Wie haben sich die Möglichkeiten für weibliche Popstars, die Narrative über sie selbst zu bestimmen, in den letzten 20 Jahren verändert?
In letzter Zeit sind viele Neuerzählungen von früheren „fallen stars“ in meiner Timeline aufgepoppt. Videos mit ähnlichem Aufbau wie How we failed Megan Fox oder How we failed Amanda Bynes hat der Youtube-Algorithmus für mich in petto. Wieso interessieren wir uns als Gesellschaft gerade so sehr für die weiblichen Stars der Nullerjahre und dafür, wie sie behandelt wurden? Spätestens zu dem Zeitpunkt, als Beyonce bei den Video Music Awards 2014 vor dem riesigen Schriftzug „Feminist“ posiert, wissen wir, dass Feminismus in der Popkultur angekommen ist und erst einmal nicht mehr gehen wird. Durch die neuen medientechnologischen Bedingungen, maßgeblich durch Internet und Social Media geprägt, ergeben sich nie dagewesene Vernetzungsräume, in denen Informationen blitzschnell auf die andere Seite der Welt gelangen. Mit dieser Welle des Feminismus werden Diskurse (#MeToo) über weiblich gelesene Körper und sexuelle Selbstbestimmung verschoben, die von patriarchalen Narrativen geprägt sind, und der Mythos des Postfeminismus wird aufgelöst. Der Postfeminismus der 1990er und 2000er hat uns vorgegaukelt, dass der Zweite-Welle-Feminismus schon alles erreicht hat und jede feministische Forderung unnötig und überzogen sei. Sich als Feministin zu bezeichnen war sehr negativ besetzt, und die wenigsten weiblichen Mainstream-Stars haben das gemacht. Heutzutage ist der Diskurs ein anderer, und so wird den weiblichen Promis, die oft aus misogynen Gründen geächtet wurden, durch Social Media und dem neu gefundenen Interesse an weiblichen Perspektiven die Chance gegeben, Senderinnen ihrer eigenen Erzählungen zu werden.
Alles eine Frage des Framings!?
Haben sich durch die neuen Technologien die Bedingungen für einen weiblichen Popstar von den 2000ern zu heute maßgeblich verändert? Wie sehr können sie über ihre Narrative entscheiden und wie viel ist Fremdzuschreibung? Auch wenn Social Media die weiblichen Stars zu eigenen Senderinnen ihres Narrativs macht, werden viele patriarchale Denkmuster reproduziert. Es ist schwierig und ein immer laufender Prozess, gegen die eigene Sozialisierung anzukämpfen. Wichtig dabei ist ein diskursiver Rückhalt, dass Menschen, die auf Sexismus aufmerksam machen, kein Gaslighting, sondern Solidarität erfahren.
Die unterschiedlichen Maßstäbe, mit denen die Öffentlichkeit Popstars in den 2000ern und heutzutage beurteilt, kann mensch an den Anfängen von Britney Spears und Billie Eilish erkennen. Britney Spears ist vor kurzem wieder in die Öffentlichkeit getreten, als publik gemacht wurde, dass sie die Verhandlung um ihre Unabhängigkeit von ihrem legalen Vormund gewonnen hat. Ihr Vater hatte die Vormundschaft der erwachsenen Britney übernommen, als diese 2008 wegen psychischer Probleme in eine Klinik eingewiesen wurde. Daraufhin entwickelte sich in den letzten Jahren die „Free Britney“-Bewegung, die in der Dokumentation Framing Britney eine wichtige Rolle einnimmt.
Sexy Jungfrau
Die misogyne Behandlung von Britney Spears hatte unterschiedliche Faktoren. Anfang der 2000er stieg das Interesse an den Leben von Promis immer mehr. Durch den Aufschwung von Reality-TV und der Etablierung der „Famous for being famous“-Kultur verschwammen die Grenzen der Privatsphäre immer mehr. Dadurch wurden Boulevard-Zeitschriften immer populärer und machten einen Haufen Geld mit grenzüberschreitenden Paparazzibildern. Im Internet tummelten sich vor allem die Klatsch-Blogs, auch ein Teil der misogynen Bewertungsmaschinerie. Und allem voran der postfeministische Diskurs, der es Frauen fast unmöglich machte, Sexismus sichtbar zu machen, ohne als die hysterische Frau oder als prüde Emanze gebrandmarkt zu werden. Slutshaming war im Mainstream angekommen, und anstatt sexistische Praxis anzuprangern, war es die einzige Verteidigungsstrategie, sich nicht als „Slut“ labeln zu lassen.
Britney Spears’ Image war in sich schon ein Paradoxon. Sie hat die Dichotomie eines Teenager-Mädchens perfekt verkörpert. Das Stadium zwischen Kind und Frau, wo sie eigentlich noch ein Kind ist, aber schon als Frau wahrgenommen werden will. Das hypersexualisierte Schulmädchen, das sie in ihrem ersten Song Hit Me Baby One More Time mit 16 Jahren verkörpert, wird zu dem neuen Sexsymbol. Sie muss das Unmögliche möglich machen, indem sie gleichzeitig sexy und jungfräulich auftritt. In ihren Videos wird sie mit ihrem durchtrainierten Körper und flachen Bauch zum neuen Schönheitsideal erkoren, während sie in ihren Interviews immer wieder nach ihrem Sexualleben gefragt wird. Ausgehend von diesen beiden Polen wird sie bewertet. Und Britney Spears hat die unmögliche Aufgabe gehabt, beide Pole in sich zu vereinen. Das Image der „sexy virgin“ aufrechtzuerhalten erweist sich als ein Drahtseilakt, der nur eine Weile gut gehen kann.
Als Britney mit Justin Timberlake zusammenkommt, ihrem Kindheitsfreund aus The Micky Mouse Club, ist es schwierig das jungfräuliche Image aufrechtzuerhalten. In Interviews erzählt sie der Öffentlichkeit noch, dass sie mit dem Sex bis zur Ehe warten wird. Der Anfang ihres sozialen Falls kommt mit Justins öffentlichem Prahlen, bei dem er angibt, mit Britney geschlafen zu haben. Sie wird daraufhin ge-slutshamed – ihm wird gratuliert. Was für eine Doppelmoral!
Neben sexistischen Interviews wird sie immer wieder von den Paparazzi provoziert. Diese folgen ihr auf Schritt und Tritt und filmen schließlich ihren Nervenzusammenbruch, der dann auf der ganzen Welt gesehen und als Punchline benutzt wird.
Internet, Baby
Im starken Kontrast steht dazu das Image von Billie Eilish. Sie steht ähnlich wie Britney schon in jungen Jahren in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2015 veröffentlicht ihr Bruder den Song Ocean Eyes auf Soundcloud, in dem Billie singt. Dieser Song geht schnell viral und Billie wird über Nacht zum Star. Ihr Erfolg ist von der ersten Sekunde an mit dem Internet verlinkt und durch neue technologische Möglichkeiten vom Do-it-yourself-Charakter geprägt. Sie schreibt ihre Narrative selbst, in dem sie versucht sich dem „male gaze“ zu entziehen. Anfangs ihrer Karriere negiert sie mit ihrem Oversized Look die patriarchalen Standards des hypersexualiserten weiblichen Teenstars. Sie lässt sich nicht als Sexsymbol inszenieren, sondern sieht ihren Kleidungsstil als Empowerment. Die Kleidung erlaubt ihr so gesehen zu werden, wie sie möchte. In Interviews betont sie immer den Druck, der auf Teenager-Mädchen liegt, sich nach bestimmten gesellschaftlichen Normen zu kleiden. Durch ihre Unabhängigkeit, die sie aufgrund der heutigen Produktionsmöglichkeiten von Musik hat, muss sie sich nicht schon im frühen Alter vom Management zu einem sexy Image zwingen lassen, um dann genau dafür von der Öffentlichkeit kritisiert zu werden. In ihrem Song Not My Responsibility kommt sie auf diese Doppelmoral zu sprechen: „If I wear what is comfortable, I am not a woman. If I shed the layers, I’m a slut though you’ve never seen my body. You still judge it. And judge me for it. Why?“ Als sie dann ihren Kleidungsstil verändert, ist sie schon über 18 Jahre alt und kontrolliert, wann, wo und wie ihr Körper zu sehen ist. In ihrem Covershooting für die der Vogue zeigt sie sich zum ersten Mal in einem körperbetonten Korsett.
Außerdem wird 2021 auch eine Dokumentation veröffentlicht, Billie Eilish: The World’s a Little Blurry, in der sie uns an ihrer Reise und den Umgang von ihr und ihrer Familie mit dem plötzlichen Ruhm teilhaben lässt. Dort spricht sie auch über die negativen Seiten von Social Media und wie viel Druck darüber ausgeübt werden kann. Überdies wird in der Dokumentation deutlich, wie viel Einfluss sie auf den kreativen Prozess auch rund um ihre Musik hat. Sie ist für die gruselige und dunkle Ästhetik in ihren Videos verantwortlich, für die sie bekannt geworden ist. Die deprimierenden Themen, die Billie anspricht, werden besonders von Menschen der Generation Z verstanden, die mit dem 11. September, Klimakrise, der Ermordung George Floyds und vielem mehr aufgewachsen sind. Sie stellt keine künstliche Ablenkung dar, wie viele Popstars zuvor, sondern ist eine Reflexion des heutigen Zeitgeists. Ein weiterer großer Unterschied, der auch in der Dokumentation gezeigt wird, ist der verschiedene Umgang mit dem Öffentlichmachen von romantischen Beziehungen. Es wird enthüllt, dass Billie, während sie ihr erstes Albums schrieb, einen Freund hatte, den sie vor der Öffentlichkeit versteckt hielt. Wieder hat sie die Kontrolle über die Narrative und veröffentlicht diese Info erst im Nachhinein. So muss sie ihre Beziehung nicht öffentlich führen und entzieht sich patriarchalen Bewertungsmustern und kann sich aktiv entscheiden, wann sie sich damit beschäftigen möchte.
Bille Eilish wird nicht umsonst als facettenreich und nicht so recht einsortierbar wahrgenommen. Dadurch dass sie selbst einen großen Anteil und Mitspracherecht über ihren kreativen Output hat, kann sie uns an unterschiedlichen Perspektiven und Gedanken teilhaben lassen. Sie ist ein Produkt ihrer Zeit. Im Gegensatz zu Britney Spears, der nur sehr wenig Spielraum gelassen wurde. Und die ihren unausgesprochenen und unmöglichen Vertrag mit der Öffentlichkeit gebrochen hat, nur das naive, junge, unbeschwerte Teenie-Mädchen zu verkörpern. Wir sollten weiblichen Starts erlauben, mehr zu sein als das, worin sie typegecastet werden. Weil wir nur dann ein nuanciertes Porträt bekommen, was es bedeutet, eine Frau im immer noch patriarchalen Showbusiness zu sein.