Braucht Krypto-Kunst einen Platz im Museum?
In Museen und anderen Kunsträumen sind digitale Kunstwerke seit Jahrzehnten präsent. Neu sind technologische Möglichkeiten, wie die Unikatisierung über NFT (siehe MALMOE 96 „Medium ohne Message“). Sie erlauben neben vermeintlich barrierefreier Distribution u. a. die Kommodifizierung von Performances und eine neue gesellschaftliche Aushandlung von Urheber:innenrechten. MALMOE-Redakteurin und Kuratorin Anne Zühlke traf die Kuratorin der Halle für Kunst Steiermark, Cathrin Mayer, zum Gespräch über Blockchain und ihre Bedeutung für eine neue Form der Ästhetik und Ausstellungspraktiken.
MALMOE: Folgt man gegenwärtigen Debatten, entsteht schnell der Eindruck, man könne Krypto-Kunst nur verachten oder verehren.
Cathrin Mayer: Wenn gesagt wird, es gäbe zwei Lager, dann erinnert mich das stark an Debatten, die ich an der Uni geführt habe. Die tatsächlich im Raum des Studierens stattgefunden haben: zwischen Leuten, die in Galerien gearbeitet haben, so wie ich, und jenen, die klar zu einer akademischen Laufbahn tendierten. Die haben immer mehr oder weniger gesagt, der Kunstmarkt ist ja von Dingen angetrieben, die nicht wirklich von Belang sind. Das ist eine Position. Dagegen stand die Position der Leute, die in Betrieben gearbeitet haben, die gesagt haben: Ganz ehrlich, die Realität sieht anders aus. Künstler:innen brauchen Geld, und das kommt halt einfach von bestimmten Förderungen, Geldgeber:innen und Sammler:innen.
Es gibt Künstler:innen, die zeigen nur in Galerien und sind erfolgreich, dann gibt es andere, die hauptsächlich in einem sehr spezifischen Kontext von Biennalen und kritischen Ausstellungen gezeigt werden, aber die schlussendlich irgendwann, wenn sie erfolgreich sind, in irgendeiner Form ebenfalls in einem ökonomischen Zwangsverhältnis stehen, egal ob sie es über eine Galerie machen oder nicht. Ich finde, diese Lager sind komplett unproduktiv.
Zuletzt habe ich viel mit Colin Self gesprochen, einer/einem Künstler:in, mit dem/der ich zusammenarbeiten werde. Colin ist zum Beispiel mit einem Space in den USA im Dialog, die wollen versuchen, über eine Arbeit von ihm, die als NFT verkauft wird, eine Performance zu finanzieren. Das heißt, es gibt mittlerweile Überlegungen, wie Künstler:innen – vor allem jene, die gerade keine Malerei etc. verkaufen können, sondern die hauptsächlich Performances machen, die sich in der Form nicht verkaufen lassen – diese Form von Funding über so etwas wie ein NFT nutzen könnten, um eine Produktion zu finanzieren. Das sind Überlegungen, die ich sehr interessant finde. Da wird eine Richtung eingeschlagen, die ich sinnvoll finde, um einen Mehrwert zu generieren in dem System, das wir grade haben.
Wie könnte ein Umgang mit dieser neuen Form von Kunst, die sich häufig gar nicht selbst als Kunst, sondern als Content bezeichnet, aussehen? Für mich ist total aussagekräftig, dass weder die Leute, die es produzieren, noch die, die es kaufen, sich selbst im traditionellen Kunstmarkt verorten würden. Deswegen dachte ich, dass die Einbindung dieser ökonomischen Prozesse, die im Hintergrund stattfinden, eine adäquate Präsentationsform dieses Phänomens sein könnte. Ich frage mich, ob es überhaupt sinnvoll ist, es an einem Ort wie einer Kunsthalle zu zeigen? Wie kann man die Infrastruktur, die hinter der sogenannten Krypto-Kunst steckt, medienreflexiv einbinden?
CM: Ich frag mich auch immer, wer so etwas kauft. Man kann es nicht wirklich nachvollziehen. Ich habe mich weniger beschäftigt mit diesem ganzen Hype, der von Beeple (siehe Reader, Anm. der Red.) ausgelöst worden ist, sondern eher damit, was es noch für Leute gibt, die schon länger mit Krypto quasi als Medium arbeiten. Es gibt in Berlin eine Galerie nur mit NFT, die heißt Folia.app. Die haben eine Performance als NFT verkauft. Laut einem der Künstler:innen war es das erste Mal, dass er eine Arbeit verkaufen konnte, und er hat damit einen so hohen Gewinn wie noch nie gemacht. Es gibt auch Ideen – vor allem wenn es um Performance geht und um Musik –, dass man mittels so einer Technologie auch Besitz in die Arbeiten selbst einschreibt. Stell dir vor, eine Person kauft eine Arbeit, und wenn die Person es weiterverkauft, dann ist in dem File oder der Chain angelegt, dass automatisch so und so viel Prozent an die Künstler:innen gehen. Das heißt, da gibt es einfach ein riesiges Potenzial vor allem für Musik, eine neue Form von Distribution zu leisten, weil die Künstler:innen immer Urheber:innenschaft bezahlt bekommen.
Es ist für mich nicht ganz so eindeutig, weil man damit einerseits Urheber:innenrechte stärken kann, anderseits beruht dies auf der Zusage aller Beteiligten, sich an die Vereinbarungen zu halten und nur die authentifizierte Version zu benutzen. Ich glaube aber auch, dass die Frage der Urheber:innenrechte in einigen Jahren ganz anders gestellt wird, weil man Dateien anders schützen können wird. Momentan frage ich mich oft, ob man solche Arbeiten ins Museum holen sollte? Tut das ihnen gut?
CM: Für mich persönlich ist die Frage, ob ich ein NFT in einem Museum zeige, ziemlich uninteressant. Für mich ist eher interessant, diese dezentrale Technik für eine neue Form von Werten und Distribution zu nutzen. Ich finde Projekte spannend, die sich strukturell mit so etwas auseinandersetzen. Es müssten auch nicht nur Leute sein, die Netzkunst machen. Es gibt natürlich Leute, die sind prädestiniert dafür, aber ich finde es auch lukrativ, so etwas wie Performance über dieses Medium zu unterstützen. Es könnte auch einfach eine Strategie sein für diejenigen, die vielleicht weniger Zugang zu Finanzmärkten haben. Wer kann sich denn heute noch Eigentum anschaffen? Wer kann sich von uns eine Wohnung kaufen? Und wenn Krypto eine Form ist, durch die Leute mit wenig Vermögen welches ansammeln können, dann finde ich, dass das etwas ist, das man nicht per se ablehnen sollte. Ich glaube, es ist wie jede Technik. Jedes Mal, wenn etwas Neues gekommen ist, gab es die Leute, die gesagt haben, dass es nicht funktionieren und nicht adaptiert werden wird, und dann wird sich zeigen, was davon tatsächlich funktioniert und was nicht. Aber es wäre ignorant zu denken, dass das nicht ernst zu nehmen ist.
Warum konnte diese Ästhetik so direkt in den Kunstmarkt eindringen? Es ist die Frage, warum etwas, nur weil es visuell ist, auf dem Kunstmarkt verkauft wird. Das Spiel mit den Codes und der Einfachheit, das fasziniert mich schon. Weniger das Endprodukt ist interessant, sondern ob es einen gemeinsamen Nenner gibt. Auf der Plattform Digital Eyes, die über das Blockchain-Netzwerk Solana läuft, sollen die Avantgarde der digital artists rumhängen. Alles dort ist sehr „häßlich“, und dennoch wird eine kleine JPG-Datei einer lachenden Sonnenblume für 1 SOL (circa 200 Euro) verkauft.
CM: Viele Leute haben angefangen zu kaufen, um weiterzuverkaufen. Spekulation, wie auf dem „richtigen“ Markt. Aber es gibt auch Leute, die das wirklich anspricht. Ich will keinen Klassenbegriff aufmachen, aber ich kann mir vorstellen, dass es für manche Leute eine Ästhetik ist, der sie in ihrem Alltag begegnen. Es ist Kunst für sie, aber nicht in der Form, der wir hier in Wien begegnen, mit unseren 500 Museen, oder im tollen Berlin. Das muss man natürlich auch mitdenken. Es gibt einfach andere Kunstbegriffe.
Meine Überlegung war auch, ob die Käufer:innenschaft vor allem aus einer durch Videospielästhetik geprägten Welt kommt, in der bestimmte Verhaltensmuster immer wieder neu bedient werden und gefordert sind. Leute, die mit Krypto umgehen können, sind meistens technophile Leute, die sich eh die ganze Zeit auf Steam bewegen, Cloud-affin sind und um die Potenziale von dezentralen Netzwerken wissen. Die werden momentan alle als geschmacklos und ästhetisch unversiert abgestempelt, aber sie haben wahrscheinlich einen viel größeren Peil von dem, was wirklich auf dem digitalen Globus passiert, als jene Leute, die sie kritisieren. Wie kann man so eine Art von Kunst besprechen, oder ist das nicht der Auftrag der Kunstinstitutionen?
CM: Also, ich finde es auf jeden Fall wichtig, darüber informiert zu sein, und dass man weiß, was da passiert. Aber ich würde mir nicht zutrauen, NFT-Kunst erklären zu können. Ich wüsste auch nicht, wie ich eine NFT-Ausstellung machen würde, wenn du mir diese JPGs gibst. Ich glaube halt, dass diese Technik viel, viel mehr hergibt als nur das – mich interessiert die Medienspezifität. Ich finde wichtig, dass dieses Phänomen uns zeigt, dass der Begriff von Kunst so viel breiter ist, als man den denkt, und dass auch Leute, die schon lange in Krypto sind, sich auch immer als ein „Tribe“ gesehen haben. Es war anfangs ein bisschen wie ein Geheimnis. Niemand wusste so richtig, was das ist, und keine:r hat verstanden, dass es Wert hat. Erst seit 2017, als so viele Leute so viel Gewinn gemacht haben, wurde das Thema so richtig populär. Ich interessiere mich mehr für die Technik in puncto Community und Wertedistribution als für diese Bilder. Um es ganz gemein zu sagen, mich interessieren allgemein sehr wenige Dinge, die statisch an der Wand hängen.
Da bin ich ganz bei dir, aber wie kann man das einbetten in eine Form der Repräsentation? Die muss ja nicht auf der Wand erfolgen. Wie könnte man das übersetzen? Ich denke da z. B. an die Ausstellung Software, 1970 im Jewish Museum in New York. Darin wurde versucht, die damalige Informationstechnologie zu übersetzen in künstlerische Strategien. Wie könnte man die Kryptotechnologie übersetzen? Mein Zwischenfazit wäre eigentlich, dass diese Form von Kunst gar nicht so richtig eingliederbar ist in den physischen Ausstellungsbetrieb, wie wir ihn momentan in den Häusern haben. Sondern sie ist eher interessant als eine Art Konzept, dass man weniger visuell in die Ausstellungsräume einbringt – sondern eher konzeptuell mitdenkt, oder? Wie wird heute Kunst distribuiert? Geschmack und Wert generiert? Aber es ist keine eigene ästhetische Strömung, die man jetzt ausstellen würde.
CM: Noch nicht! Ich glaube, es ist schwierig zu antizipieren, weil einfach gerade so viel passiert. Ich bin immer ein Fan davon zu sagen, dass Aussagen, die man tätigt, auch etwas mit der Zeit zu tun haben, in der man sie tätigt. Wenn Menschen konsequent sagen, dass etwas nicht zukunftsfähig ist, dann nehme ich immer die Position ein zu fragen, wie kann man das nur behaupten? Das Mainstreaming von diesen Sachen wird einfach passieren. Und dass das jetzt in diesem Kunstfeld nicht passieren und nicht relevant sein soll, glaube ich nicht. Es passiert schon. Deswegen finde ich diese Lager nicht interessant, die du am Anfang angesprochen hast. Ich glaube, viele Leute verstehen das Konzept, also die Technik nicht. Es ist auch schwierig zu verstehen. Es geht nicht darum, jede Blockchain im Einzelnen nachvollziehen zu können. Ich glaube, viele Personen, die vorher Kunst gesammelt haben, sammeln jetzt NFTs, weil das gerade ein Hype ist und da viel Geld drin steckt. Vielleicht ist das die verspätete Antwort auf die Frage: „Wie würde ich das vermitteln?“ Ich würde vor allem vermitteln, dass ich im Stadium jetzt das Ganze eigentlich gar nicht vermitteln möchte, weil ich glaube, dass das gar nicht vollständig möglich ist. Man muss einfach lernen, die Technologie zu verstehen.
Am Rande der Documenta X 1996 hat eine Veranstaltung des Old Boys Networks stattgefunden und kurz darauf die First Cyberfeminist International (siehe MALMOE 92, „Cyberfeminismus als Interface“). Damals passierte etwas Ähnliches: Die Beteiligten haben sich stark ästhetisch abgegrenzt und jene Arten von Community-Building und Counter-Narration erforscht, die man sozusagen mit dieser (damals) neuen Infrastruktur Internet herstellen konnte. Ausgehend von dieser Beobachtung frage ich mich dann noch mehr, warum ich kaum Interesse habe, mich mit dieser Ästhetik im Hier und Jetzt zu beschäftigen.
CM: Es ist dasselbe wie am Anfang von Post-Internet-Kunst. Damals gab es auch viele Leute, die das nicht als Kunst bzw. Kunst mit Mehrwert begriffen haben. Und irgendwann ist es kulminiert. Fast alle innerhalb einer bestimmten Szene – einer super westlich-amerikanisch-europäischen Szene – haben nur noch Post-Internet gemacht. Es kann natürlich sein, dass einfach eine Person kommt, die sich genau diese kindliche Ästhetik aneignet und damit einen Tabubruch verursacht. So funktioniert ja Kunst. Kunst funktioniert durch Transgression. Und wenn es jetzt eine:n Künstler:in gibt, der oder die wirklich anerkannt ist, dann kann es passieren, dass das eine Welle schlägt. Wahrscheinlich passiert das auch so. Ich will das wirklich mit Post-Internet vergleichen: Wie viele Leute, die Post-Internet gemacht haben, sind heute noch relevant? Es sind ganz wenige, die unabhängig von dieser Ästhetik und diesem Fetisch und diesem Moment in der Zeit bestehende Arbeit machen bzw. gemacht haben. Und es sind auch Leute wie Simon Daney und Jon Rafman. Es gibt wenige weibliche Beispiele, würde ich jetzt mal behaupten. Das ist sehr männlich. Der Krypto-Space ist männlich.
Einerseits finde ich, ist er enorm männlich. Andererseits kann dieser Bereich, der rein digital angelegten Kunst als Schnittstelle zwischen analog und digitaler Identität, als fast schon prothesenhafte Erweiterung der Persönlichkeit, um bei McLuhan zu bleiben, genutzt werden. Das finde ich auch total spannend, dass der Markt eigentlich dominiert wird von männlichen Künstlern, die Technik aber als Methode angewandt wird, subversive oder queere Kontexte zu thematisieren. Die Künstlerin Arca zum Beispiel.
CM: Aber Arca ist keine bildende Künstlerin. Sie ist aber jemand, die auch sehr transgressiv arbeitet. Sie gehört zu den Leuten, die von vornherein einfach eine Empfindung haben für Formate, die nicht klar verortbar sind. Ein bisschen wie die Feminist:innen, die gesagt haben, wir machen jetzt Videokunst. Und dann Netzkunst. Das ist halt ein Raum, der irgendwie noch nicht vollständig besetzt war von Männern. Ich warte ein bisschen darauf im Bezug auf Krypto-Kunst. Klar, es gibt queere Kryptogruppen, das weiß ich. Und es gibt queere NFT-Künstler:innen. Ich fände es spannend zu überlegen, wie man das noch weiter vorantreiben kann.
Ich glaube, was für mich auch eine wichtige Beobachtung ist, dass die Trennung zwischen bildender Kunst und Wissenschaft, im Hinblick auf Artistic Research, inzwischen verwässert ist. Das ist ja auch nicht wirklich neu – siehe das Old Boys Network zum Beispiel. Was passiert mit der Auseinandersetzung mit dem Archiv? Wie können diese ganzen dezentralisierten Blockchain-Aktionen für Archivkunst interessant werden? Das gibt es bis jetzt noch nicht, oder ich kenne es noch nicht. Aber das fände ich auch nochmal einen Aspekt: zu sehen, wie Archive und Wissensnetzwerke materialisiert werden über Blockchains.
CM: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber es sicher eine sehr kluge Verbindung.
Es ist quasi Konzeptkunst am Ende.
CM: Ja, klar, wenn du klassische Konzeptkunst aus den Siebzigerjahren anguckst, und du hast am Ende nur noch ein Artefakt von etwas, was zuvor viele Prozesse durchschritten hat, dann musst du einer Person auch erklären, was davor alles passiert ist. Das im Prinzip nicht so viel anders.