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Reader zur Medienkunst

Die Entwicklung bzw. Ausdifferenzierung digitaler, künstlerischer Formen schreitet permanent voran und wird durch ihre unbeschränkt zugängliche Zirkulation laufend beschleunigt. Demzufolge scheint es unvorstellbar über jede Veränderung angemessen informiert zu bleiben. Auch, wenn die Geschichte digitaler Medienkunst noch nicht lange andauert, bilden sich bereits Tendenzen der Musealisierung und Kanonisierung aus. Um zu verstehen, wie und weshalb diese produziert werden, empfiehlt sich ein Blick in die vergangenen Jahre theoretischer wie künstlerischer Arbeit. Dieser Reader stellt insofern einen Ausschnitt zentraler Anlaufstellen dar, die Antworten auf die Frage bereithalten, was digitale Medienkunst im 21. Jahrhundert bedeuten kann.

Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage, inwieweit konkret vom Gegenstand digitaler Medienkunst gesprochen werden kann. Die Trennung zwischen Kunst und Leben sollte noch vor hundert Jahren von den Avantgarden im Sinne eines emanzipatorischen Gesellschaftsprojektes aufgehoben werden, um damit eine Alternative zum bürgerlichen Kunstbegriff zu schaffen. Während Design in allen Formen schnell und relativ widerspruchsfrei in das Feld der High Art integriert wurde, scheint sich mit der neuen Krypto-Kunst tatsächlich ein Paradigmenwechsel abzuzeichnen – sowohl im Hinblick auf die Distribution als auch auf die Ästhetik. Digitalität versteht sich dabei als eine Chiffre für die Vielseitigkeit diverser Perspektiven, die sich nur in einzelnen Facetten betrachten lassen. Einige davon haben wir im vorliegenden Reader versammelt.

Theorie

Schon über 35 Jahre ist Donna Haraways The Cyborg Manifesto eine der wichtigsten Essays über das Verhältnis von Mensch und Natur im Zeitalter der Maschinen. Nicht nur entwickelt sie darin eine Kritik tradierter marxistischer Ansätze, sondern entwirft auch die Utopie eines post-humanistischen Feminismus. Gerade davon ausgehend, entstehen ästhetische Ansätze, welche die Grenzen des leiblichen Körpers durch technische Erweiterung infrage stellen.

Vor allem in Feuilletons diverser deutschsprachiger Zeitungen ist Felix Stalders Buch Kultur der Digitalität immer wieder herangezogen und gelobt worden. Seine Theorie beansprucht darin einen gewissen allgemeingültigen Anspruch, die für konkrete Schlussfolgerungen manchmal etwas sperrig, aber hinsichtlich ihrer Analysen und Darstellung von historischen Zusammenhängen ohne Zweifel lesenswert ist.

Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit hat Hito Steyerl mit The Wretched of the Screen auch als Theoretikerin einen maßgeblichen Beitrag zur Ausbildung zeitgenössischer ästhetischer Formen geleistet. Der Sammelband stellt Überlegungen nebeneinander, die zum einen die Position der Künstler:in gegenüber der Technik reflektieren und andererseits Fragen, über die Produktions- und Verfallsbedingungen digitaler Kunst anstellt.

Die deutsch- und englischsprachige Website medienkunstnetz.de versammelt wesentliche Texte der vergangenen Jahrzehnte aus dem Zusammenhang der Medienkünste. Neben historischen Einführung finden sich dort auch theoretische Aufsätze, die sich kleinteiliger mit Kunstwerken oder dezidierten Strömungen beschäftigen. Der Großteil der Text stammte von Rudolf Frieling und Dieter Daniels.

Ausgehend vom Mythos um das Akronym Satoshi Nakamoto, der:die als Begründer:innen der Bitcoin-Technologie bezeichnet werden, wurde ein gleichnamiges „Institut“ gegründet, um der Historisierung Rechnung zu tragen. Gesammelt auf der Homepage nakamotoinstitute.org finden sich Beiträge aus Foren, E-Mail-Korrespondenzen zwischen den Entwickler:innen, Code-Fragmente sowie das sogenannte „Bitcoin-White-Paper“. Auch, wenn man sich dort der Erforschung einer umwälzenden Technologie und ihren Ursprüngen verschreibt, muss man sich fragen, inwieweit dazu kritische Distanz eingenommen wird.

Künstler:innen

Sarah Friend ist Autorin und Wissenschaftlerin. Sie ist Mitbetreiberin von The Other Internet, einem Recherche- und Forschungskollektiv, das sich mit der Möglichkeit sozialer Technologien auseinander setzt. Ihre projektbasierte künstlerische Praxis konzentriert sich auf Organisationsdesign und utopische Entwürfe dezentraler digitaler Organisation. Sie sucht nach den Zusammenhängen zwischen kulturellen Praktiken und deren Auswirkungen auf die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien. @keikreutler

Johanna Bruckner ist eine österreichische Videokünstlerin, die sich mit den Einflüssen neuer Technologien auf den menschlichen Körper auseinander setzt und erforscht dabei die Rolle der Datenverwertung, die Rekonfiguration von Genmaterial sowie die Kommodifizierung des menschlichen Körpers. Den ästhetischen Ansätzen des Transhumanismus folgend, sind die Protagonist:innen ihrer Werke häufig in hybriden Zuständen zwischen Mensch und Maschine, Auflösung und Materialisierung und Subjekt und Objekt abgebildet. johannabruckner.com

Caroline Sinders ist Expertin für maschinelles Lernen und Künstlerin, die sich mit Sprache, Kunst und medialen Bildern beschäftigt. In ihrer Arbeit erforscht sie die Überschneidungen zwischen Textverarbeitung und -eingabe, künstlicher Intelligenz, Gewalt und Politik in digitalen Räumen. Ihr mehrjähriges Projekt Feminist Data Set erfasst jeden Schritt des KI-Prozesses, einschließlich der Datenerfassung, der Datenbeschriftung, des Datentrainings, der Auswahl eines zu verwendenden Algorithmus, des algorithmischen Modells und des Entwurfs, wie das Modell dann in einen Chatbot eingesetzt wird. Jeder Schritt dient dazu, die Entstehung von künstlicher Intelligenz zu hinterfragen und zu analysieren. @carolinesinders

Beeple, der bürgerlich Mike Winkelmann heißt, ist ein Grafikdesigner aus den USA, der 2021 den erdrutschartigen Paradigmenwechsel in der Kunstwelt mit verursachte, als seine Arbeit Everydays: The First 5000 Days für umgerechnet 57,8 Millionen Euro bei einer Kunstauktion verkauft wurde. Sein Content – eine Collage aus mehreren Tausend kleinen JPGS als NFT – trug dazu bei, die vermeintlich neuartige NFT-Kunst in die Feuilletons weltweit zu katapultieren. Seit dem drehen sich die Debatten rund im den NFT-Hype vor allem um die Ästhetik und die Distribution der Dateien. Tatsächlich jedoch ist Beeple bei weitem nicht der erste Künstler, der sich an der Schnittstelle zwischen Kryptomarkt und bildender Kunst bewegt und mit Sicherheit auch nicht der Beste.

Online-Ausstellungen/Archive/Institute

Anfang der Nullerjahre begann die Kunstsammlerin Julia Stoschek Medienkunst für ihre Sammlung anzukaufen. Nach eigener Angaben besitze sie den größten Bestand sogenannter zeitbasierter Kunst, also Formen, die sich nicht auf das Material als zeitloses Medium beziehen lassen. Einerseits wird so die Zugänglichkeit dieser Arbeiten sichergestellt, zum anderen verkörpert ihre Tätigkeit dahingehend eine nicht zu unterschätzende Monopol-Stellung, die sich nach außen als soziales Engagement zu erkennen gibt. Auf der Homepage jsc.art lässt sich eine Vielzahl ihrer gesammelten Werke, neben Performances und Gesprächen online betrachten.

Die Online-Plattform vdrome.org versteht sich selbst als ein digitales Online-Kino, in dem zeitgenössische experimentelle Formen zwischen Film und Konzept-Kunst gezeigt werden. Die Gründer:innen und Kurator:innen: Edoardo Bonaspetti, Andrea Lissoni, Filipa Ramos schreiben selbst über das Projekt, dass es den Zugang zu Kunst ermögliche, der sonst nur über örtliche gebundene Festivals, Ausstellungen, etc. möglich wäre. In besonderer Weise besteht die Funktion des Projekts vor allem darin, dass die Werke nicht wie auf Streaming-Portalen üblich kontextlos neben einer Reihe weitere stehen, sondern durch Texte und Interviews eingeführt werden.

Bei dem Forschungsprojekt Beyond Matter handelt es sich um einen Zusammenschluss unterschiedlicher europäischer künstlerisch-forschender Institute ausgehend vom Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe. Ziel dieses Projektes ist es, im Rahmen von Ausstellungen, Konferenzen und Residences, Methoden der Virtualisierung von Kunst bzw. ihrer Zugänge zu erforschen. Es handelt sich dabei um ein Projekt, das zum einen durch die Plattform der Europäischen Union Creative Europe und zum anderen durch Mittel der deutschen Bundesregierung gefördert wird.

Der Verein Werkleitz wurde Mitte der 1990er-Jahre im gleichnamigen Ort gegründet und hat nun seinen Sitz in Halle/Saale. Im deutschsprachigen Raum besitzt das jährlich stattfindende Festival eine wichtige Bedeutung für den Austausch diverser Künstler:innen, die im Umfeld von Video- und Medienkunst arbeiten. Gerade in den letzten Jahren gewinnen auch Fragen der Digitalisierung zunehmende Bedeutung. Regelmäßig werden von Werkleitz Stipendien ausgeschrieben und im Zusammenhang unterschiedlicher Projekte Förderungen und Workshops angeboten. Auch dieses Projekt wird durch Gelder der EU und das Bundesland Sachsen-Anhalt unterstützt.

Das Online-Magazin felt zine bietet permanent aktuelle Einblicke in die Welt der digitalen Kunst und versammelt wichtige künstlerische Positionen, Debatten und Projekte. news.feltzine.us