… aber welchen; woher sollen wir das wissen? – ließe sich mit viel Einbildungskraft von Visionen sprechen, die an gesellschaftlichen Bruchstellen ansetzen. Utopien hingegen gilt es zu meiden, geschichtlich haben sie immer totalitäre Reinheitsregime hervorgebracht. Näher liegt das Prinzip Hoffnung, dessen Kronzeuge schrieb: „Hoffnung ist nicht Zuversicht. Wenn sie nicht enttäuschbar wäre, dann wäre sie keine Hoffnung; das gehört zu ihr. Denn dann würde sie ausgepinselt sein und würde sich herunterhandeln lassen und würde dann kapitulieren, sagen: Das ist das, was ich erhofft habe. Also, Hoffnung ist kritisch, Hoffnung ist enttäuschbar, Hoffnung aber nagelt doch immerhin eine Flagge an den Mast“ (Ernst Bloch). Schlaglichtartig hier zwei Flaggen im Meer des Unzumutbare:
Da ist zuallererst und seit 300 Jahren der Tat-Bestand der un- und unterbezahlten Frauenarbeit. Der Gender Overall Earnings Gap von Eurostat berechnete für das Jahr 2014 die gesamte Einkommenslücke von Frauen im Vergleich zu Männern. Besonders in den deutschsprachigen Ländern verfügen Frauen nur über etwas mehr als die Hälfte der Einkommen der Männer. Damit verdienten sie in Österreich grob auf das Arbeitnehmerentgelt umgerechnet 46 Milliarden (!) Euro weniger als Männer. Und das jedes Jahr (nach Mascha Madörin). Es brauchte eine Pandemie, um im öffentlichen Diskurs zu bemerken, dass es am häufigsten die Mütter sind, die den größten Teil der Kinderbetreuung übernehmen. Das offenbart eine Gesellschaft mit beschränkter Wahrnehmung, wenn es einer solchen Krise bedurfte, um nicht nur dies, sondern auch Berufe, in welchen unterbezahlt hauptsächlich Frauen arbeiten, im Einzelhandel, in der Pflege, in Kindergärten, als „systemrelevant“ zu erkennen. Außer Beifallsgeklatsche – in der ersten Phase – hat sich bis heute nichts geändert. Die Flagge: Anerkennung dieser ‚Relevanz’ als hoch zu bezahlende Basis des Sozialen.
Da ist zweitens das Phänomen, dass auch kritische Geister die alte ‚Normalität’ wieder attraktiv finden und von Ausnahmezustand sprechen. Aber ist nicht der gesellschaftliche Zustand, der „keinen anderen Wert mehr hat als das eigene Überleben“ (Giorgio Agamben), eben nicht der neue, sondern Spiegel des Konkurrenzkampfes und der damit verbundenen Prekarisierung? Wie soll es sein, dass aus der jahrzehntelangen Devise der Selbstoptimierung plötzlich eine altruistische Gesellschaft entsteht? Ist ja auch nicht; für Umwelt/Klimaschutz ist nach wie vor niemand bereit zur (Selbst-)Beschränkung; Natur und Sterblichkeit werden weiterhin verdrängt oder obliegen dem Phantasma technoider Machbarkeit. Die neue Anrufung von ‚Solidarität’ via (soziale) Distanzierung bestätigt paradox den Status quo. Der Begriff verkommt zur Karikatur, besteht doch Solidarität aus dem riskant Gemeinsamen und gerade nicht in (Selbst-)Immunisierung. Die Flagge: Verlernen der Selbstbezogenheit, erinnern lernen der Abhängigkeiten von Natur und von einander.
Die große Hoffnung hinter diesen beiden und all den weiteren noch anzuschlagenden Flaggen: Weg vom konformen Sich-Verhalten und „eingesperrt (sein) in seine Subjektivität wie in eine Isolierzelle“ (Hannah Arendt) hin zum befreienden Handeln im Bewusstsein der Angewiesenheit.