Die Kulturplattform Oberösterreich und die grüne Nationalratsabgeordnete Eva Blimlinger suchen eine Alternative zum Begriff „Kulturschaffende“
Im Jahre 1993 veranstaltete die „Gesellschaft für deutsche Sprache“ ein Preisausschreiben. Ziel war es, eine sogenannte Wortlücke zu schließen. „Wortlücke“ bezeichnet den Umstand, dass die deutsche Sprache manchmal kein passendes Wort anzubieten hat, obwohl man es gut brauchen könnte. Es gibt ein Wort, das einen Menschen beschreibt, der genug gegessen hat: „satt“. Jedoch gibt es kein Wort, das einen Menschen beschreibt, der genug getrunken hat. Also, der eine ist hungrig, die andere ist satt; der eine durstig, die andere aber was? Der Gewinner war ein gewisser Robert Gernhardt, das Siegerwort lautete „schmöll“. Gernhardt hatte das Wort bereits 1975 erstmals in der Satirezeitschrift Pardon ins Spiel gebracht.
Leider hatte „schmöll“ wenig Zeit, sich im deutschen Wortschatz zu etablieren. 1999 trat ihm ein Konkurrent entgegen. In Zusammenarbeit mit dem Getränkehersteller Lipton veranstaltete die Duden-Redaktion einen neuerlichen Wettbewerb, um DAS Wort zu finden, das einem nicht mehr durstigen Menschen seine Eigenschaft verleiht. Diesmal gewann der Schüler Jascha Froer mit seinem Vorschlag „sitt“.
Im Jahre 2021 gebraucht kein Mensch „schmöll“ oder „sitt“. Eine lesson learned wäre also: Sprache ändert sich nicht, nur weil ihre selbsternannten Hüter*innen im Schweiße ihres Elitarismus einfordern, sie solle es gefälligst tun.
Sprache und Totalitarismus
Die Kulturplattform Oberösterreich (Kupf OÖ) und die grüne Nationalratsabgeordnete Eva Blimlinger sehen das offensichtlich anders. Sie veranstalten einen Wettbewerb, um „ein neues oder jedenfalls alternatives Wort“ zu „Kulturschaffende“ zu finden. Denn „Kulturschaffende“ ist eines der zahlreichen Wörter des Deutschen, die im Nationalsozialismus entstanden sind beziehungsweise Verbreitung erfahren haben. Die Kupf und Blimlinger setzen aber nicht einfach darauf, diesen Hintergrund bekanntzumachen und die Menschen zu sensibilisieren. Sie ergreifen Initiative! Ein neues Wort muss her – das bitteschön ehebaldigst zu benutzen ist. Als gutes Beispiel schreitet man selbst voran, denn das Wort wird „selbstverständlich in die Schreib- und Sprechpraxis der Kupf OÖ übergehen“.
Einreichen konnte man Vorschläge bis zum 30. April, wobei dem Wort „max. 1.000 Zeichen“ zur Erläuterung beigestellt sein mussten. In dieser Erläuterung wollen die Wettbewerbsveranstalter*innen gerne etwas holprig formulierte Fragen beantwortet haben, wie „Wen meint dieser Begriff mit? Wen nicht?“ oder „Bietet er die Möglichkeit, die oft prekären, vielseitigen Lebensrealitäten des Kunst- und Kultur-Sektors abzubilden?“ Am Ende wird eine nicht näher benannte „Fachjury aus Kulturpraxis, -politik und -wissenschaft“ über das Siegerwort entscheiden.
Vorausgegangen waren dem Wettbewerb zwei Artikel in der Kupf-Zeitung, Nr. 177, März 2021. Der eine ist lesenswert und von Isolde Vogel; sie erklärt den nationalsozialistischen Ursprung des Wortes „Kulturschaffende“ und wie er der antisemitischen Unterscheidung zwischen „schaffen“ (das tun die Arier) und „raffen“ (nichts anderes können die Juden) diente.
Der andere Artikel ist von Eva Blimlinger; sie weiß: „Die Kultur findet sich noch gar nicht im Etymologischen Wörterbuch der Grimms“, und meint damit wohl nicht, dass das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm kulturlos sei, sondern eher, dass es keinen Eintrag zum Wort „Kultur“ enthält. Obwohl es im Artikel von Isolde Vogel eh schon steht, weist Blimlinger anschließend nochmals auf den Zusammenhang zum Nationalsozialismus hin – danach aber lässt sie die Katze aus dem Sack: „Und weil es so gut zu totalitären Regimen passt, wurde der Begriff dann in der Sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR gleich weiterverwendet.“ Was, wenn nicht dies, wird uns zu denken geben – dass wir moralisch so verkommen sind und ein Scheusal aus der Reihe von „überlebensfähigen DDR-spezifischen Wörtern“ (wie die Totalitarismustheoretikerin Blimlinger wissenschaftlich redlich aus der Wikipedia zitiert) immer noch im Munde führen!
Kurz nach Veröffentlichung der Ausschreibung rauchten die Köpfe von Sprachprofis und jenen, die am besten Weg sind, solche zu werden. Ein User hinterließ auf der Kupf-Website einen Kommentar, in dem er den Begriff „Kulter*in“ empfahl. Denn, so schrieb er, der „Tischler macht Tische“ und der „Schuster macht Schuhe“, ergo: „Der Kulter macht Kultur“. Dieser Vorschlag beeindruckt umso mehr, je weiter man die Aufzählung führt: Schließlich macht bekanntlich der Glaser das Glas, der Gläubiger den Glauben und warum nicht auch der Naturer die Natur?!
Ein Satz mit x
Apropos Natur, an einem Wort aus dieser Sprachfamilie scheint sich auch Eva Blimlinger zu orientieren. Ihr Vorschlag für den neuen Begriff lautet nämlich „Kulturist*innen“. Moment mal – das klingt wie … genau: „Naturist*innen“. Und die kennen wir! Das sind doch die Nackerbatzln zwischen der Lobau und den abgelegenen Ufern der Donauinsel! „Freie-Körper-Kulturalist*innen“ sozusagen.
Bei Redaktionsschluss hatte die Jury das Siegerwort noch nicht gekürt. Deshalb weiß man nicht, welchem Sprache Erschaffenden man zum Preisgeld von 1.500 Euro gratulieren darf. Diese Summe stiftete – Eva Blimlinger. Und das ist der erfreulichste Aspekt an der ganzen Geschichte: Blimlinger verjubelt ihre Abgeordnetenbezüge. Wenn davon junge Menschen profitieren, die sich kritisch mit der Gesellschaft und ihrer Sprache auseinandersetzen, dann bitte mehr dieser Wettbewerbe!
Ansonsten lässt sich nur mehr zweierlei sagen. Erstens, dass Kupf OÖ und Blimlinger wohl keine Sekunde daran gedacht haben, dass sich gesellschaftlicher, also auch sprachlicher Wandel nachhaltiger durch die Kooperation möglichst vieler Menschen bewirken lässt als durch den Wettkampf einzelner. Und zweitens, dass die Konkurrenz insofern sinnlos war, als ein potenzielles Siegerwort schon von Anfang an beschworen wurde: „KulturX – Der Wettbewerb um einen alternativen Begriff“ war schließlich der Name der Aktion. In diesem Sinne: Die Kulturschaffenden von heute werden die Kulturx von morgen sein.