MALMOE

Hejl IKEA

Vom Stadtrand ins Epizentrum der Stadt: IKEA bestimmt jetzt nicht mehr nur unsere Inneneinrichtung, sondern auch das Wiener Stadtbild.

Zehn Jahre soll die Planung und Umsetzung des jüngst eröffneten „Öffi-IKEAs“ am Westbahnhof gedauert haben. „Öffi-IKEA“ – der Name wurde übrigens nicht als PR-Stunt von IKEA selbst, sondern von den Wiener Grünen auf den Weg gebracht. Schlicht, weil die Filiale – wie die allermeisten Geschäfte auf der Mariahilfer – aus purem Platzmangel keine Parkmöglichkeiten anbietet. So leicht lässt sich aus einer Not eine Tugend machen. IKEA weiß das zu nutzen und flutet mit von Greenwashing inspirierten Werbeslogans das Netz und die ganze Stadt. Selbst ein flüchtiger Blick auf IKEA zeigt schnell, warum Unsummen an Geld in PR investiert wird. Doch vorerst kurz die Faktenlage zum Projekt am Westbahnhof.

Kontext zum Stadtteil

2016 kaufte der Konzern das Gelände um das „Blaue Haus“ der ÖBB für vermutlich knapp 30 Millionen ab, wenige Jahre später wurde es abgerissen. Der Jugendstil-Bau garantierte im Sommer der Migration 2015 noch etwa 500 bis 600 Menschen pro Tag ein Dach über dem Kopf. Schutzbefohlene, die Kriegen entkommen konnten, wurden mit Lebensmitteln und tagtäglichen Gebrauchsgegenstände versorgt. Die Gegend um den Westbahnhof wurde vor sechs Jahren eine scheinbare Rettungsinsel. Ab 2014 verliert der Westbahnhof mit der Eröffnung des Hauptbahnhofs und des Lainzer Tunnels für den internationalen Zugverkehr zunehmend an Bedeutung, er wird zum Shopping-Center, zu einer Verlängerung des „Einkaufserlebnisses MaHü“. Damit das auch reibungslos vonstattengehen konnte, musste ordentlich verdrängt werden: unliebsame Personen – Armutsbetroffene, Refugees, Obdachlose, Punks, Prostituierte – wurden durch ÖBB-Security und Polizeikräfte, die teilweise mit Schnellrichtern unterwegs waren, verscheucht, dabei kam auch die soft power der Streetworker zum Einsatz .

Der Westbahnhof trägt das Stigma der Kriminalität, das weiß auch die türkis-grüne Regierung. Sie präsentierte 2020 in der Polizeistation des Westbahnhofs ihre geplante „Sicherheitsoffensive“. Dabei wurde bekannt gegeben, dass 4300 neue Stellen für die Polizei geschaffen werden sollen. In diese politisch gedeckelten und ökonomisch motivierten Veränderungen setzt sich IKEA direkt hinein und transformiert das Viertel weiter.

Von Greenwash everything und pastellfarbenden Hochglanzwelten

Ein Meer aus pastellfarbenen Hochglanzplakaten begrüßt dich in Wien. Sie präsentieren dir eine Welt, die du nie haben wirst: Alle sind glücklich und unverbraucht. Klartext: Geh verdammt nochmal shoppen, damit die Welt endlich besser wird! Dabei hatte die PR-Abteilung von IKEA das erklärte Ziel Greenwash everything. Ein bisschen wie ein Running-Gag in Youtube-Kommentaren: „PR-Agentur: Wie viel Greenwashing wollt ihr?“ – „IKEA: Ja.“

Der größte Möbelkonzern der Welt vermarktet sich mit Slogans wie „One Home, one Planet“ oder „Mit dem Rad ein Sofa kaufen“. Am Standort Wien pflanzte IKEA – „inspiriert von schwedischen Wäldern“ – 160 Bäume in überproportionalen IKEA-Töpfen an ihre „innovative“ Fassade, stellte eine Handvoll Bienenstöcke und Vogelhäuser auf. Der Gürtel – eigentlich ein Highway mitten durch die Stadt – zählt zu den am stärksten befahrenen Straßen Österreichs. Und jetzt ist er auch der Ort, an dem IKEA einen „schwedischen“ Wald imitiert und ein paar Bienen aussetzt. Weinst du noch, oder lachst du schon?

Doch warum wurde diese immense PR-Maschine über Jahre am Laufen gehalten? Hat IKEA vielleicht Dreck am Stecken? Die letzten Monate machte die Schlagzeile die Runde, dass IKEA-Zulieferer in Rumänien Europas letzten Urwald abholzen. Es gab auch Vorwürfe zu illegal gerodetem Holz aus Sibirien, das sich in IKEA-Möbeln findet. Wen überrascht das, bei dem Preisdumping?

Bei den Steuerhinterziehungen steht IKEA anderen Global Playern wie Nike oder Apple in nichts nach. Seit 1982 wird IKEA nicht mehr als ein Konzern betrieben, sondern ist offiziell eine in den Niederlanden registrierte „Stiftung“, was dem Konzern enorme Vergünstigungen beschert. IKEA hat aber nicht nur aktuell Dreck am Stecken, sondern ist auch historisch belastet. Im Gründungsjahr 1943 war Schweden zwar im Krieg mit Nazi-Deutschland, der Gründer vom heutigen IKEA-Imperium allerdings überzeugter Faschist und aktives Mitglied der Partei Svensk Socialistisk Samling – einem ideologischen Ableger der NSDAP. Er pflegte Kontakt zu hohen NS-Ideologen, die an dem Aufbau einer faschistischen transeuropäischen Bewegung beteiligt waren. Das Kriegsende 1945 führte nicht zu einem Umdenken, im Gegenteil bekräftigt der Firmengründer noch 2008 seine Ansichten: Zwar habe er für das Format Hitler-Deutschland nicht allzu viel Sympathie, sondern eher für einen Faschismus à la Mussolini. Ihm habe dabei die „kooperative Idee“ gereizt. Hejl IKEA.

Den Hof bereitet

Alle grinsen zufrieden. SPÖ, Neos, ÖVP und Grüne. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und andere Spitzenpolitiker:in kamen sogar zur Eröffnung. Viel politisches Wohlwollen, wo doch IKEA vermutlich 162 Millionen Euro allein 2014 in nur acht EU-Ländern durch „Steuerumgehungen“ eingespart hat. Da geht sich der Bau am Westbahnhof um circa 140 Millionen Euro locker aus.

Schon 2018 feierte IKEA mit einem „Grätzl-Fest“ das, was drei Jahre später Realität werden sollte: ein IKEA im Zentrum einer europäischen Großstadt. Dass es gerade ein auf maximal Profite ausgerichteter Konzern ist, der mit lokalen Akteuren recht erfolgreich Grätzl-Arbeit betreibt, sollte nicht zuletzt Lokalpolitiker:innen zu denken geben. Damit aber auch wirklich niemand etwas sagen konnte, wurden, mit sich anbahnender Eröffnung, noch ein paar musikalische Sympathieträger eingeladen. So gab Voodoo Jürgens ein Silvester-Konzert und auch die spießige Boyband Wanda hatte einen Auftritt.
Wenn du dieser Tage am Westbahnhof ein- oder umsteigst, ist es fast unmöglich, nicht auf IKEA aufmerksam gemacht zu werden. Überall prangert die bunte Werbung des Konzerns, und du wirst dich fragen, ob du noch im Bahnhof stehst oder doch schon im IKEA. Ganz nach IKEAs eigenem Grundsatz: Lebst du noch oder shoppst du schon?

Arbeit, Arbeit nichts als Arbeit

„Rund ein Drittel des Tages verbringen wir ja bekanntlich mit Arbeit – Grund genug, das Beste daraus zu machen.“ Heißt es auf der Homepage des Grätzl-Fests 2018. Doch wie sieht es bei dem Konzern mit den Arbeitsbedingungen aus? Als wir vor Ort waren und nachfragten, wussten die Angestellten nicht einmal, von welcher Gewerkschaft sie vertreten werden. Zwar gab es eine intensive Einschulung für die Mitarbeiter:innen im noch nicht geöffneten IKEA, aber offensichtlich keine Infos zu Betriebsrat und Gewerkschaft. Fraglich, wie Angestellte so ihre Rechte einfordern können, um „das Beste“ aus ihrer Arbeitszeit zu machen.

Human Resources, wie es liebevoll im Englischen heißt, wenn es um die Organisierung der zur Verfügung stehenden menschlicher Arbeitskraft geht, arbeitete mit einem mehrteiligen Bewerbungsverfahren. Es sollten Videos aufgenommen werden, in dem die Fähigkeiten unter Beweis gestellt werden. Enormer Stress, Aufwand und Aussortierung sind garantiert. Und das alles für einen Job, der dann oft außerhalb einer üblichen Arbeitszeit stattfindet. Nachts die Regale nachfüllen, wenn die Kund:innen nicht im Laden sind. Die Ware zum „City IKEA“ anliefern, wenn wenig Verkehr auf den Straßen ist. Flexibel und belastbar zu sein bei enormer Zugangsbarriere.

Kein Entkommen

Vermutlich gibt es so gut wie keinen Haushalt in Wien ohne Dinge von IKEA. Der IKEA-Österreich-Chef wälzt die Rolle von Verantwortung auf die Kund:innen ab. „Die größte Verantwortung tragen die Konsumenten“ war im Standard zu lesen. Ruft der Chef hier selbst zum Boykott auf? Und vielleicht machen es die jungen Menschen richtig, die wir zur Eröffnung auf der Terrasse gesehen haben: Auf der „öffentlich“ zugänglichen Dachterrasse abhängen, das große Papiersackl (nachhaltig!!) voll mit 16er-Blech.