MALMOE

Zwischen Traurigkeit 
und digitaler Berührung

Über Grenzen und Möglichkeiten von Fernbeziehungen

Fernbeziehungen können als Einschränkung verstanden werden, uns aber auch neue Seiten aneinander entdecken lassen. Pünktchen Biberkopf führte ein Messenger-Interview mit Evi (Wien) und Jan (Berlin).

Was habt ihr in eurer Fernbeziehung über euch selbst gelernt?

Evi: Ich hab gelernt, wie kompliziert man ist und was mitteilen alles sein kann, und wie gut man sich kennen kann oder es wenigstens denkt, über Video und wie sehr man sich verändern kann und das mit den vielen Ausdrücken, die niemals adäquat sein können

Evi [voice message]: Ich hab auch noch gelernt, viele so Gefühlssachen. Gefühle, als ob ich da Gefühle dazugewonnen hätte

Jan: Naja in Beziehungen lernt man ja immer sehr viel über sich selbst, und gerade in meiner jetzigen Beziehung habe ich aus den unterschiedlichsten Gründen sehr viel über mich selbst gelernt. Wobei ich denke, dass die Distanz, sicherlich eine Rolle, aber eine untergeordnete gespielt hat.

Jan: Konkret gelernt habe ich Videotelefonie

Inwiefern spiet Distanz nur eine untergeordnete Rolle?

Jan: Insofern, dass ich in der auseinandersetzung mit efe an sich so viel über mich selbst gelernt habe, ob das jetzt im direkten Austausch oder über Videotelefonie, gifs, nachrichten war, hat da, würde ich sagen gar nicht so die rolle gespielt..

Jan: der inhalt der unterhaltung war das wichtige, und hat vielleicht durch digitale hilfsmittel auf anderen ebenen dazu gewonnen.

Jan: Wo er auf analoger ebene etwas verloren hat, hat er auf digitaler ebene dazu gewonnen. Nicht dass das gegeneinander aufzuwiegen wäre, das sind unterschiedliche dinge. Aber was das angeht, habe jch da dinge gelernt und mir welten erschlossen, die ich davor so nicht kannte, aber ich denke für Efe war das wahrscheinlich anders bzw. nicht so extrem. Ich fühlte mich schon sehr stark in einer analogen welt zuhause..

Was macht ihr bei Vermissen und Traurigkeit?

Evi [voice message]: Also bei Vermissen kann man viel sagen über das Telefon, das ist eh sehr nice. Und bei Traurigkeit: Manchmal ist das Problem, dass die Person das nicht sofort sieht oder dabei ist. Dann wird es schlimmer, weil die Traurigkeit ja in dem Moment da ist. Das Trösten müsste in diesem Moment passieren

Evi: außerdem, digital verbunden sein, erzeugt eine Kontinuität. Sie gibt einem das gefühl, dass man auch in der welt der person, die weit weg ist, existiert. z.B. macht man ein Video-Tagebuch, nur um der anderen person eine freude zu machen

Jan: ist schwierig, weil das macht nun mal einen großen teil aus, aufgrund der Distanz. Körperlichkeit, das gegenseitige in den arm nehmen fehlt und das kriegt man digital einfach nicht. Auch kriegt man es oftmals nicht so schnell mit, was man selber jetzt anstatt dessen gebrauchen könnte, oder wie man seinem gegenüber helfen kann. Ich versuche mich selbst davon abzulenken, mit freunden oder arbeit, aber das ablenken spielt bei mir eh eine große rolle aus angst davor, in löcher zufallen, zu versacken

Jan: Wenn das Vermissen gar zu stark ist, funktioniert für mich ganz gut, zum einen, darüber zu kommunizieren, wobei einen das manchmal auch etwas hilflos macht, weil es an einem bestimmten punkt gefühlt nicht weiter geht. wien berlin sind nun mal sehr weit auseinander. Zum andern hilft mir das gegenseitige aufgaben stellen, die andere person zu beschäftigen, bzw. von der anderen person beschäftigt zu werden efe ist da zum glück sehr gut darin, mich mit aufgaben und intellektuell mit fragen zu fordern und zu fördern. Dann hilft mir auch etwas für die andere person zu machen, etwas worüber sie sich freut. kleine liebesbeweise, briefe, bilder, videos, 3D-gifs, oder animationen. Und telefonieren, Stimme hören, sich gegenseitig vorzulesen.

Wenn ihr euch seht, was macht ihr dann?

Jan: viele schöne sachen! Dann müssen wir in der regel beide auch noch ein bisschen uni arbeiten… und meistens haben wir, oder denken wir uns auch noch 1-50 projekte zusammen aus oder machen zusammen Kunst… irgendwann meistens in der mitte des besuches, sprechen wir dann über beziehungsproblematiken (deeptalk). Das kann schon auch mitunter sehr emotional werden. gegen ende steht der abschied dann schwer bevor, man versucht ihn zu ignorieren und schön zu reden, aber das funktioniert nur bedingt, und er kommt dann auch immer sehr schnell..

Evi: Zuerst einen Tag freuen, also der erste Tag ist schon mit Freuen ausgefüllt

Evi: Und dann machen wir fast nur coole Sachen, aber es ist schon krass, dass man dann immer in der jeweiligen Welt der anderen ist

Ja, stimmt. Wenn ihr euch besucht, ist eine Person zu Hause und eine Person auf Urlaub. Wie ist das für euch?

Jan: ich glaube das ist schon etwas unterschiedlich, da ich auch kurz in wien gewohnt habe und hier auch noch andere leute treffe und auch familie habe, die nach wien gezogen ist. aber letzten endes bin natürlich auch ich zu besuch und berlin schläft nicht, weshalb man sich schon auch etwas zerrissen fühlt, gerade wenn man eh schon eine gut ausgeprägte angst hat, sachen zu verpassen… das kann schon sehr anstrengend sein

Jan: Aber Urlaub ist für mich tatsächlich auch, wenn efe in berlin ist. das ist nicht unbedingt so unterschiedlich. Das ist zum einen natürlich sehr schön, zum anderen fehlt einem der gemeinsame Alltag, was auch schade ist, weshalb ich, wenn ich in wien bin, auch immer versuche zeit mit freunden allein zu verbringen, damit efe auch zeit für sich hat. ich möchte auch nicht, dass sie das gefühl bekomnt, sie muss sich um mich kümmern.

Evi: Manchmal fühle ich mich ein bisschen lost, weil das nicht mein zu hause ist. aber es ist schön dann bei der anderen Person mitzumachen, in ihrer Logik, aber man denkt auch oft, wo die andere Person überall nicht dabei ist, und dann lernt man wieder was über sich oder über die Vermittlung

Was lernst du da über dich bzw. die Vermittlung?

Evi: Dass man zerrissen ist zwischen Differenz leben wollen und Kontinuität in der Beziehung haben wollen. Die Vermittlung, auch im medialen Sinne, macht das zwischen den beiden aus.

Mediale Vermittlung nimmt in Evis und Jans Beziehung eine zentrale Rolle ein. Liebkosungen, Streit und alltäglicher Beziehungstalk über GIFs, Emojis und Sprachnachrichten gestalten ihre Beziehung. Rare Begegnungen und Besuche erfahren Evi und Jan als Urlaube in der Lebensrealität der anderen Person. Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung, sowie die Vermittlung in schwierigen Situationen muss dabei gleichsam, in physischer Nähe und digitaler Weite, hergestellt werden. So wird Raumwahrnehmung in den Beziehungen zwischen digital natives neu verhandelt.
Der gemeinsame Online-Alltag ermöglicht, von der unmittelbaren Affektion Abstand zu nehmen und zwingt uns in eine Aushandlung mit uns selbst. Während im gemeinsamen Urlaub impulsiv reagiert wird, kann digital Nicht-Gewolltes wieder gelöscht werden, bevor es dendie anderen erreicht − oder Nachrichten fünfmal umformuliert werden, bevor sie gesendet werden. Allerdings müssen dabei schriftliche Uneindeutigkeiten, potenzielle Missverständnisse und die Abwesenheit von Antworten ausgehalten werden. Während das Gegenüber bei sich zu Hause ist und meinen Schmerz nicht mitbekommt, hilft nur Ablenkung oder Abgrenzung, bis Konflikte endlich aufgelöst werden können.
Wie also sein Empfinden und Erleben vermitteln? Wo sich begegnen? Auch wenn gelebte Körperlichkeit in Evis und Jans Beziehung nicht alltäglich ist, so sind es doch die gegenseitigen Berührungen im gemeinsamen Online-Raum, indem sie sich einander zuwenden und begegnen können.