MALMOE macht vieles möglich. Zum 20. Geburtstag wünsche ich ihr, dass sie darin noch besser wird.
Solange ich Teil von MALMOE war, war die MALMOE mit heißer Nadel gestrickt, musste die MALMOE Ideale wegen der einschränkenden Realität zurückstellen, hatte die MALMOE nicht die Reichweite, die sie verdient hätte, lief die Produktion der MALMOE immer etwas chaotisch ab … Dafür war die MALMOE für mich der Ort, an dem ich die Erfahrung machen durfte, dass das, was ich schreibe, gedruckt wird. Und dass das, was ich schreibe, auch andere interessieren könnte. Bei der MALMOE habe ich mich das öffentliche Schreiben getraut, und das Kollektiv MALMOE hat mich darin bestärkt. Trotz aller Mängel von MALMOE.
Für manche mag das nicht besonders klingen. Für mich war es etwas Besonderes. Denn da, wo ich aufgewachsen bin, wurde weder gelesen noch geschrieben. Geschrieben haben die anderen. Journalist:innen, Schriftsteller:innen und so. Ich war froh, wenn ich es schaffte, das zu lesen, was die anderen schrieben. Schreiben war immer etwas Elitäres, und ich war nicht Elite. MALMOE hat meinen Zugang zum Schreiben geändert. Für diese Erfahrung des Schreibendürfens bin ich dankbar. Auch weil ich heute meinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben, Lesen und Redigieren von Texten verdiene. Weil ich da herkomme, wo ich herkomme, hätte ich natürlich nicht für alle Ewigkeit MALMOE-Texte für kein Geld schreiben können. Natürlich muss man sich es leisten können, für MALMOE zu schreiben.
MALMOE ist Analyse, Auseinandersetzung, Debatte, Streit, Widerspruch. MALMOE ist da für diejenigen, denen die MALMOE irgendwo in der Stadt auffällt, die die MALMOE dann in die Hand nehmen, darin blättern, sie im besten Fall einstecken, mit nach Hause nehmen und dort weiterlesen. Aber die MALMOE ist mindestens genauso für diejenigen da, die sie machen. Für mich war MALMOE immer ein großer Antrieb, mich in ein Thema zu stürzen, es zu recherchieren und aufzuschreiben. MALMOE war immer Motivation, mich zu bilden. MALMOE war insofern mehr Schule als die Schule, in die ich mich jahrelang geschleppt hatte.
Und man hat bei MALMOE nicht nur mit Texten zu tun gehabt, sondern auch mit vielen interessierten, aufgeweckten, lieben Menschen. MALMOE war immer Kollektiv, man traf auf Menschen, die etwas wussten, was man selbst nicht gewusst hatte, bis sie es einem erzählt und es dann aufgeschrieben haben. Und Menschen, die interessiert nachfragten und zuhörten, wenn man selbst etwas wusste, das sie nicht gewusst hatten. Die antihierarchischen und egalitären Ansprüche der MALMOE an das eigene Tun wurden zwar immer wieder von der Realität eingeholt. Aber zumindest hatte MALMOE diese Ansprüche und gab sie nicht auf. Bei MALMOE konnte verschiedenes Wissen miteinander konkurrieren. MALMOE war für mich deshalb immer auch etwas, das andere linke Kontexte oft nicht waren: ein Ort, an dem Differenzen artikuliert und ausgetragen werden konnten, auch wenn das nicht immer leichtgefallen ist und es sicher angenehmere Dinge im Leben gibt.
Natürlich gab es an MALMOE viel zu kritisieren. Bei einigen Kritikpunkten, die ich in vorangegangen Texten an dieser Stelle wiedererkannt habe und die das Mit-heißer-Nadel-gestrickt-Sein betreffen, musste ich schmunzeln. Bei anderen zog sich etwas in mir zusammen, weil ich mich daran erinnert habe, wie enttäuschend sich jener Mangel damals angefühlt hat. Für die nächsten 20 Jahre wünsche ich MALMOE deshalb, dass sie trotz all ihrer Mängel dort weitermacht, wo sie anders ist als andere. Dass sie genau darin besser wird. Ich wünsche ihr, dass sie Möglichkeiten findet, sich mehr Menschen zugänglich zu machen, die sich nicht vorstellen können, dass das, was sie zu schreiben haben, gedruckt wird.
Volkan Ağar war von 2014 bis 2016 Teil des MALMOE-Redaktionskollektivs und koordinierte die Rubrik „Widersprechen“. Heute ist er Redakteur bei der Berliner Tageszeitung taz.