MALMOE

Zitternde Hände, besorgte Mütter

Türkise Medienpolitik zwischen Sonderförderungen, Hintergrundgesprächen und Klagsdrohungen

In einer konsolidierten, liberalen Demokratie bieten Medien einen Raum für die öffentliche Kommunikation, Diskussion und Kritik der Politik. In diesem Raum, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Bereich desselben, soll das politische Handeln gewählter Repräsentant*innen für die Wählenden transparent gemacht und mit Mediengesetzen ein einigermaßen fairer Wettbewerb zwischen den Parteien hergestellt werden.

Die türkise ÖVP um Bundeskanzler Sebastian Kurz, interessiert sich ostentativ wenig für dieses Medienverständnis, dank ihr wurde der Begriff „Message Control“ überhaupt erst etabliert. Kritische Medien bei der Pressekonferenz? Heute lieber nicht.

Es gibt einen Regierungsskandal? Heute lieber erstmal die Einladung der Zeit im Bild ablehnen, um dann erst Tage später ein eigenes Gschichtl im ORF zu erzählen. Falsche Frage beim Interview? Lieber auf etwas anderes antworten. Lästige Frage am Anfang der Pressekonferenz? Falsches Thema, später dazu antworten. Lästige Frage am Ende der Pressekonferenz? Leider keine Zeit mehr.

Man könnte meinen, die türkise ÖVP verkauft die Medien für blöd, aber so ist es nicht, im Gegenteil: sie beschenkt sie. Mit Geld. Sehr viel Geld. Vor ihrem Wahlerfolg 2017 und der darauffolgenden ÖVP-FPÖ Regierung gab die „Türkise Bewegung“ statt der gesetzlich erlaubten sieben Millionen Euro Wahlwerbung etwa das Doppelte aus, also 13 Millionen, die FPÖ-Koalitionär*innen, die gerne auch mal Journalist*innen „hinauspushen“ möchten, immerhin nur 10,7. Der damalige ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer, heute Innenminister (Kinderabschieber), zeigte sich rechtstreu ob der illegalen, exorbitanten Ausgaben wegen „erhöhtem Informationsbedarf infolge des untergriffigen Wahlkampfes“, zückte das Partei-Portemonnaie und überwies großmütig die Strafe von 800.000 Euro. Leider konnte mit diesem Betrag der in Österreich etablierte, kulturelle Richtwert „10% Trinkgeld“ nicht eingehalten werden.

Überbordende Inserate

Auch während der C-19-Pandemie zeigte sich die ÖVP großzügig: im Zuge einer „Corona-Sonder-Medienförderung“ wurden die Werbeausgaben der Bundesregierung im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt, auf über 47 Millionen Euro. Eine indirekte Medienförderung in Form von Werbeschaltungen der Regierungspartei? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die Inserate und Schaltungen, mit der man die österreichischen Medien – und sich selbst – unbeschadet durch die Krise bringen wollte, wurden dabei stark überproportional an den Boulevard und an private Rundfunk-Sender verteilt. Besonders viel Geld soll es für jene Medien geben, welche zu Teilen dem Milliardär und Kurz-Freunderl René Benko gehören.

Qualitätsmedien stiegen umgekehrt extrem schlecht aus. Die als „regierungskritisch“ bekannte Wochenzeitung Der Falter bekam tatsächlich weniger vom Sonderförderungskuchen als ÖVP-Druckschriften wie die Österreichische Bauernzeitung oder Neues Land.

Kritische Journalist*innen, wie jene vom Falter, sind überhaupt unbeliebt bei den türkisen Medienkontrolleur*innen. Ob ihrer Aversion gegen Kritik schaffte es die kurzlebige Bundesregierung Kurz I in kürzester Zeit, Österreich auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen um fünf Plätze nach hinten rutschen zu lassen – Österreich zählt nach diesem Index nun nicht mehr zu den Ländern der Kategorie „Gute Pressesituation“. Grund für dieses 2019 erfolgte Downgrade waren Angriffe auf Journalisten wie Armin Wolf; ministerielle Weisungen, die „Kommunikation mit regierungskritischen Medien“ auf ein „Mindestmaß“ zu reduzieren, um ihnen keine „Zuckerl“ zu geben sowie das Ausbleiben eines Transparenzgesetzes hinsichtlich von Inseratenvergaben. Im selben Jahr berichtete Der Standard die Ergebnisse der Medienstudie Journalistenbarometer: ganze 45 Prozent der österreichischen Journalist*innen sahen nach dieser die Pressefreiheit in Gefahr, in der Schweiz sind es nur 16 Prozent. Fast ebenso viele, also 43 Prozent, gaben an, im vergangenen halben Jahr „externe Interventionen“ erlebt zu haben.

Anruf vom Kanzler

Externe Interventionen, wie kann man sich das vorstellen? Im Falter 19/21 wurden zahlreiche anonyme Protokolle von Top-Journalist*innen veröffentlicht, und was diese zu berichten haben, klingt eher nach Gotham City als nach Wien: veröffentlicht man etwas Regierungskritisches, wird man schnurstracks von einem der 59 (!) PR-Mitarbeiter*innen angerufen – oder vom Bundeskanzler selbst. Im Telefonat wird dann, meist in sehr persönlichem Ton, mitgeteilt, dass „der Bericht nicht stimmt“ und freimütig mit Klagen gedroht. In den Protokollen ist von „systematischen Klagsdrohungen“ die Rede, welche in Amerika als SLAPP („Strategic Lawsuit Against Public Participation“) bekannt sind – also Klagsdrohungen, welche nicht den juristischen Erfolg, sondern den Druck als Ziel verfolgen. Kommt es also zu schwer kontrollierbaren Messages, wie etwa im Frühjahr 2021 hinsichtlich der Skandale um Finanzminister Gernot Blümel (Laptopbesitzer), werden Klagen zu Dutzenden ausgeschickt und weitere in Aussicht gestellt. „Einschüchterung“ ist in Österreich für diese Technik ein Understatement, vergleicht man das juristische Pouvoir der ÖVP – auf beiden Seiten des Justizapparats – mit jenem der Regierungskritiker*innen.

Als Behüter*innen der Nachrichten kennen die türkisen Controller aber nicht nur die Peitsche, sondern auch das Zuckerbrot: diese Backsorte ist insbesondere als „Hintergrundgespräch“ bekannt, zu dem man vom Bundeskanzler persönlich eingeladen wird. Bei einem solchen ist man mit einem engen Kreis aus Top-Journalist*innen unter sich, man ist per Du, bekommt exklusive Statements des Staatsoberhauptes und wenn man besonders artig ist: exklusive Fotos. Freilich und selbsterklärend will man als erfolgsorientierter Journalistin Teil von diesem honorigen Klub externer Pressesprecher*innen sein, dort werden gewiss auch bessere Häppchen serviert, als bei der Gerichtsverhandlung.

Aufeinander schauen

Überbordende Werbegelder für regierungsnahe Medien, systematische Klagen und Klagsdrohungen, kontrollierte Berichterstattende – das alles wirft kein gutes Licht auf die Bundesregierung und ihr Verständnis von Pressefreiheit. Ein Glück (?) für Sebastian Kurz und seine Medienbande, dass die auflagenstarken Medien gar nicht so viel über diese Probleme berichten?

Geraten die Dinge dann doch einmal außer Kontrolle und Sebastian Kurz wegen Falschaussage auf dem Radar der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA), zittern beim Vorlesen der korrigierten ORF-Berichte (Fake News!) schon mal die Hände. Auch die Mutter des Bundeskanzlers, erfahren wir im Interview mit der Krone, sei „extrem traurig und besorgt“, ob all der Gemeinheiten, die über den Mustersohn gesagt werden.

„Anpatzen“ darf man ihn also nicht, den Bundesbasti, auch nicht dann, wenn er geleakten Chatprotokollen zufolge ganz unverblümelt Posten wie Emojis an seine „Familie“ verteilt. „Schau auf dich, schau auf mich“ lautet der bekannte Titel der Covid-19-Informationskampagne der Bundesregierung, welche aus Teilen der genannten Sonderförderungen finanziert wird.

Das soll heißen: In Österreich schaut man aufeinander.