Ein emanzipatorischer Diskursraum. Die Anfangszeit von MALMOE.
Es war einmal eine Zeit, in der es kein Instagram und kein Twitter gab. Ja, sogar Facebook gab es noch nicht. Wir haben per E-Mail kommuniziert, per Telefon und SMS.
Am 19. Februar 2000 fand am Heldenplatz eine riesengroße Demo gegen die neu angelobte schwarz-blaue Regierung statt. Im Jahr davor wurde Marcus Omofuma durch Mundverkleben während der Abschiebung getötet. Zuerst täglich, dann wöchentlich gingen Tausende Menschen gegen die Regierung auf der Straße. Kunststudierende besetzten die Aula der Akademie der Bildenden Künste und planten von dort aus Widerstandsaktionen. Die Initiativen Volxtanz und Get to Attack wurden gegründet. Die Mailingliste „Mund“ wurde ins Leben gerufen und informierte wöchentlich über Widerstandsaktionen. Besonders im Kunst- und Kulturfeld kam es zu einer enormen Politisierung, die viele Jahre das Geschehen in der Gegenwartskunst prägten. In dieser Zeit bin ich durch Günther Hopfgartner zu MALMOE dazugestoßen.
Eine Gruppe von Menschen traf sich wöchentlich in den Büroräumlichkeiten eines befreundeten Mediums, später im Café Weidinger, noch später im Bahoe Bookstore, der damals noch das Kindercafé Lolligo war. Zu Beginn von MALMOE waren bis zu 30, 40 Leute anwesend, stehend, lehnend, auf Büroschränken und Tischen sitzend, da es nicht genug Sitzplätze für alle gab.
Für mich waren diese Redaktionssitzungen immer spannend. Ich habe damals sehr viel gelernt – über die Auseinandersetzungen in der Linken, unterschiedliche Argumentationslinien und Diskursstränge, auch über die Vielfältigkeit im linken Spektrum. Ich war 21 und bin einige Jahre davor aus dem Burgenland nach Wien gezogen. Die Mitarbeit bei MALMOE hat mich ausdifferenzierte politische Auseinandersetzungen gelehrt, ein Wissen über gegenhegemoniale Öffentlichkeiten und journalistisches Schreiben nähergebracht. Endredaktion ist so ähnlich wie Ausstellungsaufbau oder Dreharbeiten: Nach wochenlangen Vorbereitungen ist es der Moment, in dem sich das Projekt materialisiert, alles zusammenkommt und die einzelnen Teile eine Summe ergeben, die Zeitung als Layout am Screen sichtbar wird und einige Tage später gedruckt vorliegt.
Wir haben vier bis sechs Ausgaben im Jahr im Rollenoffset-Druckverfahren auf Zeitungspapier gedruckt. MALMOE erschien damals ca. zweimonatlich in der Auflage von 10.000 Stück. Das waren schätzungsweise zwei Quadratmeter Zeitschriften pro Ausgabe, die nach Erscheinen jeder Ausgabe in die Garage der Mutter eines Redaktionsmitglieds in den 15. Bezirk geliefert wurden.
Von dort aus lieferten wir dann aus. Ich hatte damals manchmal das Auto meiner Eltern (mit großer Ladefläche) ausgeborgt, mit dem wir MALMOEs unter die Leute brachten. Wir waren meistens Freitag oder Samstag abends unterwegs. Da waren die Lokale geöffnet, in denen wir Stapel von Zeitungen gratis zur freien Entnahme auflegten. MALMOE lag damals in jedem halbwegs relevanten Nachtlokal in Wien auf. Ich erinnere mich noch gut an dieses nächtliche Ausliefern. Es war unser Ausgehen irgendwie. Die meisten waren ohnehin straight edge was Alkohol betrifft. Manchmal wurde man angesprochen, zum Beispiel auf den Schwerpunkt im letzten Heft, Leute haben darüber geredet oder gestritten etc. Oder haben zur neuen Ausgabe der Zeitschrift gratuliert. Ich hatte damals sehr stark den Eindruck, dass die Inhalte von MALMOE wirklich gelesen wurden. Diskussionen über die Texte im Heft wurden auch teilweise wieder an die Redaktion herangetragen und fanden sich in den kommenden Ausgaben wieder.
Neben dem Auflegen in Lokalen gab es auch andere wichtige Vertriebskanäle. Wir hatten einige dieser Zeitungsspender (wie man sie von Wochenendausgaben von Tageszeitungen kennt) aufgetrieben und an zentralen Stellen in Wien aufgehängt. Die Zeitungsständer packten wir randvoll mit MALMOEs, vielleicht 80 Stück passten da rein, schätze ich. Auf der Strecke vom NIG (Neues Institutsgebäude) zu Hauptuni gingen die MALMOEs im Zeitungspender besonders gut weg. Dort mussten wir teilweise täglich nachfüllen. Immer wieder wurden diese Ständer abmontiert, wir vermuteten von rechten Burschenschaftlern …
Woran ich mich auch noch sehr gut erinnern kann (und das wirkt heute ein bisschen wie von einem anderen Stern): Die Diskussion darüber, dass es wichtig ist, unkommerziell, unbezahlt und selbstorganisiert zu arbeiten, um unabhängig und nicht korrumpierbar zu bleiben. 20 Jahre später – in der durchkommerzialisierten, ultra-prekären, neoliberalen Gegenwart von 2021 ist diese Idee kaum mehr vorstellbar.
Eva Egermann ist Künstlerin und lebt in Wien. In den Jahren von 2000 bis 2009 war sie Teil des Redaktionskollektivs von MALMOE, später Teil der Bildredaktion, phasenweise für die künstlerischen Beiträge in der Galerie verantwortlich und gestaltete unterschiedliche Schwerpunkte im Heft. Seit 2011 gibt sie das Crip Magazine heraus.