„Intertwining“ ist Mode. Das im Geflecht neuer, emanzipatorischer Kosmologien Fallstricke lauern, beweist die Arbeit phantasms / cov sound folds / bhajan riddim von Kashif Sharma-Patel und Anuka Ramischwili-Schäfer
Diese Arbeit ist gut versteckt. Sehr gut versteckt. In der Ausstellung Life Constantly Escapes im Kunstraum Niederösterreich in der Herrengasse ist es voll. Vielleicht hätte man die pandemische Abstandsregelung auch auf Kunstobjekte anwenden sollen. In kuratorischer Mixed-Method-Mission werden bildnerische Arbeiten in allen Formen und Farben sowie Bücher mit Prosa und theoretische Texte zu einem Display verwoben, das durchaus entropische Züge annimmt. Dazu ein begleitender Gedichtband. Aufbauend auf großartigen theoretischen Positionen unserer Gegenwart und jüngsten Vergangenheit wie denen von Denise Ferreira da Silva und Fred Morten, den visionären Gedanken Octavia E. Butlers und präzisen Analysen Saidiya Hartmans scheitert die Gruppenshow an ihrer eigenen Mission, „jedes Stück in seiner Besonderheit und Differenz zu würdigen, aber auch das gemeinsame Netz, in das sie alle eingebettet sind, in den Vordergrund zu stellen“. Denn mit dem (noch) utopischen Konzept einer Kosmologie, in der die Anerkennung der Differenz als identitätsstiftender Main Act und gesellschaftliche Triebfeder auftritt, können die meisten künstlerischen Positionen der Ausstellung auf formaler Ebene schlichtweg nicht mithalten. Wer hat die gammelnden Blumen in Hans Haackes Condensation Cubes gestellt?
Aus dem Rahmen fällt die Arbeit phantasms / cov sound folds / bhajan riddim (2021) von Kashif Sharma-Patel und Anuka Ramischwili-Schäfer. Die szenische Lesung/poetische Perfomance/Soundlandschaft/etc., die aufgrund ihrer Materialität (die sie als Soundpiece „nicht wirklich hat“) ein bisschen aus dem Ausstellungsdisplay gemobbt worden zu sein scheint, erreicht man über ein kleines Board in der Nähe des Eingangs. Darauf steht eine LP-Hülle und daneben, etwa auf Kniehöhe der Besucher:innen, hängt ein kleines Schild, das darauf verweist, dass diese Arbeit nur über Kopfhörer gehört werden kann, die man sich wiederum am Infopult ausleihen soll. Folgt man diesen Instruktionen und überwindet die übliche Kontaktscheue zu den Mitarbeiter:innen, bekommt man Zugang zur besten Arbeit der Ausstellung. Das ist insofern unfreiwillig komisch, als dass diese Arbeit durch ihre erschwerte Zugänglichkeit wie ein einsamer Meteor im wuseligen Kosmos der Ausstellung zu schweben scheint. Die Zuhörer:innen können sich auch nicht besonders weit vom Infopult entfernen – denn dann reißt der Bluetoothkontakt ab. Und so bleibt diese Arbeit ausgeschlossen vom neouniversalistischen Netzwerk der anderen Positionen. Das tut ihr gut.
Während man leicht bedröppelt immer in Reichweite des Senders am Infotresen rumhängt (und sich fragt warum der Rest der Arbeit sich an dem Platz befindet, an dem sie sich befindet), kann man für knapp zehn Minuten den wunderschön intonierten Wörtern Kashif Sharma-Patels aus seinem Gedicht phantasmic folds zuhören. Es wird schnell deutlich, warum diese Arbeit Kopfhörer erfordert – denn sie ist unglaublich gut produziert. Stimme(n), Geräusche und Musik sind in einer Präzision gemischt und arrangiert, die einen aufhorchen lässt. Vier Kapitel Text werden untermalt oder verstärkt durch verschiedene „gefundene“ oder selbsterzeugte Sounds. Die Fieldrecordings und Ambientklänge bilden dabei gemeinsam mit dem gesprochenen Wort eine heterogene Einheit. Während der Laufzeit wechseln sich weiche und harte Intonationen ab, folgen schnelle auf langsame, harmonische auf fragmentierte Passagen, bleibt es an vielen Stellen unvereinbar und doch zeichnen sich die Korrelationen der Bestandteile der Arbeit ab, ohne explizit benannt zu werden. War das nicht das Vorhaben des Ausstellungsdisplays?
Der bereits im Titel angedeutete Bezug zum hinduistischen Gesang Bhajan zeigt sich schnell. Inhaltlich wie formal. Das Besingen der Liebe zu den Göttern, einfach frei heraus in den Himmel als unendlicher Loop darf sich jedoch nicht als esoterisches Om-Zitat vorgestellt werden. Vielmehr ist das Gedicht eine kulturpessimistische Hommage an die Postmoderne mit all ihren eklektizistischen Aneignungen und Zurichtungen. Das lyrische Ich steht seiner unauflöslichen Verstrebung mit der Welt resigniert und ablehnend gegenüber: monotheistic assurity a step gone, turn back into the hinterland and find the people, grammarian paralysis, the phoneme is drifting along interwoven with mythopoetic urgency | the force of the gods | clairvoyance as plot-points, genericism as comforting irony, while the cybernetic undergrowth moves subject to subject against the barrage of p2p flagellation … Die wohl größte Schönheit dieser Arbeit liegt in ihren Widersprüchen. Während sie formal den Parametern einer Vorstellung der Global-Unity-Netzwerke folgt und sich methodisch an vielen Töpfen bedient, zielen alle Elemente auf die Frage nach den neuen Subjekten in der kommenden Welt der absoluten Vernetztheit ab. Denn, zumindest bisher, funktionieren Netzwerke nur p2p – von Gleichen zu Gleichen.
phantasms / cov sound folds / bhajan riddim ist bis 03. April zu hören in der Ausstellung „Life Constantly Escapes“ im Kunstraum Niederösterreich.