MALMOE

Pushbacks vor Gericht, 
kein Ende in Sicht

Obwohl die Polizei bereits zwei Prozesse verloren hat, scheint sich an der Praxis nicht viel zu ändern

Seit der türkisen Umfärbung der ÖVP rühmt sich diese besonders unverhohlen ihres harten Kurses gegen Migration und Flucht. Anlässlich der Machtübernahme durch die Taliban kündigte der damalige Außenminister und jetzige Kanzler Karl Nehammer nicht nur an, „solange es möglich ist“ nach Afghanistan abzuschieben, sondern bezeichnete die Europäische Menschenrechtskonvention als Abschiebungshindernis und deutete an, sich darüber notfalls hinwegsetzen zu wollen. Der Kampf der rechtspopulistischen Parteien gegen die Bestrebungen von Schutzsuchenden, ihr Recht auf Asyl wahrzunehmen, findet nicht nur mit Worten und an der Wahlurne statt, sondern wird auch physisch durch das Zurückdrängen von Schutzsuchenden an den Grenzen Europas ausgetragen


In Graz fanden bisher zwei Pushback-Prozesse statt, weil die Betroffenen trotz der Bitte um Asyl direkt zurückgeschoben wurden. In beiden Fällen bewertete das Landesverwaltungsgericht dies als rechtswidriges Verhalten der Polizei. Es stellte fest, dass in Österreich Pushbacks „teilweise methodische Anwendung“ finden. Denn auch, wenn Nehammer und seine ÖVP das gerne anders darstellen wollen: Das Recht auf Asyl bleibt selbst nach fünf Jahren Regierungsbeteiligung der radikalisierten (neuen) Volkspartei ein Grundrecht.

Was sind Pushbacks?

Dieses Grundrecht erfordert, dass die schutzsuchenden Personen einen Antrag vor der Polizei innerhalb der österreichischen Landesgrenzen stellen und diesen anschließend beim Bundesasylamt einbringen kann. Wir halten also fest: Um einen Rechtsanspruch auf Asyl zu haben, ist es notwendig in Österreich einzureisen – auf welchem Weg auch immer. Diese Betonung ist wichtig, da die Rechtslage hier scheinbar mit dem Tatbestand der rechtswidrigen Einreise des Fremdenpolizeigesetzes kollidiert, welches im Wesentlichen Pass und Visum erfordert. Letzteres fällt jedoch in das Verwaltungsrecht, während hingegen das Recht auf Asyl als Grundrecht schwerer wiegt. Bei Pushbacks, also illegalen Zurückweisungen von den Grenzen des Ziel- oder Durchreiselandes, wird Schutzsuchenden, welche sich bereits auf dem Territorium der EU befinden, ein Grundrecht verwehrt. Mittlerweile wird von verschiedensten Seiten die Kritik an der EU laut, dass sie Pushbacks – die die Grenzpolizeien der jeweiligen Mitgliedsstaaten durchführen, teilweise unterstützt durch die Grenzschutzagentur Frontex – als systematische Methode verwendet, um mögliche Asylwerber:innen von ihrem Territorium fernzuhalten. Nur drei Wochen nachdem das Verwaltungsgericht Steiermark den Pushback von Ayoub N. festgestellt hatte (also anerkannt hatte, dass der Betroffene rechtswidrig nach Slowenien zurückgewiesen wurde), dokumentierte die Initiative Push Back Alarm Austria einen weiteren Fall. Diesmal hatte es der damals minderjährige Amin N. bis nach Österreich geschafft und wollte hier einen Asylantrag stellen. Doch auch er wurde nach Slowenien gebracht, und auch er legte mit der Unterstützung des Wiener Anwalts Clemens Lahner Beschwerde dagegen ein. Für die Betroffenen ändern solche Entscheidungen nichts, ein verunmöglichter Asylantrag kann nicht einfach nachgeholt werden. Im Fall von Amin N. beispielsweise deshalb, weil er mittlerweile in Slowenien Asyl zugesprochen bekam – im Gegensatz zu Ayoub N. Dieser wurde, wie viele andere auch, Opfer einer Kettenabschiebung bis nach Bosnien. Solche Kettenabschiebungen in Drittstaaten sind in der Regel mit Polizeigewalt verbunden.

Polizei vor Gericht: Wir wussten von nichts

An drei Verhandlungstagen im November und Dezember 2021 sollte nun geklärt werden, was im Juli 2021 in der Südsteiermark tatsächlich passiert war. Vieles ähnelte dem ersten Pushback-Prozess, vor allem die Tatsache, dass erneut ohne den Betroffenen verhandelt wurde. Diesmal war Amin N. zwar per Video dabei, um seine Erlebnisse zu schildern und Fragen zu beantworten, jedoch wurde der Großteil des Verfahrens für ihn nicht übersetzt, was seine Teilhabe erschwerte. Nach der Einvernahme von Amin N. wurden die am Einsatz beteiligte Polizist:innen und ein ehemaliger Polizist befragt. Deren Aussagen waren auffällig oft deckungsgleich: Es sei eine ganz normale Amtshandlung gewesen, man sei wie vorgeschrieben vorgegangen, und zu keinem Zeitpunkt will man vernommen haben, dass der Betroffene oder seine Begleiter um Asyl angesucht hätten. Es wurde aber auch nie danach gefragt und auch kein Dolmetscher hinzugezogen. Wer die Verantwortung für das mittlerweile als rechtswidrig eingestufte Vorgehen hatte, wisse man auch nicht genau. Ein System der Verantwortungsabwälzung, wie wir es aus anderen Prozessbeobachtungen bereits zur Genüge kennen. Spannend gestaltete sich die Frage, ob die einzelnen Beamt:innen denn wüssten, wie man „Asyl“ auf Englisch ausspricht, schließlich verständigten sie sich mit der Gruppe der Geflüchteten auf Englisch. Dass dies nicht so wie im Deutschen klingt, wie die Zeug:innen behaupteten, und dass Polizist:innen, die für solche Einsätze geschult sein sollten, das nicht besser wissen, sorgte für amüsierte Irritation im Gerichtssaal. Den eindrücklichen Schilderungen des Betroffenen konnte durch die Behördenvertretung wenig entgegengesetzt werden. Die Strategie des Anwalts der Landespolizeidirektion Steiermark beschränkte sich darauf, stoisch zu behaupten, dass die beteiligten Polizist:innen keinerlei Grund für rechtswidriges Verhalten oder Falschaussagen vor Gericht hätten – sonst würden sie sich ja strafbar machen. Diese Strategie war allerdings, wie schon im ersten Prozess, nicht erfolgreich. Und so entschied der Richter erneut im Sinne des Betroffenen und qualifizierte die Zurückweisung als rechtswidrig. Amin N. habe gegenüber den Beamt:innen eindeutig seine Absicht dargelegt, einen Asylantrag stellen zu wollen, wodurch ihm ein faktischer Abschiebeschutz zugekommen wäre.

Politischer Rahmen der Prozesse

Wir von prozess.report haben beide Pushback-Prozesse in Graz beobachtet und darüber berichtet. Unser Ziel dabei ist es, diese illegale Praxis zu beenden, was nur mit politischem Druck gelingen kann. Deshalb machen wir öffentlich, dass Pushbacks immer wieder (nicht nur) im österreichischen Grenzbereich stattfinden. Gerichtsverhandlungen selbst laufen nach strikten Regeln ab, aber vieles passiert schon, bevor es überhaupt zu einem Prozess kommt. Die Strategien der unterschiedlichen Parteien sind vorbereitet, die zuständigen Richter:innen sind mit diesen vertraut und stellen gezielt Fragen. Das heißt aber auch, dass vieles, insbesondere wer die politische Verantwortung für ein solches Vorgehen gegen Geflüchtete trägt, nicht erörtert wird. Zwar wären die „illegalen Grenzübergänger“, wie die Behörde die Gruppe Schutzsuchender bevorzugt nannte, diesmal – wohl auch aufgrund der vorherigen Maßnahmenbeschwerde – würdevoller behandelt worden. Nichtsdestotrotz wurde eine Art Standardverfahren in die Wege geleitet, dass bei der Polizei Usus zu sein scheint und auch in diesem Fall zu einer Rückschiebung führte. Menschen, die bei einem illegalisierten – aber für die Stellung eines Asylantrags notwendigen – Grenzübertritt aufgegriffen werden, werden als vermeintliche Kriminelle behandelt und weniger als Schutzsuchende. Dieser Eindruck ergibt sich aus der Wortwahl und der Selbstverständlichkeit mit der davon ausgegangen wurde, dass Menschen, die illegal einreisen, anzuzeigen wären. Über den Prozess hinweg entstand für Außenstehende der Eindruck, dass Menschen, die ohne Visum und Papiere nach Österreich einreisen, für die Beamt:innen lediglich Vorfälle sind. Als solche werden sie nach einem Standardprozedere behandelt, von dem nur in Ausnahmefällen abgewichen wird. Das Schicksal, die Befindlichkeiten und vor allem das Anliegen der Personen, ihr Recht auf Asyl in Anspruch zu nehmen, werden oftmals gar nicht beachtet.