Nach einer Auftaktveranstaltung zu Wien retour (1983) meldet sich der Filmclub Tacheles dieses Jahr mit einer Filmreihe von ausgewählten Werken Ruth Beckermanns zurück. Es wird Zeit einen Blick darauf zu werfen, was ihre Filme so besonders macht.
Einführung, Höhepunkt, Auflösung – muss so ein gutes Buch, ein gutes Hörspiel oder ein guter Film aufgebaut sein? Überall, wo erzählt wird, scheint sich diese magische Einheit zu bilden. In der Welt, in der wir leben, ist das aber nur selten der Fall. Denn vom alltäglichen Geschehen zu erzählen, mag uns zwar natürlich vorkommen, sprechen wir jedoch von Geschichte, verkompliziert sich das Ganze. Erzählen heißt dabei immer auch, sich etwas zu vergegenwärtigen, woran alle teilhaben. Alltag und Erfahrung werden auf einmal in einen Zusammenhang gebracht. Dieser erschließt sich erst, wenn man genau hinhört. Erst dann fallen die Unterschiede, wie erzählt wird, zwischen den Ähnlichkeiten auf.
Die Autorin und Beobachterin
In den Filmen von Ruth Beckermann wird ununterbrochen erzählt. Weniger ist es sie selbst, die erzählt, als vielmehr sie, die erzählen lässt. Seit Mitte der 1970er Jahre dreht sie Filme. Eine ihrer ersten Arbeiten dokumentierte die Besetzung der Arena in Wien. Darauf folgten weitere Filme, welche die Lage streikender Wiener Arbeiter:innen portraitierten. Schon in ihren frühen Arbeiten zeichnet sich ab, dass alles Gesprochene immer auch in einem allgemeinen, gesellschaftlichen Zusammenhang zu betrachten und zu kritisieren ist.
Beckermanns Filme balancieren so stets auf dem Grat zwischen dem Sagbaren und Unsagbaren. Manchmal sprechen die Menschen im Bild unaufhörlich, viel öfter ringen sie jedoch um ihre Worte. Beckermanns Stimme, meist von der Seite, hinter der Kamera zu hören, begegnet den Menschen mit einer unerschütterlichen Offenheit, ohne sich an sie anzugleichen. Nur in wenigen Fällen ist sie die stille Beobachterin. In der Regel mischt sie sich ein in das, was sie sieht und zeigt.
Abseits der Worte
Zwischen fiktionalen und dokumentarischen Erzählformen zu unterscheiden, würde die Besonderheit von Beckermanns Filmen verkennen. Die Weise, wie erzählt wird, gibt der Gegenstand vor, welcher stets auf sie als Autorin reflektiert. Jeder Film wirkt dabei wie ein seltenes Unikat, das permanent seine eigenen Darstellungsmöglichkeiten in Frage stellt. Beispielsweise scheint ein Film wie Die Geträumten (2016) nicht nur den ergreifenden Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan zu dokumentieren, sondern auch jene, die ihn vorlesen: Abseits der Mikrofone sehen wir Anja Plaschg (Soap & Skin) und Laurence Rupp im Studio des ORF tanzen, lachen, diskutieren oder einfach nur stumm nachdenken.
Während Bachmann und Celan eine räumliche Distanz trennte, wird die Geschichte vom Film durch eine zeitliche getrennt. Sowohl in den geschriebenen als in den gesprochenen Worten scheinen sich diese Distanzen jedoch zu verringern. Der Film schlägt eine Brücke zwischen diesen Welten. Er führt Menschen zusammen, setzt sie einander aus, sowohl poetisch, wie auch räumlich und historisch. Beckermann lässt beobachten, wie zwei Menschen von jenen Texten aufgesogen werden. Am Ende sind sie selbst ein Teil der Erzählung geworden.
Ein Wiener Zeitzeuge
Gemeinsam mit Josef Aichholzer, der Beckermanns immer wieder als Produzent begleitete, dreht sie Anfang der 1980er Jahre ihren ersten Langfilm Wien retour (1983), der von den Erinnerungen des Wieners, Juden und Kommunisten Franz West handelt. Lebhaft schildert West vor laufender Kamera seine Biografie, die immer mehr ist als die persönliche Schilderung historischer Ereignisse. Seine Erzählung greift verschwindende Details eines langen Lebens auf und betrachtet sie vor dem Hintergrund der großen historischen Einschnitte aus unterschiedlichen Blickwinkeln, zwischen Wiener Judentum und dem Roten Wien.
Immer wieder unterbricht oder untermalt der Film seine Erzählungen mit historischen Aufnahmen. Man könnte dem Film unterstellen, er würde die Aussagen von West nur illustrieren. Seine bedachten und zugleich fesselnden Worte brauchen jedoch keine Unterstützung. Eher meint man, der Film trete mit ihm in ein Zwiegespräch. Ohne die Bilder zu sehen, scheint es, als könne er sie bzw. das, was hinter ihnen liegt, beschreiben. Während West von seinem Sessel im Wohnzimmer aus erzählt, bleibt die Kamera und der Ton nahezu unverändert. Mittels dieser bestimmten Beharrlichkeit fängt Beckermann etwas ein, das einzigartig ist, aber gleichzeitig für die vielen unerzählten Geschichten steht.
Bewegende Geschichten
Die Filme bewahren in ihrer idiosynkratischen Erzählweise ein Moment von historischer Erfahrung, das sonst oftmals einem Vermittlungszwang geopfert wird. Statt Ganzheit bleibt in ihnen ein unauflösbarer Rest. So wie der Film über Franz West zu Beginn und am Ende bewegte Bilder aus dem Fenster eines Zuges zeigt, beschreibt Nach Jerusalem (1990) als Ganzes die Bewegung einer Suche. Beckermann begibt sich in diesem Film auf eine Reise durch Israel, während aus dem Radio des Autos unentwegt die angespannte Nachrichtenlage zu hören ist. Vielleicht ist dieser Film Beckermanns interessanteste Arbeit, da er mit der Allgegenwärtigkeit der Geschichten immer wieder an seine eigenen Grenzen stößt.
Es folgt eine Begegnung auf die nächste, nur eine zusammenhängende Erzählung will sich nicht formen. Immer wieder hält Beckermann gemeinsam mit ihrem kleinen Team auf der Reise an. Von der Perspektive des Straßenrandes beobachtet sie das Leben und die Probleme der Menschen in Israel. Sie scheint dabei nicht preiszugeben, wonach sie eigentlich sucht. Der Film wird so zu einem Passanten, der den Menschen in die Augen blickt, anstatt sie bloß anzusehen. Trotz ihrer Beiläufigkeit zeichnet die Bilder von Nurith Aviv eine unverkennbare Präzision aus. Wie in jedem Roadmovie bildet das Sichtbare meist nur eine Projektion für die Gedanken der Person, die jenen Ort bereist. Auch wenn Israel so fern von Wien liegt, ist es hier stets präsent.
Nur selten werden Beckermanns Filme gemeinsam gezeigt. Vielleicht aus dem Grund, weil jeder für sich eine eigene Welt, eine eigene Wirklichkeit beschreibt. Aber alle erzählten Geschichten ähneln sich, trotz ihrer unterschiedlichen Form. Unüberhörbar rufen Sie den Schrecken der Geschichte in Erinnerung, ohne es direkt auszusprechen. Eine bestimmte Leerstelle, ein Schatten, charakterisiert diese Filme. Der Filmclub Tacheles wird im Mai und Juni dieses Jahres an der Universität Wien im Rahmen der Filmreihe Beckermann ausgewählte Filme zeigen, begleitet von Vorträgen. Dabei soll von jenen Leerstellen erzählt werden.