Feministische Ökonomie #16: Soll Wien vom Punschkrapfen zur Donut-Stadt werden?
2017 publizierte die Oxford-Ökonomin Kate Raworth ihr gerne auf Flughäfen verkauftes Buch Doughnut Economics: Seven Ways to Think Like a 21st-Century Economist. Seither ist viel geschehen, das Buch wurde in 15 Sprachen übersetzt; (auf Deutsch: Die Donut-Ökonomie). Im Guardian wird Raworth als „John Maynard Keynes des 21. Jahrhunderts“ gesehen: „Durch die Neuauslegung der Wirtschaft ermöglicht sie uns, unsere Sicht darauf zu ändern, wer wir sind, wo wir stehen und was wir sein wollen.“ Amsterdam, Brüssel und Nanaimo (in Kanada) haben das Donut-Konzept bereits fix in ihre Stadtplanung integriert (was sich zum Beispiel in Amsterdam in Zielen, geplanten Maßnahmen und Messzahlen niederschlägt), Partnerstädte wie Melbourne, Kopenhagen, London, Philadelphia, Austin und Portland (Oregon) oder Länder wie Costa Rica, Indien, Bangladesch, Sambia und Barbados arbeiten bereits an einer Implementierung des Konzepts oder denken darüber nach. Auch in Wien wird gegenwärtig überlegt, zur Donut-City zu werden und 2019 hat Raworth den „Kurt-Rothschild-Preis“ für Wirtschaftspublizistik (verliehen vom Karl-Renner-Institut und dem SPÖ-Parlamentsklub) erhalten. Um ihr Wirtschaftsmodell, die „Donut-Ökonomie“, dem Wiener Publikum zu erklären, schwenkte sie damals auf der Bühne fröhlich einen bunten aufgeblasenen Riesen-Donut aus Plastik.
Worum genau dreht sich der Donut-Hype?
Das Konzept der Donut-Ökonomie ist einfach als ein Ring vorstellbar, der einerseits die ökologischen Grenzen des Planeten und andererseits die sozialen Grundlagen menschlichen Zusammenlebens aufzeigen soll. Die ökologische Decke orientiert sich an einem internationalen Forschungspapier, das für neun Dimensionen, die den Fortschritt der ökologischen Zerstörung aufzeigen sollen, Indikatoren sucht: Ozonschicht, Klimawandel, Übersäuerung der Meere, Chemikalien, Frischwasser, Landkonversion, Biodiversität, Luftverschmutzung. Die Dimensionen des menschlichen Zusammenlebens orientieren sich an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der UN. Mithilfe der Grafikerin Marcia Mihotich und einer Handvoll aufgepeppter Diagramme wird ein grundlegender gerechter und nachhaltiger Wandel der Wirtschaft bildlich leicht fassbar gemacht, es wird Hoffnung erzeugt, Wege aus der multiplen Krisenlage der Welt scheinen tatsächlich greifbar zu werden.
Woher also kommt der Killjoy?
Eigentlich alles eine super Sache, und ja, gerne hätte ich selber die Idee zum so erfolgreichen Donut-Marketing gehabt. Prinzipiell ist es gut und richtig, eindringlich, einfach und bunt für eine bessere Welt zu motivieren. Von Raworth wurde hier zusammengebracht, was längst nicht neu ist: Arbeiten der Feministischen Ökonomie (mit dem Kernthema der Care-Ökonomie), Überlegungen zum nachhaltigen Wirtschaften und zur ökologischen Ökonomie. Wenig am Donut-Konzept ist konzeptuell neu, doch das Marketing ist genial. Je nach Darstellungsart bietet der Donut am Innen- und Außenring Indikatoren für das Erreichen der sozialen Ziele als auch das Überschreiten der ökologischen Grenzen an.
Am eigenständigsten erscheint mir eine Grafik von Doughnut Economics aus der Liste der „7 Arten, wie eine Ökonomin des 21. Jahrhunderts zu denken“: Hier wird das neoklassische Kreislaufdiagramm von Markt, Staat und Haushalte um den Bereich der Commons als auch ökologische Nachhaltigkeit mit Naturinputs und Waste ergänzt. Doch im Zentrum des Diagramms stehen (irritierenderweise) Finanzmärkte, in den konzentrischen Ringen (beziehungsweise Ellipsen) folgen von innen nach außen Ökonomie, Gesellschaft und Planet.
Doch mein eifriges Durchblättern von Doughnut Economics am JFK-Flughafen in New York auf dem Weg zur Konferenz der International Association for Feminist Economics an der SUNY New Paltz wandelte sich von Bewunderung zu Grant und schließlich Ernüchterung. Das Taschenbuch erwähnt mit keinem einzigen Wort die Vordenker*innen oder Quellen der von Raworth kombinierten Ideen und Modelle. Es kommen weder Nancy Folbre oder Julie Nelson noch andere Theoretikerin der Care-Ökonomie vor. Mary Mellor, die das Konzept der „Me/We-Ökonomie“ geprägt hat, das Raworth übernimmt, wird nicht erwähnt. Als ich Raworth bei der Preisverleihung in Wien darauf anspreche, ob sie interessiert wäre, enger mit feministischen Ökonom*innen zu kooperieren, lächelt sie unverbindlich. Hässliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Profiten aus Patriarchat, Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus verkaufen sich nicht gut und bleiben aus der Donut-Ökonomie völlig ausgeblendet. Beziehungsweise: Sie werden verharmlost als „Bargaining“-Probleme, also als Verhandlungsthemen dargestellt.
Nachhaltige Entwicklungsrezepte mit Mehlspeise
Der lateinamerikanische Ökologe Eduardo Gudynas bemängelt aus Sicht des Globalen Südens die mangelnde Originalität des Donut-Konzepts, er fasst am Blog der Entwicklungsorganisation Oxfam zusammen, dass hier keinerlei Paradigmenwechsel, sondern der bestehende, vom Westen forcierte Entwicklungskonsens nur durch das Zureichen eines Donuts ergänzt wird, „… which adds a pastry to the mix of sustainable development recipes.“ Auch in Diskussion mit ihrem Kritiker Branko Milanovic (dem Ökonomen der Thomas Pikettys Kapital im 21. Jahrhundert eine globale Perspektive mit seiner „Elefantenkurve“ entgegensetzte) kann Raworth (mich) nicht davon überzeugen, dass ihre Donut-Idee von realistischen Annahmen hehrer Ziele der Menschheit ausgeht. Ihr Optimismus erscheint wenig angebracht und wirkt vielmehr wie der Opportunismus guten Consultings, auch ist das Doughnut Economics Action Lab offen für große und kleine Spenden „… to help us to create a collaborative community of worldwide practitioners who are turning Doughnut Economics into transformative action. Your support will enable us to expand the reach and impact of all that we do.“
Ha Tuamatangi – unser letzter Atemzug
Eine der subtilsten und gleichzeitig fundamentalsten Kritiken am Donut-Konzept kommt aus indigener Perspektive von Teina Boasa-Dean, Māori-Theoretikerin und Aktivistin. Augenscheinlich zeichnet Boasa-Dean den Donut einfach um, dreht den inneren Kreis nach außen und den äußeren Kreis nach innen und klebt den ikonischen Silberfarn Neuseelands dazu, womit methodisch Raworths Strategie des Re-Brandens imitiert wird. Wesentlich tiefgehender ist, dass mittels der Umgestaltung der naiven Donut-Zeichnung das jahrtausendealte, mit epistemologischer Gewalt verdrängte Wissen indigener Communitys, die absolute Priorität des Schutzes der Natur, ins Zentrum gestellt ist – was nicht, wie Raworth dazu anmerkt, einfach Geschmacksache ist. Weniger auffällig ist, dass der geschlossene Kreis durch eine Spirale ersetzt wird, die die Grundlagen von linearem Denken, Fortschrittsgläubigkeit und westlicher Mechanik mit einem Fokus auf spirituelle Intelligenz, Kosmologie und Menschen ersetzt.
Zusammenfassend kann, wie auch in der Presse formuliert, gesagt werden, dass Kate Raworth „mit ihrem Wirtschaftsmodell einen Weg aus der Krise weisen [will], der Kapitalismus, Ökologie und soziale Grundrechte vereint“. Sie sammelt dazu lange bekannte Konzepte, Indikatoren und Themen auf, knetet sie neu durch und serviert sie als bunten neoliberalen Donut – ohne eigentlich sehr interessante Kausalitäten zu erklären (zum Beispiel Geschlechterungleichheit und Verlust an Biodiversität, die in der Donut-Skizze nebeneinander liegen), tiefgehende Kritik zu äußern, Ursachenanalyse zu betreiben oder tatsächlich neue Lösungsansätze zu generieren.