Gedanken zum Krieg in der Ukraine
24. Februar 2022. Russische Truppen marschieren in die Ukraine ein. Es ist Krieg. Dieser Krieg hat bereits 2014 begonnen, als russische Truppen Teile der Ostukraine eroberten und die Krim besetzen. Und trotzdem: Der Schock über einen brutalen Angriffskrieg im 21. Jahrhundert ist groß. Immer deutlicher wird, dass Putin diesen militärischen Angriff konsequent vorbereitet haben muss. Die engen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen erlaubten ihm dies, die unbeeindruckt von Putins autoritären Drohgebärden, Demokratieabbau und Menschenrechtsverletzungen fortgeführt wurden. Die Abhängigkeit der EU und Österreichs von fossilen Brennstoffen aus Russland ist stark und half, die Kriegskassen gut zu füllen.
Eine Katastrophe mit Vorankündigung
Auf der einen Seite haben wir einen Ex-Agenten als Präsidenten, der seit mehr als 20 Jahren die russische Politik bestimmt. Jahr für Jahr hat er weiter ein Regierungssystem ausbaut, das auf eine Person zugeschnitten ist und Menschenrechte konsequent abbaut. Erst 2020 hat er seine bisherigen Amtszeiten annulliert und sich so ein Weiterregieren bis 2036 ermöglicht. Mit Beginn des jüngsten Krieges wurde die Pressefreiheit erneut massiv eingeschränkt. Ab jetzt gilt jede russlandfeindliche Berichterstattung als Landesverrat, die mit 15 Jahren Gefängnis geahndet werden kann. Auch zentrale Medien, die sowieso schon lange in staatlicher Hand sind, werden bedroht. Daraufhin hat auch zum Beispiel die BBC Anfang März ihre Mitarbeiter:innen aus Russland geholt.
Dies soll helfen, die Bevölkerung in Russland nicht wissen zu lassen, dass überhaupt Krieg ist: Die Worte „Krieg“, „Invasion“ oder „Besetzung” zu verwenden, hat der russische Präsident neben einer kritischen Berichterstattung auch gleich mitverboten. Die offizielle Erklärung Putins, der Krieg müsse geführt werden, um die Ukraine zu entnazifizieren, hat eine beängstigende, surreale Note. Der Propagandaapparat scheint alle Vorsicht abgelegt zu haben.
Auf der anderen Seite haben wir die Ukraine, die mit einem NATO-Beitritt liebäugelt und deren Präsident, ein ehemaliger Schauspieler, täglich via Social Media seine Bevölkerung zum Widerstand einschwört und international als Star gefeiert wird – der mit dem Krieg „über sich selbst hinausgewachsen” sei und zur internationalen Kriegsbeteiligung von Freiwilligen aufruft, zu der sich bereits mehr als 2.000 Menschen gemeldet haben sollen. 25.000 Maschinengewehre sollen im Rahmen eines Bürgerwehr-Schutzprogramms an die Bevölkerung ausgeteilt werden, Männer mit Kampferfahrung werden aus den Gefängnissen geholt. Und auf Social Media sehen wir, wie sich Zivilist:innen mit Molotowcocktails bewaffnen.
Ukrainischen Männern zwischen 18 und 60 Jahren wird die Ausreise verweigert – sie sollen für ihr „Vaterland“ kämpfen. Auch deshalb ist die Allgegenwärtigkeit von Nationalflaggen und -farben als Symbol der Solidarität durchaus auch irritierend.
Widerstand in Russland
Trotz massiver Repressionen gibt es auch auf russischer Seite Proteste gegen den Krieg. So schreibt das Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Auffällig ist, dass es vor allem junge Wehrpflichtige trifft, die gerade erst ihre Grundausbildung absolviert haben, unerfahren und schlecht ausgebildet sind und nun an der Front verheizt werden.” Viele ihrer Mütter melden sich deshalb beim Komitee der Soldatenmütter. Für alle, die bereits den Tschetschenienkrieg mitverfolgen mussten oder Anna Politkowskaja gelesen haben, ist die Organisation sicher ein Begriff.
Gleichzeitig fantasieren manche linken Männer fast sehnsüchtig über Katalonien, als ob ein „gerechter” Krieg die Erfüllung ihrer Wünsche wäre. Jeja Klein rekonstruiert die jüngst losgetretene Debatte um Wehrfähigkeit und Männlichkeit und stellt fest, dass sich Springer-Blätter und rechte deutsche Medien inhaltlich kaum von den russischen Propagandaformaten wie RT unterscheiden würden. Dabei referiert Klein positiv auf eine Position, die sich gerade aus einem Zusammenspiel aus Dialog und Härte auszeichnet, die das Recht des Stärken zurückweisen und Menschenrechte ernst nehmen würde.
Den Geldhahn zudrehen?
Bei Kampfhandlungen wurde gezielt das Internet der Ukraine lahmlegt, woraufhin kurzerhand der US-amerikanische Milliardär Elon Musk angefragt wurde, ob er nicht Internet via seines Satellitenprogramms freischalten könne. Der reagiert prompt und sichert dem invasierten Land den Zugang zu Informationen. Wie zentral das Internet in der Führung von Kriegen geworden ist, zeigt einmal mehr dieser Konflikt. Weinende Kinder, patriotische Soldaten und heroische Geschichten fluten das Netz und prägen das Narrativ des Konflikts.
Vieles ist plötzlich möglich. Es werden wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland gesetzt und weltweit Jagd auf Luxusyachten von Oligarchen gemacht – also ist Privateigentum doch gar nicht so unantastbar, wie immer getan wird? (Warum dann nicht gleich die anderen Boote der Superreichen mitbeschlagnahmen?) Wie tief die Verwobenheit mit dem Machtapparat Putins ist, zeigen die ehemaligen deutschen und österreichischen Bundeskanzler Schröder und Schüssel. Nur zögerlich distanzieren sie sich. Schüssel legte erst nach starkem Druck seinen Aufsichtsratsposten bei Lukoil, dem größten Ölunternehmen Russlands, nieder.
Aber werden die Investments am Ende nur verlagert? Deutschland hat bereits angekündigt, 100 Milliarden für Rüstungszwecke bereitzustellen und sich erstmals seit 1945 wieder massiv zu militarisieren. Die Alarmglocken sollten spätestens jetzt schrillen! Die Rheinmetall-Aktien boomen und es zeigt sich, auch an diesem Krieg wird kräftig verdient.
Wessen Leben zählt?
Bereits mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht. Die westeuropäischen Regierungen versichern: Wer einen ukrainischen Pass hat, soll die Grenze passieren dürfen! Die ÖBB und auch die Wiener Linien ermöglichen Freifahrt für ukrainische Bürger:innen. Gut so! Doch was ist mit jenen Menschen, die aus der Ukraine flüchten müssen, die keinen ukrainischen Pass haben? Es häufen sich Berichte, wonach People of Color an den Grenzen abgewiesen werden. Die Einsicht der österreichischen und anderer europäischer Regierungen, dass den Menschen, die vor Krieg und Gewalt flüchten, natürlich geholfen werden muss, ist sehr begrüßenswert. Sie zeigt unweigerlich aber auch die Unmenschlichkeit ihrer bisherigen Politik auf. Wie also mit diesem Widerspruch umgehen? Bundeskanzler Nehammer betont, dies seien „keine klassischen Flüchtlinge“, sondern „Europäer, die nachbarschaftlichen Schutz benötigen“. Dieser rassistischen Differenzierung zwischen Geflüchteten müssen wir entschieden entgegentreten.
Jetzt ist praktische Solidarität gefordert, zu machen, was eins halt machen kann, Ressourcen bereitstellen, um Menschen in Not zu helfen – egal welchen Pass und welche Hautfarbe sie haben. Progressive Kräfte unterstützen, kritische Haltung fördern und – wer sich drauf versteht – auch zu beten (ja, so weit ist es mit uns gekommen!) für Menschen, die in Russland gegen Krieg, für LGBTIQ-Rechte und Pressefreiheit demonstrieren. Transnationale Solidarität mit allen Menschen in Not überall ist die Antwort auf den nationalistischen Kriegswahn. Jeder rechten Aggression hier und überall trotzen.
Es zeigt sich bereits, dass dies geht und geschieht. Die Solidarität mit Geflüchteten, die 2015 einen Höhepunkt erreicht hatte, wird wieder mobilisiert, alte Facebook-Gruppen melden sich zurück, bestehende Netzwerke und ihr Wissen kommen erneut zum Einsatz.
Нет войне! – Nein zum Krieg!
Nein zu jedem Krieg!