MALMOE

I am from Berlin …

Dass das spätere Epizentrum der Hipness in den 1990ern meiner Kindheit ein graues dunkles Kaff war, ein von Einschusslöchern aus dem Zweiten Weltkrieg und runtergerockten Altbauten übersätes Trümmerfeld, lässt sich heute kaum noch vorstellen. Ein von Armut gezeichnetes und von der DDR-Regierung vergessenes oder übersehenes Viertel – Prenzlauer Berg, Ost-Berlin. Wo der Staat weggeschaut hatte bildeten sich alternative Kulturen im Untergrund. Leerstand wurde stillbesetzt, in Kirchen Flugblätter gedruckt und Punkkonzerte gefeiert. Es fand sich eine Szene von Verweigernden und Ausgeschlossenen, die sich gemeinsam den Prenzlauer Berg angeeignete. Punks und Queers, Arbeitsinvalide und Alkis teilten sich einen Grillplatz im Hinterhof. Die Künstlerbohème des Ostens erfuhr durch den neuen To-Go-Lifestyle eine rapide Veränderung und leitete damit ein, was heute ein globaler Exportschlager geworden ist.

Im Rückblick, und ausgestattet mit ein bisschen Theoriewerkzeug, lässt sich leicht analysieren, welcher Generation Kind ich bin. Ein Laboratorium für den Prozess einer Hyper-Gentrifizierung in Gegenden, deren Eigentümerverhältnisse nicht immer zu klären waren. Volkswirtschaft hieß auch Enteignung und diese sollte natürlich mit der sogenannten „Abwicklung“ (ein liebevoller Euphemismus für die Etablierung privater Eigentumsverhältnisse und Profitlogiken mit Ende der DDR) ganz schnell wieder abgeschafft werden. Sodann wurden die Jahrhundertwende Bauten („Altbauten“) zu Spottpreisen verscherbelt, kernsaniert und teuer weiterverkauft. 2000 war eines dieser Jahre, das mir im Kopf blieb und von dem ich heute sagen würde, da ist das Viertel gekippt. Cocktailbars, Kinderwägen, Lifestyle. Die Alkis schienen schon länger im Viertel zu sein als die Häuser selbst, so fix gehörten sie zum Establishment. Vermutlich haben einige durch die „Abwicklung“ ihre staatlichen Jobs verloren haben und mit fast Nichts dagestanden. Klassische Lohnarbeitende, wie sie seit hundert Jahren in dem Viertel lebten. Wegen ihnen gibt es überhaupt solche Viertel. „Mietskasernen“ wurde das früher genannt und nicht wie heute „charmanter Altbau mit Dielen“. Objekte können überhaupt nur charmant sein, wenn sie fetischisiert werden. Nicht zufällig bildete sich um den Kiez ein enormer Diskurs. Beschreibungen von „magischer Anziehungskraft“ bis hin zu „Disneyland“ produzierten ein eigenes Bild von jenem Viertel, das es so heute nur gibt, weil es der DDR-Regierung schlicht zu teuer war es abreißen zu lassen.

Zurück zu den Locals: An einem der wenigen Parks mit Spielplatz, wo sie sich regelmäßig trafen und sich mit ihrer Situation arrangierten, wurden sie auf einmal schief angeschaut. Es bildeten sich Bürger_inneninitiativen, die von Sicherheit sprachen und damit die Kiez-Alkis als Faktor von „Unsicherheit” markierten. Auch wenn ihnen ihr Schicksal über die Jahrzehnte ein dickes Fell hat wachsen lassen, haben sie spätestens die Mieterhöhungen endgültig aus ihrem Kiez geschmissen. Warum wir zu einer ähnlichen Zeit aus dem Viertel wegzogen, hatte mehrere Gründe. Dass auch wir punktuell von den Veränderungen profitieren, und damit zu Kompliz_innen wurden, ist auch kein leicht auszuhaltender Widerspruch. Künstlerische Interventionen, die von vielen der damals besetzten Hausprojekte ausgingen oder sporadisch eröffnete Bars waren auch für meine Eltern und unsere Freund_innen eine spannende Ablenkung und ein Kontext wo sich ausgetobt wurde. Oder die Clubkultur, die mich dann später als Teenager catchte und zu einem nicht zu unterschätzenden Teil für meine Sozialisation verantwortlich ist. Da war zwar zu Beginn ein autonomes und empowerndes Moment: „Yeah, wir feiern in den ehemaligen Nazi-Bunkern und auf den früheren Grenzstreifen des geteilten Berlins unseren ganz individuellen Sieg.“ Das wurde aber genauso schnell wie alles andere, wo sich leicht Geld machen ließ, kommodifiziert. Und so änderten sich dann auch ganz schnell die sozialen Beziehungen in den Gefügen. Was keine Überraschung ist, wenn es auf nahezu der ganzen westlichen Hemisphäre heißt, es gäbe in Berlin: „Den besten Club der Welt.“

Wie aufgeladen Berlin ist, merke ich immer wieder, wenn ich auf die Frage nach meiner Herkunft antworte: „I am from Berlin.“ Es scheint, als ob dann ein ganzer Assoziationsapparat in Gang setzt wird und ich dann damit zurechtkommen muss. Dabei ist Berlin wahrscheinlich die einzige Hauptstadt, die ein Heimatministerium führt. Da sollten die Leute mal drüber nachdenken.