MALMOE: Wie war dein erster Friseurbesuch für dich?
MÜCO: Ich glaube, das ist Gewohnheit, du lernst es. Als Kind wirst du zum Friseur geschickt, dann lernst du, das ist unangenehm, schon von klein auf. Meine Mama hat zu einem jungen Burschen gesagt, der war so vier Jahre älter als ich, er soll mich mitnehmen. Ich kann mich nur erinnern, dass es sehr weh getan hat, es war sehr rau. Manchmal hat der Friseur mich so an den Haaren genommen, das hat sehr weh getan. Aber man durfte sich nicht beschweren oder weinen, da ist wieder diese Männlichkeit. Du schweigst, du bist eingeschüchtert.
Was ist für das besondere an einem türkischen Friseurladen?
Es gibt nicht nur Haareschneiden, es gibt auch Gesichtsmasken oder Hautreinigung. Oder deine Augenbrauen werden mit einem Faden gemacht. Keine Ahnung. Da gibt es, wenn du willst, wirklich sehr viele verschiedene Angebote. Es gibt auch Behandlungen mit Feuer. Das macht wirklich viel aus. Du siehst danach, der Mann hat eine schöne Haut, er glänzt richtig. Ich erkenne, auf der Straße, welche Männer frisch vom Friseur kommen. Ich sehe das, sie sehen ganz sauber aus. Dreitagebart ist modern und Augenbrauen sind auch wichtig. Türkische Männer schauen sehr gepflegt aus. Für viele ist ein Friseur auch so wie ein Kaffeehaus. Wenn du hetero, Nationalist und Moslem bist, ist das der beste Ort für Austausch. Ich gehe zu türkischen Friseuren, weil sie billig und überall sind.
Ich war noch nie in einem türkischen Friseurladen. Wie kann ich mir das vorstellen?
Es ist meistens alles einsehbar, mit einer großen Fensterfront. Schon von draußen siehst du die Leute, die drinnen sind, und wenn du drinnen bist, kannst du auf die Straße sehen. Meistens gibt es noch einen Kaffeeautomaten und einen Fernseher. Es arbeiten zwei bis drei Leute in einem Laden. Einer sitzt an der Kasse und putzt, zwei schneiden Haare. Der, der viel redet, ist der Geschäftsführer. Er spricht über den ganzen Raum. Mit dem Gast, dem er Haare schneidet, mit denen die warten, mit den anderen Friseuren und mit dem Fernseher gleichzeitig. Er kontrolliert den ganzen Raum.
Wie ist es für dich, in Wien zu einem türkischen Friseurladen zu gehen?
Wenn ich nicht sofort dran bin, muss die Zeit auch vergehen und deshalb gibt es einen Fernseher. Ich hoffe immer, dass nichts politisches kommt. Wenn türkisches Fernsehen läuft, gibt es oft Nachrichten über PKK Anschläge, dann schimpfen alle Leute. Als schwuler Kurde, als politischer Mensch, halte ich es nicht aus, wenn neben mir auf Kurd*innen geschimpft wird. Das ist dann immer eine angespannte Zeit.
Es ist nicht so lustig für mich. Ich muss mir sehr viele Gedanken machen, was mich erwartet und worüber ich spreche. Ich hoffe immer, ich werde nicht zu viel gefragt. Die Friseure glauben, sie können alles fragen, deine Lebensgeschichte. „Hast du eine Freundin?“ Dann sag ich nein. „Was machst du auf der Arbeit? Wie viel verdienst du? Wo wohnst du in Wien? Wie viele Quadratmeter? Woher kommst du aus der Türkei? Was macht dein Vater? Hast du Verwandte in Wien? Bist du alleine gekommen?“ Also ganz gründliche Fragen. „Wie alt bist du? Was studierst du? Wie viele ECTS-Punkte? Welches Visum hast du? Wie hast du das geschafft? Warum haben das andere nicht geschafft?“ Einfach dein ganzes Leben. Und das kommentieren sie dann auch. „Wieso bist du nach Österreich gekommen? Schau, ich würde zurückgehen, wenn ich könnte, aber meine Kinder sind hier.“ Und dabei hat er das Rasiermesser an meinem Hals. Vielleicht glauben sie, es ist ein Teil ihrer Arbeit dich zu unterhalten. Aber für mich ist das keine Unterhaltung, es stört mich. Das ist wie Gewalt, wenn ich eine halbe Stunde lang einem Mann zuhören muss, der so ganz das Gegenteil von mir ist. Und wenn ich mich dagegen stelle, begebe ich mich in Gefahr.
Arbeiten auch Frauen in solchen Läden?
In den Läden, in denen ich war, arbeiten keine Frauen. Manche türkische Friseurläden haben Männer und Frauen in zwei getrennten Bereichen, mit Abstand. Aber es ist nicht so, dass Frauen Männern die Haare schneiden oder umgekehrt, das gibt es nicht. Es kommen schon viele Jugendliche, die machen sich hübsch zum Fortgehen. Da wird über Frauen sehr sexistisch geredet. „Sind österreichische oder jugoslawische oder türkische Frauen besser? Dann hab ich das Mädchen dorthin gebracht, dann musste ich lange das Kondom suchen.“ Das ist ganz normal, solche Gespräche sind ganz normal. Alle sind patriotische Türken, Nationalisten. „Meine Kinder sollen nicht wie Österreicher werden. Sobald meine Kinder die Schule abgeschlossen haben, gehen wir wieder zurück in die Türkei. Wir haben es falsch gemacht, wir hätten nach fünf Jahren wieder zurück gehen sollen, jetzt sind die Kinder da und ich habe einen Job.“ Das sind so Gastarbeitergespräche. Auch die Kinder haben Sehnsucht in die Türkei, in einem Land zu leben, dass ihnen gehört, obwohl sie hier geboren sind. Sie fragen dann ihren Vater, warum er nach Österreich gekommen ist, wo doch alle in die Türkei wollen.
Was würdest du dir wünschen?
Ich wünsche mir, dass sie mehr Respekt haben, sich nicht so viel Raum nehmen. Und nicht glauben, dass alle Kund*innen gleich sind. Nicht alle sind hetero und nicht alle wollen über Sex mit Frauen sprechen. Seit einem Jahr gehe ich in ein Friseurgeschäft, wo alle sehr nett sind. Man sieht auch an der Körpersprache, dass sie Respekt haben. Sie sind viel vorsichtiger, und tun nicht so, als wären wir beste Freunde.