Wurzel (Name von der Redaktion geändert) war eine seltsame Erscheinung. Es gab keinen erkennbaren Unterschied zwischen vorne und hinten bei ihm. Wir Kinder hatten die Idee, ihm das schnelle Rückwärtslaufen beizubringen, damit sich niemand mehr auskennt. Hat aber nicht geklappt. Eines Tages hatten wir dann Lust, sein Styling zu verbessern. Weil in den 1990ern die Frisuren der 1980er immer noch aktuell waren, sollte er so wie Limahl aussehen. Genügend Haarmaterial war sicherlich vorhanden. Wir haben ihn mit Leckerlis gefügig gemacht und dann zu schnippeln begonnen. Die Sache stellte sich als viel schwerer heraus als erwartet. Die Haare waren von drahtharter Festigkeit und so ein Tier hat wirklich viel davon. Auch war uns nicht klar, wie diese 80er Haarexplosionen herausgeschnitten werden konnten.
Nach einer Weile nahm Wurzel ein wirklich beklagenswertes Aussehen an. Wir wussten aber so viel vom Friseur*innenhandwerk, dass es kein Zurück gab. An einigen Stellen war er bereits komplett kahl und dann haben wir ihm sogar aus Versehen in die Hoden gezwickt. Wurzel jaulte heftig auf. Das tat uns wirklich sehr leid. Zum Glück war er aber nur einen Moment ganz empört gewesen und schleckte uns dann sogleich wieder dankbar die Hände. Es war an dieser Stelle klar, dass wir nicht weiter wussten. Als wir das Ergebnis den Eltern vorgestellt haben, war eher Betroffenheit als Ärger zu spüren. Wir bekamen fast nicht geschimpft. Der Vater meinte nur, Wurzel habe immer wie eine Klobürste ausgesehen und nun sehe er wie eine abgebrannte Klobürste aus.
Er nahm den armen Hund und brachte ihn zu einem anderen Bauern, der Schafe hatte und auch eine Schermaschine. Sie haben Wurzel dann überall bis knapp auf die Haut geschoren. Außer an den Pfoten und den Genitalien – aus Vorsicht. So kam es, dass Wurzel einen üppigen Busch zwischen den Beinen trug und an den Pfoten sah es aus, als ob er diese haarigen Moonboots anhätte, die durch Hansi Hinterseer berühmt geworden waren. Wir mussten aber sagen, dass das Ergebnis wirklich beachtlich war. Wurzel sah jetzt wie ein Hund aus. Wie ein niedlicher sogar. Sein freundliches Gesicht war erstmals zu sehen und uns schien, dass es ihm auch gefiel, uns endlich in die Augen blicken zu können. Plötzlich machte es Spaß, ihn zu streicheln und sein weiches Fell zu genießen. Weil er jetzt nicht mehr komplett verdreckt war, durfte er sogar aufs Bett springen. Von diesem Zeitpunkt an wurde Wurzel regelmäßig geschoren und wir hatten eines fürs Leben gelernt: Liebe hat doch was mit Aussehen zu tun! Die Liebe, die Wurzel in seinem weiteren Leben noch genießen durfte, war wirklich komplett seiner Frisur geschuldet.
Aufgeschrieben von Frank Jödicke. Die Hundefriseurin zieht es vor, anonym zu bleiben.