Ein Kommentar zur türkisen Frauenpolitik
Am Ende las Susanne Raab dann doch nicht aus der Bibel. Einzig Grußworte schickte die Integrations- und Frauenministerin ins Parlament, wo die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler am 8. Dezember ihre streng christlichen Verbündeten durch einen Gebetsabend führte. Die „interreligiöse“ Veranstaltung war nicht die erste dieser Art – bereits dreimal beteten Abgeordnete und Kirchenvertreter*innen im Parlament –, aber doch die erste mit einer amtierenden Frauenministerin. Susanne Raab hat offensichtlich keine Berührungsängste mit erzkonservativen Christ*innen, deren Geschlechterbilder sie lieber bei Zugewanderten verortet. Und so scheint sie nun auch in der Frage der reproduktiven Rechte einen neuen Kurs einzuschlagen. Erst wenige Wochen zuvor unterstützte sie ein anderes Herzensprojekt Gudrun Kuglers: Gemeinsam mit Arbeitsministerin Aschbacher gab Raab eine zustimmende Stellungnahme ab zur Initiative „Fakten helfen“. Es ist die „Aktion Leben“, die zum wiederholten Mal für die Einführung einer anonymisierten Statistik über Schwangerschaftsabbrüche und die Erforschung der Gründe trommelt. Forderungen, die für viele zunächst harmlos klingen: Daten erheben, um ungewollt Schwangere möglichst gut unterstützen zu können? Durchaus plausibel.
Durch die Hintertür
Die Motive der „Pro Life“-Fraktion sind freilich weniger nobel, als sie gerne vorgeben. In Österreich existiert keine offizielle Statistik über die durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche, da ungewollt Schwangere den Eingriff aus eigener Tasche bezahlen müssen (deren Motive im Übrigen recht gut erforscht sind). Die Preise schwanken je nach Region und Anbieter, bis zu 1.000 Euro werden für den Abbruch fällig. Gerade in den westlichen Bundesländern ist die Versorgungslage dramatisch schlecht – Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Situation bestünden also zur Genüge.
Doch das ist es eben nicht, was Erzkonservative unter „Frauen helfen“ verstehen. Initiativen wie die „Aktion Leben“ sind angetreten, um den Diskurs zu verschieben und die Fristenlösung durch die Hintertür aufzuweichen: Emotionalisierung statt Fakten, so die Devise. Zumindest in der Frage der Fristenlösung zeigen die Grünen bisher klare Kante gegen die ÖVP, seit dem Sommer können niedergelassene Gynäkolog*innen erstmals die Abtreibungspille Mifegyne ausgeben – ein Schritt, den Raab schlicht gar nicht kommentierte.
Doch Reaktionäre haben Rückenwind in Europa: In vielen Ländern – so auch in Österreich – wachsen die freikirchlichen Gemeinden, „Jugend für das Leben“ und andere fundamentalistisch-christliche Gruppen mobilisieren regelmäßig Hunderte Menschen für ihre Märsche.
Machokultur
Eine gewichtige liberale Gegenstimme ist innerhalb der ÖVP derzeit nicht auszumachen: Engagierte Christ*innen haben unter Kanzler Kurz an Einfluss gewonnen. Indes zeigt Susanne Raab immer dann Einsatz für die Geschlechtergleichstellung, wenn dieser zur migrationspolitischen Instrumentalisierung taugt. Dass das Problem immer die anderen sind, demonstrierte die ÖVP bereits mit ihrer Entscheidung, die Frauenagenden im türkisen Integrationsministerium anzusiedeln. Im Doppel-Interview mit Vizekanzler Kogler rechtfertigte Kurz das mit „Machokulturen“, die zum Teil „importiert wurden“, und dem „falschen Rollenverständnis von manchen Zuwanderern“, die es „nicht so ernst nehmen mit der Gleichstellung“. Feministische Errungenschaften kommen den Rechtskonservativen immer dann gelegen, wenn es sich zu „schützen“ gilt vor einer vermeintlichen Bedrohung von „außen“. Im Fall der ÖVP eine ganz besonders perfide Strategie. Ist es doch die Volkspartei, die in Österreich seit Jahrzehnten den Bremsklotz für progressive Frauenpolitik gibt. Große Würfe wie die Fristenregelung, die rechtliche Gleichstellung von Frauen in der Ehe und am Arbeitsplatz oder das Gewaltschutzgesetz wurden von einer SPÖ-Alleinregierung verabschiedet oder später mühselig dem christlich-sozialen Koalitionspartner abgerungen.
Keine Feministin
Frauenpolitische Trippelschritte kann die aktuelle Regierung dennoch für sich verbuchen: So wird Österreich an der europäischen Zeitverwendungsstudie teilnehmen, die Daten zu bezahlter und unbezahlter Arbeit von Frauen und Männern erheben soll – eine langjährige feministische Forderung. Auch das Frauenbudget wird um zwei Millionen erhöht – eine Summe, die allerdings nur die seit 2010 nicht mehr angepasste Inflationsrate abdeckt. Zusätzliche Gelder im Gewaltschutz wurden wiederum als Einmalgelder für Projekte ausgeschüttet, obwohl die ohnehin prekär aufgestellten Fraueninitiativen Basisförderungen bräuchten. So ist es wohl auch das geringste Problem, dass Susanne Raab sich nicht als Feministin bezeichnen möchte, wie sie schon gleich zu Amtsantritt verkündete. Allzu oft heften sich Konservative dieses Label ans Revers, ohne tatsächlich für Geschlechtergerechtigkeit abseits von Vorstandsquoten einzutreten (so hielt selbst Andreas Khol im Präsidentschaftswahlkampf ein „Ja“-Taferl in die Höhe, als auf „Puls 4“ die Frage gestellt wurde, ob man denn Feminist*in sei).
In Zeiten der Pandemie zeigt sich besonders drastisch, welche Folgen das hat: Die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen auf Frauen bleiben unerforscht, ein frauenpolitischer Krisenplan ist nicht in Sicht. Dabei sind es überwiegend Frauen und Menschen mit geringem Einkommen, auf deren Rücken die Krise ausgetragen wird: Sie kämpfen mit Vereinbarkeit und psychischer Belastung und stemmen zusätzliche unbezahlte Arbeit, reale Einkommensverluste treffen sie besonders hart. Ein Kurswechsel ist von den erfolgsverwöhnten Türkisen nicht zu erwarten – außerparlamentarischen, feministischen Druck braucht es also umso mehr.