MALMOE

I, Me, Myself and my cheekbones

In der Silvesternacht 1989 sang David Hasselhoff Looking for Freedom vor der Berliner Mauer und ich begann Make-up zu benutzen. Mich zu schminken, wie wir sagten. Der Start einer überaus intensiven und kontinuierlichen Beziehung. Um das Abhängigkeitsverhältnis zu skalieren, Heroin. Einem von da an nahezu täglich vollzogenen Ritual optimierender Maßnahmen oder was ich mir, im Wandel der Zeiten, so darunter vorstellte. Mitte der 1990er Jahre hielt ich einen ab der Hälfte des Augenlides steil, vertikal nach oben verlaufenden Lidstrich für vorteilhaft. Zusammen mit dem pinken Rouge sah ich vermutlich subkulturell aus, war es aber eigentlich nicht. Ich wollte bloß gut aussehen und hatte wenig Geschmack. Die Betreiberin eines lokalen Eissalons, in dem ich mich, auf Druck meiner Mutter, für einen Nebenjob bewerben musste, sagte mir einmal, dass sie mich wegen meines Make-ups nicht eingestellt hätte. Es hatte sein Gutes. Ansonsten hatte ich, wie jeder weiblich sozialisierte Mensch, schnell gelernt, dass es honoriert wird, hübsch auszusehen. Ich sah meiner Mutter dabei zu, wie sie sich mit ihrem Lippenstift drei Punkte auf die Wangenknochen setzte und zerrieb. Ich lernte die dekorative Kosmetik kennen, die die Attraktivität zu steigern versprach. Und die selbst für Teenager ohne Geldmittel irgendwie erreichbar war. Die Klasse spaltete sich in Geschminkte und Ungeschminkte. Als konservative Grundausstattung galt Gesichtspuder und Mascara, ich legte noch ein Scherflein oben drauf, wie gesagt.

Damit lernte ich etwas Weiteres kennen: die Perfidität des Patriarchats. Mädchen* und Frauen* sollen hübsch sein und das Hübschsein auch gerne konsumieren, bloß ansehen dürfe man ihnen den Konsum nicht. Wer sich zu stark schminke, was auch immer das heißt, wäre des Teufels, moralisch verworfen und hätte das Exerzieren der einen oder anderen Gewaltphantasie durchaus verdient. Die zugedachten Beschimpfungen taxieren meist die sexuelle Verfügbarkeit der Betroffenen. Gleichzeitig wird ihre Intelligenz abgewertet. Frauen*, denen unterstellt wird, sich zu sehr mit ihrem Äußeren zu beschäftigen, wird vorgeworfen, was das Patriarchat und der Kapitalismus ihnen zugleich abverlangen: Die Beschäftigung mit ihrem Äußeren. Das über allem schwebende Ideal der natürlichen Schönheit wird Frauen* zum Kauf angeboten und bleibt somit unerreichbar. Ich blicke milde auf mich zurück und erschrecke vor manchem Foto. Schminken ist einer der privatesten Bereiche in meinem Leben, ich freue mich darüber öffentlich schreiben zu können. Und einen Grund zu haben, mich in die Vergangenheit zu flüchten.