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Lust mit oder ohne Sex

Wie wird Sexualität eingesetzt, um Menschen mit Behinderungen zu diskriminieren? Warum ist es so kontroversiell, kein sexuelles Begehren zu haben?

In normativen Diskursen sind Sexualität und Behinderung zwei Kategorien, die einander ausschließen. Von Menschen, die Sex und/oder sexuelles Begehren haben, wird nicht angenommen, dass sie behindert sind, und von Menschen mit Behinderungen wird nicht angenommen, dass sie Sex und/oder sexuelles Begehren haben. Demnach müssen Behinderungen kontinuierlich verworfen werden, um „Sexualität“ und „Das Normale“ zu konstituieren.

Erst über den Ausschluss von Menschen mit Behinderungen als „abnormal“ stellt sich die normative Idee von dem, was im Allgemeinen als „Sexualität“ verstanden wird, her. Behinderung und Asexualität stellen Vorstellungen von normativer und obligatorischer Sexualität in Frage, die einzig darauf abzielen, Körper und Begehren zu regulieren.

Sexualität ist nichts Naturgegebenes

Michel Foucault hat in Sexualität und Wahrheit die berühmte These aufgestellt, dass Sexualität nicht naturgegeben, sondern ein historisches Konstrukt ist. Was unter Sexualität verstanden und reproduziert wird, ist durch ein soziokulturelles Konstrukt reguliert, das durch Medizinalisierung, Ausschlüsse und die governance der „Normalität“ entsteht.

Seit den frühen 2000ern wächst weltweit eine Community, die „Asexualität“ als Label für die Abwesenheit sexueller Anziehung beansprucht. Dies formt neben anderen LGBTQ (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Queer) Identitäten eine weitere Kategorie sexueller Orientierung. Asexualität und Behinderung zusammengedacht bestätigen nochmal die These, dass Sexualität eingesetzt wurde, um gewisse Körper und Menschen aus der Kategorie „Mensch“ auszuschließen.

Sexualität hat immer schon ein Gender, einen Körper und eine ethnische Zugehörigkeit (race) gehabt und steht unter der Prämisse, dass Krankheit und Behinderung Sexualität ausschließen. Menschen mit Behinderungen wurde das Recht auf sexuelle Aufklärung, Fortpflanzung und sexuelle Assistenz abgesprochen, während sexualisierte Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen nicht angesprochen wurde. Nicht-heteronormative Sexualität wurde als „Krankheit“ kriminalisiert und Homosexuelle und Queers wurden zu brutalen „Konversionstherapien“ gezwungen. „Die Sexualität“ etablierte und verstärkte die Assoziation zwischen Sexualität und „dem Normalen“ als inhärenter Teil dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.

Ableismus überschneidet sich dort mit Sexualität, wo es darum geht, Menschen und Körper mit Behinderungen gewaltvoll als immer schon nicht-sexuell zu markieren. Die feministische Behindertenwissenschaftlerin Eunjung Kim analysiert in Disability Narratives (2011) die intersektionelle Strukturierung von Unterdrückung aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen, die sich stolz als asexuell identifizieren. Die Desexualisierung behinderter Menschen, so Kim, sei eine „Objektivierung und Entmenschlichung, die das Menschsein behinderter Menschen leugnet“. Das Konzept der Asexualität wendet sich gegen die Desexualisierung als Werkzeug von Ausschluss und Gewalt. Die Schnittstelle von Behinderung und Asexualität legt eine Welt voller Empfindungen des Körpers frei, die es ermöglicht, Intimität und Beziehungen neu zu definieren.

Zwischen sexuellem Begehren, Verhalten, und – Kuchen?

Jede asexuelle Person lebt und erfährt ihre Asexualität anders, manche verwenden das Label, um sich gänzlich von Sexualität zu „ent-identifizieren“. Die meistverbreitete Definition verknüpft Asexualität mit der Abwesenheit von sexuellen Begehren gegenüber jeglichem Gender. Das Konzept des sexuellen Begehrens wurde entlang von Diskursen über Homosexualität und Bisexualität entwickelt, um Begehren als ein Begehren zu einem bestimmten Gender einzuschreiben. Als ein paar Menschen angefangen haben zu erkennen, dass es für sie noch kein Label gibt, das ihr Verhältnis zu Sexualität beschreibt, entstand Asexualität als Identität.

Ein häufiges Symbol für Asexualität ist Kuchen, weil Kuchen besser ist als Sex, oder etwa nicht? Asexuelle teilen oft Geschichten eines Gefühls der Entfremdung, wenn sich Leute über Sex und Sexualität unterhalten. Sie verstehen nicht ganz, was der Hype rund um Sex soll. Nichtsdestotrotz muss zwischen sexuellen Begehren und Sexualverhalten unterschieden werden. Asexualität beschreibt nur das Verhältnis zu Sex, sagt aber nichts darüber aus, ob die asexuelle Person sexuell aktiv ist oder nicht. Manche Asexuelle mögen Sex nicht oder vermeiden ihn, während sie andere sexuelle Kontakte aus einer Vielzahl von Gründen pflegen, zum Beispiel, um Intimität zu erfahren, ihren Spieltrieb auszuleben oder für körperliche Befriedigung.

Behinderung, Lust und der Körper

Ist Sex die ultimative Art der Lusterfüllung? Nein, überhaupt nicht. Sex ist nur eine Aktivität, die Menschen auf der Suche nach der Erfüllung ihrer Lust ergreifen. Auch wenn Krankheit, Beeinträchtigung oder Behinderung sexuelles Begehren aus einer Vielzahl von Gründen beeinträchtigen kann, sind ein geringer Sexualtrieb oder sexuelles Desinteresse kein Indikator dafür, dass etwas falsch ist. Es ist nicht entscheidend, ob Asexuelle mit Behinderung nun das Label der Asexualität trotz oder wegen ihrer Behinderung beanspruchen – in jedem Fall ist ihre Asexualität berechtigt.

Was Asexualität letztlich aussagt ist, dass ein erfülltes und glückliches Leben mit viel Liebe und Intimität mit oder ohne Sex möglich ist.

Lust kann, genauso wie Körper, vielerlei Gestalt annehmen. Behinderte Literatur streicht die verschiedenen Verhältnisse heraus, die Personen zu ihrem Körper und zu ihrem Umfeld eingehen können. Literatur von Behinderten Personen siedelt sich im Spannungsfeld zwischen Hilfsmitteln und persönlicher Assistenz an: Was passiert, wenn ein Körper sexuelle Assistenz benötigt? Intimität und Nähe werden neu verhandelt und re-konstruiert. Beziehungen verlassen die Komfortzone, um Lust zu erlangen. Sex muss diskutiert und verhandelt werden. Menschen und Beziehungen haben ihre Grenzen. Sie müssen konsensual und gemeinsam vereinbart werden, um das Maximum an Wohlbefinden und Befriedigung für alle Beteiligten zu erreichen. Die ultimative Art der Lusterfüllung liegt für uns darin, uns selbst zu definieren.

Kämpft für Devianz

Ob ich dankbar bin, eine Behinderung zu haben, behindert zu sein? Diese Frage kann ich schwer beantworten, da ich meine Behinderung nicht einfach ablegen kann. Es gibt Dinge, die mein Körper nicht kann, andere Körper aber schon. In meinem Körper zu sein, bedeutet, sich in einem kontinuierlichen Lernprozess zu befinden. Eine Sache, die ich gelernt habe, ist langsam zu sein, Pausen zu machen. Es gibt nicht die eine Art, in einem Körper zu sein, und es gibt nicht die eine Art der Lusterfüllung. Wenn sich alles um uns herum ins Unendliche beschleunigt und kapitalisiert, kann nur die Langsamkeit dagegen antreten.

Deviant zu sein heißt, langsam zu sein. Kämpft für Langsamkeit, für Devianz, für das Recht, anders zu sein – und vor allem für Barrierefreiheit. Es kann nicht genug davon geben!