kinder und Jugendliche seien von der astronomischen Einkommenshürde befreit. Im Fernsehen von Puls4 sagte er dreist, wer hier zu Schule gegangen sei, bräuchte „nichts nachweisen, auch kein Mindesteinkommen“. Böööööööp. – Buzzergeräusch – Leider komplett falsche Antwort. Weiß es Khol nicht besser? Erinnert er sich nicht mehr an das von ihm selbst mitbeschlossene Staatsbürgerschaftsgesetz? Oder will er perfide Kinder und Jugendlichen die Schuld an ihrer „Untätigkeit“ geben und ihnen mangelnden Integrationswillen unterschieben, wie es seine Partei nur allzu gerne tut? Eher letzteres. Khol macht sich die Staatsbürgerschaft, wie sie ihm gefällt und nur sechs von 1000 ohne Ösi-Staatsbürgerschaft im Land lebenden Menschen werden im Jahr eingebürgert. Die schlechteste Quote in der EU und die ist politisch gewünscht. Wenn das dann in Bezug auf Integrationsförderung irgendwie schlecht rüberkommt, na dann behauptet man einfach es gäbe keine Hürden.
Sockensorgen
Wer kennt dies nicht? Die formschönen und gut sitzenden Socken haben plötzlich ein Loch. Eine unschöne Entdeckung kurz vor Dienstbeginn. Hier der Lifehack: Einfach eine zweite Socke gleicher Machart drüberziehen. Nur mit der Lupe würden Beobachter*innen den Trick erkennen. Gerade im Winter sind zwei dünne, übereinander gestreifte Socken nicht nur kein Problem, sondern sogar angenehm. Nun haben die immer schlechter produzierten Wirkwaren leider die Angewohnheit an den etwa gleichen Stellen kaputt zu gehen. Bald braucht es die dritte und vierte Socke, so dass es an den lochlosen Bereichen langsam schwitzig und eng wird. Auch beginnt der Schuh bald zu drücken, weil er den dicken Sockenlagen keinen Platz mehr bieten kann. Genau so funktionieren die Rettungspakte der österreichischen Bundesregierung. Statt die Löcher zu stopfen und denen zu helfen, die durch Teuerung und Energiekrise wirklich bedürftig sind, bekommen alle etwas. Die ÖVP hofft so, dass man sie doch noch mal kurz lieb hat und die Grünen sind es gewohnt Zuschauer*innen am Kabinettstisch zu sein. Falls sie in nächster Zeit mal aufwachen, hier der Haushaltstipp. Zum Stopfen von Löchern in Socken braucht es zusätzliches Garn, das am besten per Vermögenssteuer oder „Reichensteuer“ von den riesigen Garnrollen großer Vermögen genommen wird (wurden in der Pandemie noch größer) und dann wird es genau da eingesetzt wo das Loch ist. Sind übrigens immer die gleichen Stellen – Ferse und Fußspitze – dort wo viel Reibung durch Arbeit entsteht.
Neuwahlen
Aktuelle Umfragen zur Nationalratswahl stellen erstmals seit langer, langer Zeit eine Mehrheit gegen ÖVP und FPÖ in Aussicht. Ein Hoffnungsschimmer? Leider nur bedingt, denn Österreich hat parlamentarisch nur Volksparteien unterschiedlicher Farbe im Programm. Die grüne Volkspartei hat in der Regierungskoalition mit der ÖVP bereits bewiesen, wie wenig weit links sie zu sein gedenkt: Ein bisschen raunzen, wenn die Türkisen gar zu schiach sind. Ansonsten liefern die Grünen „Österreich zuerst“, wobei der Gartenzwerg einen Helm mit Solarzelle trägt. Internationalismus, Verteilungsgerechtigkeit, all solche Zeug – nicht wirklich mit bürgerlichen Grünen zu haben. Die rote Volkspartei hingegen wähnt sich bereits unmittelbar vor der Regierungsübernahme und hat heimlich schon längst auf Wahlkampfmodus gestellt. Die Sozialdemokrat*innen machen dann immer das, wofür man sie nicht richtig gern haben kann, denn sie beginnen den „Kampf um die Mitte“. Die Weisheit der roten Spindoktor*innen besagt, links sei kein Wahlkampf zu gewinnen, deshalb müsse der Mitte ein Angebot gemacht werden. Das sieht dann so aus wie auf dem Wiener Landesparteitag der SPÖ. Geschlossenheit der Partei wird betont und energisch eingefordert, indem linke Gegenstimmen belächelt und abgekanzelt werden. Aber so gewinnt man eben Wahlen in einem konservativen Land.
Dichterworte
Große Dichterworte müssen erst einmal tief in die Seele einsinken, bevor sie ihren Sinn entbergen. Über sie muss erst gerätselt werden, damit plötzlich klar vor Augen liegt, was mit bloßen Worten nicht gesagt werden kann. Bundeskanzler Karl Nehammer wurde im ORF zum Stehgreif- und Bedrängnisdichter, weil ihm plötzlich schwante, dass seine Aussagen zur vom Rechnungshof geprüften Parteienfinanzierung vielleicht gefährlich werden könnten, zog er sich mit dem monumentalen Satz zurück: „Ich hab keinen Zweifel daran, dass mein Bundesgeschäftsführer Axel Melchior, der für den kaufmännischen Bereich verantwortlich war, hier nicht redlich und sauber gearbeitet hat.“ Erst mal die Worte zerlegen: Es ist also Melchior, der persönlich genannt wurde und vermutlich deshalb schon die aktive Arbeitsplatzsuche aufgenommen hat und nur mehr über seinen Rechtsanwalt Emails beantworten lässt. Er war es, nicht etwa der Generalsekretär und somit Nehammer selbst, der für den Wahlkampf und dessen Finanzen verantwortlich war, eine Sicht die weder politisch noch juristisch als „abgesichert“ bezeichnet werden darf. Und vor allem der tiefe Sinn! Wenn der Satzbrokat entfernt ist, dann lautet die Aussage Nehammer habe keinen Zweifel, dass Melchior unredlich gearbeitet hat. Aber geh, das sagt man so in der doppelten Verneinung. Der Bundeskanzler-Dichter mit der weißesten Weste im ganzen Land will sagen, es sei alles supersauber gewesen. Stimmt, das sagt man wirklich so. Immer und immer wieder, bis die Richter*innen mit den Hämmerchen auf den Tisch klopfen oder die Wahlurnen ausgekippt werden.
In den Urlaub
Ist es Trotz oder die pure Überforderung? Außenminister Schallenberg kann nicht schweigen, wo es ihm und dem ganzen Land besser täte. Zum Krieg in der Ukraine ergänzte er, dass Österreich lange „Urlaub“ von der Geschichte gemacht habe. Soll das heißen der Herr Außenminister glaube, „alles steuere der Krieg“ und geschichtlicher Wandel vollziehe sich nur, wenn die Bomben regnen? Unterstellt er damit am Ende, Österreich sei verweichlicht und greife nicht genügend handgreiflich ein? Gedenkt er dies zu ändern? Es wird Zeit, dass jemand Schallenberg eine Schachtel „Stratego“ oder „Risiko“ unter den Arm klemmt und ihn an einen schattigen Platz im Garten geleitet, damit er sich dort seinen Brettspielen widmen kann.
Erinnerungskultur 2
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wird langsam die Unguided Missile der ÖVP-Geschichtsauffassung. Zunächst ist er sauer wegen der „Vorverurteilungen“ gegen ihn, womit er meint, dass nach einem Jahr seiner Vorsitzführung des Untersuchungsausschusses alle Parlamentsparteien außer der eigenen ÖVP ihn für ungeeignet halten, den Vorsitz erneut zu übernehmen. Wir lernen somit, dass sich im Laufe eines Jahres unmöglich bereits Urteile bilden lassen, sondern nur „Vorurteile“. Für eine eingehendere Bewertung braucht es sicherlich Jahrzehnte. Zum Beispiel kann heute erst allmählich das Jahr 1933 vorverurteilungsfrei beurteilt werden. Damals wurde in Österreich das Parlament ausgeschaltet und heute passiere das gleiche, indem Sobotkas Vorsitz in Abrede gestellt wird. Kapiert? Glasklarer Vergleich, frei von jedem Vorverurteil, ganz auf Fakten gegründet. Sobotka: „Es ist in der Dimension natürlich nicht vergleichbar, aber formal der Sache nach.“ Klingt somit nach einem wirklich guten Vergleich. Beflügelt vom eigenen Vergleichserfolg legt Sobotka nochmals nach: „Die Ukrainer müssen in der Ukraine bleiben und letztlich ihr Land verteidigen. Was wäre gewesen, wenn alle Österreicher nach 1945 geflohen wären?“ Nach 70 Jahren endlich dieser Durchblick: Die Besatzungsmächte USA, GB, Frankreich und UdSSR waren somit damals das, was heute Putins Russland ist und Österreich damals die überfallene Ukraine heute. Es gab dann doch gewissen Widerspruch auch aus der eigenen Partei: „Pssst, lieber Wolfgang, bei allen Vergleichen niemals vergessen: Die Nazis waren die Bösen.“
Miese Grüne
Ja, die Grünen sind wirklich schlecht an der Macht, das hat das Poesiealbum nun schon mehr als einmal belegt. Dass sie aber auch ausgerechnet in ihren vermeintlichen Kernthemen komplett versagen, ist nur mehr schwer auszuhalten. Bei der Neuordnung des Familienrechts sprechen sich Grüne für die „Verantwortung für Väter“ aus. Denn eine „Gleichstellung der Elternteile [führe] somit [zu] einer gerechteren Aufteilung der Betreuungslast“. Come on! Das ist schmerzhaft weltfremd. Vielmehr muss der wirtschaftlich stärkere Teil nach einer Trennung verpflichtet werden: „Du zahlst für die Kinder, egal was du dir für Ausflüchte ausdenkst, lieber Besserverdiener!“ Wenn aber die Eheleute mit gemeinsamer Obsorge und entsprechenden Betreuungsverpflichtungen aneinandergekettet werden, dann ist immer der wirtschaftlich schwächere Teil (meist ist es die Frau – warum nur?) in Gefahr, unterdrückt und erpresst zu werden. „Er“ kann einfach behaupten, er würde sich ums Kind kümmern, aber „sie“ muss es tun. Dieses Machtverhältnis zu erkennen, dem keine amtliche „Überprüfung“ (mit Fragen wie: „Welche Schuhgröße hat denn der Kleine?“) etwas anhaben kann, ist das feministische Einmaleins, das die Grünen entweder nie kapiert oder in dieser allzu bürgerlichen Regierung vergessen haben.
Think Austria
Der Thinktank „Think Austria“, gegründet von einem gewissen S. Kurz, wurde von dessen Nachfolger im Bundeskanzleramt Karl Nehammer aufgelöst. Der bedankte sich bei der Leiterin, der Unternehmensberaterin Antonella Mei-Pochtler, für ihre „jahrelange ehrenamtliche Tätigkeit“. An dieser Stelle stutzt der/die interessierte Leser:in. Ehrenamtliche Tätigkeit für die ÖVP? Dass so etwas überhaupt möglich ist, also rein im Dienst der guten Sache zu agieren und sich dabei um „strategische Themen für die Entwicklung Österreichs“ zu kümmern. Hier ist somit eine ausgezeichnete Chance für alle, die mal so richtig was fürs eigene Land tun wollten, leider verloren gegangen. Die „besten Köpfe“ hatten sich engagiert, um ehrenamtlich mitzuthinken, vom Wirecard-Chef Markus Braun (derzeit JVA Augsburg-Gablingen) bis hin zum ungekrönten Corona-Party-König „Mr. Runtastic“ Florian Gschwandtner. Der Ibiza-Ausschuss durfte die knapp zehntausend Mails des Tanks leider nicht sehen, womit auch den letzten Zweifler:innen klar sein dürfte, dass hier sicher keine geheimen Spenden geflossen sind. Ein Wermutstropfen nach vier Jahren toller Arbeit bleibt allerdings: Es sind keinerlei Ergebnisse der Tätigkeit des Thinktanks bekannt. Die Überlegungen standen wohl noch ganz am Anfang. Uhweh, so schade.