Bereits seit fünf Jahren gibt es einen Integrationskurs in Österreich
Schon 2017 übte das Autonome Kollektiv: Offene Deutschkurse in der MALMOE 79 Kritik am Integrationskurs. Wir haben nachgefragt: Was sind die Motivationen dafür, den Kurs zu besuchen? Was sind Schwierigkeiten dabei? Leider hat sich MALMOE noch nicht integriert. Deshalb haben B. (31, seit sechs Jahren in Österreich), E. (29, seit vier Jahren in Österreich) und S. (31, seit acht Jahren in Österreich) dieses Gespräch selbst geführt und anschließend aus dem Türkischen ins Englische übersetzt. Aus der Redaktion kamen nur die Fragen sowie die Anregung zum Gespräch.
MALMOE: Warum habt ihr euch entschieden, am Integrationskurs teilzunehmen? Was sind die Gründe dagegen? Hatte es etwas mit Geld, Strafen oder persönlichem Interesse zu tun?
B: Wenn man Asyl gestattet bekommt, dann ist der Integrationskurs eigentlich verpflichtend. Wenn man nicht daran teilnimmt, wird alles sehr schwierig. Man bekommt weder Geld noch eine Versicherung. Natürlich wird Druck ausgeübt, aber ich war auch neugierig. Nicht nur wegen des Geldes, aber auch wegen der Sozialleistungen, um sich in das europäische System zu integrieren, musste ich einfach teilnehmen.
S: Ich habe fünf Jahre lang Asyl ersucht, ohne irgendeine Form von staatlicher Unterstützung erhalten zu haben. Während dieser Zeit musste ich viel durchmachen. Die größte Schwierigkeit war die Versicherung. Ich habe versucht Deutsch zu lernen, aber die Kurse waren teuer. Und ich wusste wirklich nicht viel. Es war so: Wenn man Asyl bekommt, geht man zum Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), um die Versicherung und andere Leistungen zu bekommen. Dann unterzeichnet man dieses Dokument und der Integrationskurs kommt gleich mit im Paket. Wenn man nicht unterschreibt, bekommt man gar nichts. Also musste ich erst dahin gehen, um mich beim Arbeitsmarktservice (AMS) zu melden, dann einen Sprachkurs besuchen, um arbeiten zu können. Als ich das erste Mal beim ÖIF war, habe ich nicht mal gelesen, was ich da unterschrieben hatte. Zuhause habe ich dann in dem Haufen von Dokumenten eine türkische Übersetzung gefunden. Ich wusste, dass ich unterschreiben muss, auch wenn mir sowas gegen den Strich geht. Deswegen wollte ich mir auch nichts davon durchlesen. Dann habe ich es doch gelesen und war schockiert und empört. Die Dokumente haben mir das Gefühl vermittelt, dass alle, die nicht in ihrem eigenen Land wohnen, dumm seien und dass es einen riesigen Unterschied zwischen uns gäbe. Dann bin ich zu diesem achtstündigen Kurs gegangen.
Dort ging es um das österreichische Gesetz, die Erziehung, das Gesundheitssystem in Österreich, wichtige historische Gegenstände in Museen, ein paar Tipps und Tricks, wirtschaftliche und politische Beziehungen, wo wir uns auf der Welt befinden und so weiter. Es war auf Englisch und Deutsch. Es wurde angenommen, dass wir gar nichts wissen, wir wurden völlig ignoriert, als ob wir nichts hätten, als ob wir dumm wären und überhaupt gar nichts wüssten und niemals auf ihr Level kommen könnten. Der Kurs war viel zu simpel, sehr vereinfachend. Ich war davon super genervt. Ich war schon fünf Jahre in Wien. Die Lehrer:innen hatten auch keinen Bock, die haben nur ihren Job gemacht. Sie meinten: „Natürlich wisst ihr das eh schon alles, aber wir müssen es trotzdem erklären.“ Das hat mich gekränkt. Während dieser acht Stunden habe ich mir gedacht, dass ich wahrscheinlich mehr weiß als die. Das war vielleicht mein Ego und meine Arroganz. Ich dachte mir, wer seid ihr eigentlich? Aber dann habe ich gesehen, dass dort eine ältere afghanische Frau saß und sie das alles wirklich nicht wusste. Wir wurden beispielsweise aufgefordert zu beschreiben, was wir in einem Bild sahen; jemand überquert einen Zebrastreifen bei grüner Ampel. Was ist da schon zu beschreiben, dachte ich mir. Jemand geht halt bei Grün über die Straße. Sie beschrieb es aber so, dass jemand keinen Hijab trage. Dann kam mir der Gedanke, dass so ein Kurs vielleicht doch notwendig sei. Jetzt widerspreche ich mir selbst. Zum Schluss war ich angepisst. Das Konzept ist nicht gut. Ich wusste nicht, dass es vor fünf Jahren noch gar nicht existiert hat. Ich frage mich, warum sie damit angefangen haben. Was war so schlimm vorher? Diesen Kurs zu besuchen hat mir keinen Spaß gemacht. Übrigens habe ich den Kurs vor drei Jahren gemacht, ich erinnere mich nicht an allzu viel.
B: Ich hatte das Dokument gelesen und mochte einige Stellen nicht, wie zum Beispiel, dass Österreich ein liberaler Staat sei. Und unnötige Betonungen darauf, dass es da keine Diktatur gibt. Aber ich musste es ja unterschreiben.
E: Ich konnte die Unterschrift verweigern, weil ich den Vorteil hatte, nicht allzu lange auf das Asyl warten zu müssen und zudem die Chance auf ein Stipendium hatte. Wenn ich diese Privilegien nicht gehabt hätte, hätte ich es wahrscheinlich unterschreiben müssen. Ich könnte auch jetzt noch hingehen und es unterschreiben, aber ich finde es irgendwie besser bei Mjam zu arbeiten. Das fühlt sich besser an, als sich mit denen rumzuschlagen. Seit ich in Österreich bin, hatte ich viele soziale Kontakte und so, ich kann mich also kaum beschweren. Trotzdem, alle meine Erfahrungen mit dem österreichischen Staat waren und sind voller Kränkungen, Erniedrigungen und rassistischem Verhalten. Man fühlt, dass man hier nicht willkommen ist und nicht gemocht wird. Wenn man die Wahl hätte, würde man lieber nichts mit diesem Staat am Hut haben.
B: Selbst Österreicher:innen haben große Mühen mit der staatlichen Bürokratie.
E: Ja, es ist die Bürokratie, der Rassismus und die Herangehensweise was Geflüchtete betrifft. Vom allerersten Moment als ich in Österreich ankam, mich bei den Cops für das Asyl anmelden musste, die ganzen Besuche bei Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Caritas und ÖIF, all das war eine riesige Erniedrigung. Ich war frustriert und voller Hass in diesen Besuchen. Ich wollte um jeden Preis vermeiden, eine Konfrontation mit dem österreichischen Staat zu haben. Ich werde diese ganzen Geschichten jetzt nicht erzählen, aber vielleicht fasst diese eine die Mentalität ganz gut zusammen: Im BFA gab es ein großes Schild, auf dem gezeigt wurde, wie man in ein Pissoir pinkeln sollte. Mit Bildern.
B: Echt? Das hab ich gar nicht gesehen.
E: Na ja, ich war total angepisst und habe es eventuell gestohlen. Vielleicht deswegen. Wenn man diesen Rassismus und diese Mentalität fühlt – sogar an Orten, die gar nicht zur Bildung beitragen sollten, versuchen sie einem noch beizubringen, wie man pinkeln soll – kann man schon vermuten, wie problematisch und rassistisch der Integrationskurs ist. Ich hatte vorher schon ein paar Artikel gelesen, die den Integrationskurs kritisieren. Dadurch bekam ich die Möglichkeit, mich gegen diese Scheiße zu wehren und zu verweigern, und das hab ich gemacht. Obwohl ich mich manchmal blöd fühle, weil ich deswegen keine Sozialleistungen bekomme und ich die meiste Zeit unversichert bin und stattdessen arbeiten muss, glaube ich nicht, dass ich mir den diesen Stress antun kann.
(Beschweren sich über das BFA, reden über Hemmungen Sozialleistungen und Prä-Asyl-Unterstützungen zu empfangen)
B: Ich glaube, wir tun dem österreichischen Staat unrecht. Ich will ihn nicht unterstützen, aber es kommen viele Leute hierher ohne Schulbildung. Leute, die von draußen kommen, sollten in die Gesellschaft integriert werden. Um das Niveau an Komfort zu bewahren, müssen sich die Leute integrieren.
S: Ich denke, dass so ein Kurs vielleicht notwendig ist für manche Leute. Aber wenn es doch um Bildung geht, sollte man nicht pädagogisch zwischen Leuten differenzieren, die gar keine Bildung haben, und Leuten, die einen Universitätsabschluss haben? Es ist einfach seltsam, dass alle Migrant:innen in einen Korb geworfen werden, egal ob sie einen Universitätsabschluss haben oder noch nicht mal schreiben können, und dann in dieselbe Klasse gehen. Diese eine Frau hatte viele Schwierigkeiten. Ich will nicht in dieser Position sein, aber wenn sie es schon so machen, dann sollten sie zumindest differenzieren. Ich weiß nicht, ich will jetzt auch keine Ideen zur Verbesserung geben. Aber das ist wie Assimilation. Der Integrationskurs sollte sich auch an unsere Kulturen anpassen.
B: Das ist keine Assimilation. Das, was der türkische Staat macht, ist Assimilation.
E: Ich denke, die Frage ist, ob der Integrationskurs die Integration unterstützen kann. Klar, viele Leute mit allen möglichen Hintergründen kommen hierher. Es sollte schon eine Art Interaktion da sein, Leute sollten etwas über Österreich und seine Gesellschaft lernen. Es gibt eben Werte, anhand derer die Leute hier leben und sie bringen einem diese Werte bei. Aber es kommen halt auch viele Leute aus anderen Kulturen her, mit anderen Werten. Es sollte mehr um Interaktion und weniger um Integration gehen. Es sollte nicht diese Hierarchie geben. Aber was man stattdessen bekommt ist: „Du kommst her, also musst du so pinkeln, dich so verhalten…“
S: Es beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Sie bringen uns viel bei, aber fragen nicht einmal, wie es in der eigenen Kultur ist.
B: Wir rennen weg von diesen Kulturen und Werten. Sozial, kulturell, wissenschaftlich ist Österreich vorne. Aber einmal wurde Antisemitismus erklärt, und ein Uiguren Mädchen sagte, sie wisse nicht, was „jüdisch“ bedeute. Es gibt auch Probleme hier, aber es gibt ein gemeinsames Verständnis der Werte. Der Westen hatte die Französische Revolution, wir hatten die islamischen Revolutionen im Nahen Osten. Vielleicht ist dieser Integrationskurs der falsche Weg, aber es gibt den Bedarf.
S: Ja okay, irgendwas braucht es, da sind wir uns alle einig, aber doch nicht so. Vielleicht wären soziale, auf Freiwilligkeit basierende Projekte besser.
E: Mein Wissen über Österreich ist sehr eingeschränkt. Ich wäre aber interessiert an österreichischer Geschichte oder so. Vor allem, wenn es so wäre, dass verschiedene Migrant:innen von überall aus der Welt mit verschiedenen Kulturen und ein paar Österreicher:innen sich treffen und dann über Werte, Kultur, Integration, Zusammenleben und so weiter diskutieren könnten. An so einem Kurs hätte ich echt gerne teilgenommen. Aber wenn ein paar Österreicher:innen mir beibringen wollen, wie ich mich in der Öffentlichkeit zu verhalten habe, was ihre Werte sind, dann kann ich in so einer Dynamik einfach nichts lernen, selbst wenn es etwas zu lernen gäbe.
MALMOE: Welche Erfahrungen (in Betracht auf Sprache, Bildung oder andere Teilnehmer:innen) habt ihr im Integrationskurs gemacht?
B: Ich erinnere mich, dass uns der Zweite Weltkrieg beigebracht wurde. Der Grundgedanke war, dass Österreich keine andere Wahl hatte, als sich den Nazis anzuschließen, und dass Hitler ein Soziopath war. Es war ziemlich manipulativ. Es gab auch einen langen Teil über Hitlers Leben.
S: Stimmt, der Teil über Hitlers Leben war seltsam lang und detailliert. Wo er geboren wurde, wo er aufgewachsen ist, sein Interesse an der Malerei, alles.
B: Der Anschluss Österreichs, Österreichs Unabhängigkeit, das Habsburgerreich, Maria Theresia, dass sie im 18. Jahrhundert vierzig Jahre lang als Frau regiert hat. Dass sie viele Rechte für Frauen eingeführt hat. Ich habe gelernt, wie Österreich ein Staat wurde. Ich habe einige nützliche Informationen gelernt, zum Beispiel, dass das Wahlalter hier ab 16 Jahren ist, das wusste ich nicht. Sie versuchen außerdem diese Mentalität zu zerstören, dass man hier leicht Geld bekommen und reich werden kann, und versuchen einem Disziplin beizubringen.
S: Ich habe nicht so viel gelernt. Ich wusste das alles schon. Das war psychologisch ziemlich schlecht. Ich wollte irgendwie zeigen, dass ich Sachen weiß, Sachen gesehen hab, dass ich nicht dumm bin. Sie haben uns Computer beibringen wollen, indem sie uns einen Laptop gezeigt haben. Und ich wollte mich irgendwie beweisen und sagte, dass ich schon seit ich zwölf war einen Laptop hatte. Ich wollte raus aus diesem Korb. Das war psychologisch auch sehr schlecht. Aber ich habe daraus gelernt, im Endeffekt bin ich aus politischen Gründen hier und viele Leute kommen aus verschiedenen Gründen. Mittlerweile ist es okay für mich, mit allen Migrant:innen in denselben Korb gesteckt zu werden. So bin ich und so werde ich wahrgenommen.
E: Ich hatte auch dieses Problem, ich wollte nicht in diesem „Flüchtlings-Korb“ sein. Das war einer der Gründe, warum ich den Integrationskurs nicht begonnen habe. Ich hab mich auch so gefühlt, als müsste ich mich beweisen. Wenn man viele Leute in ein Zimmer setzt und die Logik von guten Flüchtlingen und schlechten Flüchtlingen konstruiert, und einen weißen Schiedsrichter mit dazu gibt, dann sind Rivalität und Vorurteile vorprogrammiert. Viele Migrant:innen gruppieren sich um ihre Identität herum und beginnen zu streiten. Pakistani mögen keine Afghan:innen und andersrum genauso, politische Flüchtlinge mögen keine anderen Flüchtlinge und so weiter.
MALMOE: Konntet ihr den Integrationskurs irgendwie nutzen? Versteht ihr nun die österreichische Bürokratie oder Gesellschaft besser als vorher?
B: Ich habe die österreichische Bürokratie eher in der Praxis gelernt, indem ich am Integrationskurs teilgenommen habe, mich beim AMS gemeldet habe et cetera. Na ja, das war auch nicht besser und zugegebenermaßen, die Integration hätte einfacher sein können. Sie sollte Leute einfach nicht kränken und nicht so eine Mauer vor die Integration bauen.
S: Wenn der Kurs inklusiver wäre und mehr auf Gegenseitigkeit beruhen würde, anstatt einem stumpf Werte zu vermitteln, dann wäre es hilfreich. Außerdem ist es supernervig, dass dieser Kurs als Bedingung für Versicherungen und Sozialleistungen gilt. Ich denke, wenn ein Integrationskurs durch eine staatliche Institution gegeben wird, kann dadurch Integration nicht verwirklicht werden.